Schülerin wird zur Ikone gegen Korruption
Mariam Malak will gerade ansetzen und erzählen, wie es zu ihrem Spitznamen "Null-Schülerin" kommen konnte, als die Moderatorin sie nach der Kanüle an der Hand fragt. Da gibt es kein Halten mehr für die 19-Jährige. Sie bricht in Tränen aus, live auf Sendung. Sie isst kaum noch etwas, seit sie erfahren hat, dass sie in ihrer Abschlussprüfung null Punkte bekommen hat, erzählt ihr Bruder. Mariam kann sich nicht erklären, wieso die Prüfungskommission behauptet, sie habe gar nichts geschrieben. "Ich habe 15 Stunden am Tag gelernt für die Prüfung. Gott kann das bezeugen. Ich wollte die Beste in der ganzen Republik sein."
Immerhin war sie jahrelang Klassenbeste. Und ausgerechnet in ihrer Abschlussprüfung, die in Ägypten darüber entscheidet, wo und was man studieren darf, soll sie einen kompletten Blackout gehabt haben. Nein, ganz sicher nicht, versichert sie. Viel wahrscheinlicher sei es, sagen Mariam und ihre Anwälte, dass ihre Prüfungsbögen absichtlich vertauscht wurden. Vertauscht mit denen eines Sprösslings einflussreicher Eltern.
Zehntausende Unterstützer auf Facebook und Twitter
Mariam hat sich zunächst bei den Behörden in ihrer Heimatregion Minya beschwert. Erfolglos. Auch die Staatsanwaltschaft in Assiut hat den Fall abgewiesen. Dann hatte Mariam die Nase voll und ist an die Öffentlichkeit gegangen. Und ist damit eher unfreiwillig zur Ikone im Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption in Ägypten geworden.
Auf Facebook hat eine Unterstützer-Seite für sie innerhalb einer Woche 40.000 Likes bekommen. Auf Twitter gibt es einen eigenen Hashtag für den Fall: #IBelieveMariamMalak, heißt er: Ich glaube Mariam Malak. Zehntausende haben ihn genutzt, um Mariam Mut zuzusprechen. "Du bist ein talentiertes Mädchen in einem Staat, der Talent tötet", schreibt einer. Ein anderer: "Ich glaube ihr, weil ich denken kann und weil es logisch ist und weil ich weiß, wie gut unser Land funktioniert." Es sind zynische Kommentare gegen Ägypten und seine Regierung. Die meisten freuen sich, dass endlich jemand aufsteht und sagt: Es reicht.
In Ägypten ist jeder von Korruption betroffen. Transparency International hat das Land im vergangenen Jahr mit 37 Punkten bewertet. Als 'sauber' gelten Staaten mit 100 Punkten. "Die Korruption in unserem Land ist institutionell. Sie hängt nicht an einzelnen Personen", sagt sogar der ehemalige Leiter des ägyptischen Rechnungshofes Asem Abdel Moaty. Abdel Moaty leitet heute das "Zentrum für Transparenz und Beseitigung der Korruption".
Mit Dutzenden Mitarbeitern versucht er, Fälle von Bestechung aufzudecken und anzuprangern. Sie zieht sich durch alle Lebensbereiche. Ein Beispiel: "Am Suez-Kanal wurden 88 Millionen Quadratmeter Land an fünf Personen verkauft. Für 20 Pfund pro Quadratmeter, also knapp fünf Euro. Aber wer traut sich denn zu fragen, ob das Korruption war? Die fünf verkaufen das dann weiter für 1000 Pfund pro Quadratmeter und ziehen somit Milliarden aus diesem Deal."
Anti-Korruptions-Maßnahmen sind "politische Show"
Über einen Deal ähnlicher Art ist in dieser Woche auch der ägyptische Landwirtschaftsminister Salah Helal gestolpert. Er musste auf Geheiß von Präsident Abdel Fattah al-Sisi seinen Posten räumen. Der Vorwurf: Er habe sich teure Wohnungen und Pilgerreisen nach Mekka sponsern lassen - als Gegenleistung für die freimütige Vergabe von Land. Und nicht genug, dass er sein Amt aufgeben musste. Kurz nach seiner Abdankung wurde er sogar verhaftet.
"Es fällt auf, dass immer zwei, drei Monate vor dem 9. Dezember Fälle dieser Art durch die ägyptische Regierung aufgedeckt werden", sagt Abdel Moaty. Der 9. Dezember ist der Welt-Anti-Korruptionstag. "Das soll zeigen, dass die Regierung ernsthaft gegen Korruption vorgeht." Schließlich habe das Land im Jahr 2003 das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption unterzeichnet und ratifiziert: "All diese Maßnahmen sind politische Show!"
Meint es Präsident Al-Sisi also nicht ernst mit seiner Kampf-Ansage? Doch, meint Abdel Moaty. Der Wille sei da, aber leider habe der Präsident nicht die Macht, das Problem alleine zu lösen. Und an allen anderen Stellen hake es.
Den Eindruck haben auch die Ägypter. Seit Mariam Malak mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen ist, trauen sich nun auch andere Gruppen auf die Straße. In Alexandria, vor dem Bildungsministerium, vor dem Journalisten-Syndikat - überall protestieren junge Ägypter offen gegen die Korruption im Bildungswesen.
Mariam wollte eigentlich Medizin studieren. Mit null Prozent in ihrer Abschlussprüfung kann sie das vergessen. Ihr Fall liegt mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft in Kairo. Mariam hofft nun, dass ein Schriftvergleich Klarheit bringt. "Ich bin bereit, diesen Vergleich zu machen. Egal, wann", sagt sie mit fester Stimme im ägyptischen Fernsehen. Von Tränen keine Spur mehr. Mariam Malak hat beschlossen, die Korruption nicht gewinnen zu lassen.
Elisabeth Lehmann
© Deutsche Welle 2015