Die Religionen und das Coronavirus
Der Papst in Rom wirkt wie ein hinter den Mauern des Vatikan abgeschotteter Mann und feiert frühmorgens die offiziell einzige Messe ganz Italiens. Bischöfe und Kirchenleitungen unterschiedlicher Nationalität und Bekenntnisse sagen Konferenzen ab. Reihenweise bleiben in den USA Synagogen geschlossen. Das jüdische Purim-Fest vor wenigen Tagen, eigentlich ein farbenfrohes Spektakel wie Karneval, lief auf Sparflamme oder gar nicht. Einschränkungen gibt es auch für das ähnlich bunte Holi-Fest der Hindus in Indien.
Auf islamischer Seite erklärt der Zentralrat der Muslime, dass es islamisch "statthaft" sei, wenn eine örtliche "Moschee wegen der gesundheitlichen Vorsorge oder aufgrund eines Verdachtsfalles das Freitagsgebet und andere Gebete aussetzt". Der Münsteraner Islamwissenschaftler und Religionspädagoge Mouhanad Khorchide hebt die Schließung der Großen Moschee in Mekka hervor. "Das war die stärkste denkbare Maßnahme und zeigte, wie groß die Verantwortung, wie ernst die Lage ist", so Khorchide im Gespräch mit der Deutschen Welle. Klar ist: in Kirchen, Synagogen, Moscheen, Tempeln ändern sich gerade Rituale und Gewohnheiten.
Gemeinschaft und Sinnlichkeit
Religion baut tendenziell – bei Gottesdiensten oder Pilgergängen – auf Gemeinschaft auf und auf Sinnlichkeit. Da küsst man reihenweise heilige Steine oder Torarollen, Gebetbücher oder Kreuze, und alle trinken aus dem gleichen Kelch. Vorerst vorbei. Der Petersdom in Rom ist komplett geschlossen, wichtige Kirchen wie der Wiener Stefansdom beschränken den Zugang drastisch, in Israel senkt die Regierung die Besucherzahl für alle Synagogen des Landes. Und niemand küsst mehr Gegenstände der Verehrung.
Der Krisenforscher Frank Roselieb nennt das Vorgehen der Kirchen in Deutschland richtig. Sie trügen Verantwortung gegenüber Ihren Gläubigen. Den jeweiligen Risikoanalysen lägen klare, nachvollziehbare Kriterien des Robert-Koch-Instituts zugrunde. Roselieb erwartet, dass auch der traditionelle Papstsegen am Ostersonntag vor vielen tausend Menschen auf dem Petersplatz ausfällt. "Der Ostersegen hat eher die Dimension eines Fußballspiels und sollte damit abgesagt werden", sagte er der Deutschen Welle. Das sei wichtiger als die Streichung von Konfirmanden-Unterricht in kleiner Gruppengröße.
Religiöse Ignoranz
Auffallend ist, dass Religionen die Ausbreitung des Coronavirus auch selbst beschleunigt haben. In Südkorea war es eine christliche Endzeit-Sekte, die staatliche Appelle ignorierte und für einen explosionsartigen Anstieg der Zahl der Infizierten sorgte. Im Iran wurde Ghom, eine der wichtigsten Städte für schiitische Lehre, zur Quelle für tausende Infektionen. Die Ayatollahs des klerikalen Patriarchats verwahrten sich gegen eine Quarantäne. Nun hat das ganze Land zu kämpfen.
Die meisten Imame in Europa sind da wohl weiter. Khorchide spricht von einer "durchaus positiven Rolle", da verantwortungsbewusste Geistliche frühzeitig für Verzicht aufs Händeschütteln und Sorge für alte oder geschwächte Menschen geworben hätten.
Warnung vor Apokalyptik
Aber auch der Islamwissenschaftler kennt "Verschwörungstheorien" über Corona. Er spricht von "bestimmten Ländern im Süden", in denen muslimische Geistliche die Pandemie als "Strafe Gottes" verklärten. Das sei ein "Missbrauch der Autorität des Imam".
Missbrauch auf andere Art, eher eine Ignoranz des Virus gibt es auch in rechtskatholischen Kreisen in den USA oder in Italien. Sie lästern über Vorgaben oder Verbote. Und angesichts des Verzichts auf Gottesdienstfeiern in Italien bis Anfang April schwärmen sie von einer Untergrundkirche und knüpfen damit an die Kirche des Widerstands in dunklen Zeiten des Kommunismus an.
Krisenforscher Roselieb kennt solche Stimmen und warnt vor Apokalyptik und Alarmismus. Deshalb sollten die Religionsgemeinschaften nach seiner Überzeugung zwar bei praktischen Fragen Verantwortung übernehmen, sich aber aus der inhaltlichen Debatte um das Virus ganz heraushalten. Sonst würde dies nur "Apokalyptikern Auftrieb verleihen" oder sie "gleichsam adeln". Nach dem Motto "Die Situation ist so dramatisch, dass sich sogar der Papst beim Thema Corona zu Wort meldet."
Roselieb sieht grundsätzlich einen Hang dazu, "dem Thema apokalyptische Züge zu verleihen - nicht durch die Kirchen oder Religionsgemeinschaften selbst, sondern durch Verschwörungstheoretiker". Das sei, beispielsweise, vor der Jahrtausendwende so gewesen, also noch vor den Zeiten Sozialer Medien und Fake News.
Christoph Strack
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