Bildung für Indonesiens Slumkinder
Es ist Unterrichtsstunde im Community House von Manggarai, einem Slum mitten im Zentrum Jakartas. Rund 30 Kinder zwischen vier und sieben Jahren sitzen hier dicht gedrängt auf dem Fußboden im Kreis und lernen. Mit viel Musik, Gruppenarbeiten und Frage-Antwort-Spielen werden sie auf die Schule vorbereitet.
Es ist für indonesische Verhältnisse keine Selbstverständlichkeit, denn ohne das Community House der "Indonesian Street Children Organisation" (ISCO) würden diese Kinder es höchstwahrscheinlich überhaupt nicht auf eine staatliche Schule schaffen.
Die Kinder lernen erste Grundkenntnisse in Naturwissenschaften, Mathematik, Indonesisch, Englisch und Kunst, erzählt Ledi, die als ehrenamtliche Tutorin für die ISCO arbeitet. Grundsätzlich herrsche in Indonesien zwar Schulpflicht, oft aber nur auf dem Papier. Denn die Kinder, die im Slum aufwachsen, besitzen keine Geburtsurkunden und sind nirgendwo registriert. Deshalb nimmt sie keine Schule auf.
Treffpunkt Community House
Das Community House der ISCO ist zwar nur ein etwas windschiefes, zweistöckiges Holzhaus. Im Vergleich zu den Wohnungen der Slumkinder, sagt Tutorin Ledi, ist es aber schon beinahe luxuriös ausgestattet: "Die Häuser besitzen nur einen Raum, in dem fünf bis sieben Personen gleichzeitig leben - und das unter sehr schlechten Umständen."
Kaum jemand in Manggarai besitzt genug zum Leben. Die meisten Slumbewohner schlagen sich als Müllsammler durch und versuchen so, über die Runden zu kommen. "Oft müssen auch die Kinder schon von klein auf mit anpacken", erzählt Ledi.
Allein auf der Hauptinsel Java sollen bis zu fünf Millionen Kinder in Slums aufwachsen. Das Schicksal dieser Kinder liegt Josef Fuchs besonders am Herzen. Der österreichische Geschäftsmann lebt schon seit über 30 Jahren in Indonesien.
Vor 13 Jahren hat er gemeinsam mit einem französischen Partner die ISCO gegründet, um zumindest einigen der vernachlässigten Slumkindern die Chance auf eine bessere Zukunft zu geben.
2.500 Slumkindern habe seine ISCO mittlerweile den Schulbesuch ermöglicht, erzählt Fuchs nicht ohne Stolz. Mittlerweile ist seine Organisation in 29 verschiedenen Slums aktiv, nicht nur in Jakarta, sondern auch in anderen Millionenstädten wie Surabaya oder Medan.
Den Kern der Aktivitäten bildet dabei das so genannte Community House - der Treffpunkt für die Kinder im Slum. Das Community House ist eine Art Ganztagsvorschule, erklärt Josef Fuchs. Vormittags gibt es einen Kindergarten für die Kleinsten, nachmittags Hausaufgabenbetreuung für die Größeren. Darüber hinaus werden die Kinder im Community House verpflegt. "Nur einmal in der Woche müssen die Kinder ihr Essen von zu Hause mitnehmen", erklärt Fuchs, "damit wir auch sehen, dass die Eltern auch zu Hause kochen und sich nicht nur auf uns verlassen."
Eine Chance für möglichst viele Kinder
In den Slums, sagt Fuchs, werden bewusst keine einzelnen besonders begabten Kinder herausgepickt. Vielmehr sollten möglichst viele Kinder auf die Schule vorbereitet werden. Hierbei betreibt die ISCO keine eigenen Schulen, sondern arbeitet mit staatlichen Bildungseinrichtungen zusammen. Mit Erfolg! "22 Prozent unserer Kinder gehören in den Klassen zu den Top Ten", sagt Fuchs stolz.
Dafür übernimmt die ISCO sämtliche Schulkosten: Transport, Uniform, Lehrbücher. Außerdem stellt die Organisation Tutoren, die Nachhilfe bei den Hausaufgaben geben. Und auch nach dem Schulabschluss werden die Kinder nicht sich selbst überlassen, verspricht der in Indonesien gut vernetzte Geschäftsmann Fuchs: "Wir können garantieren, dass diese Kinder nach der Highschool auch eine Berufsausbildung bekommen." Eine junge Indonesierin hat es jüngst als erstes Slumkind sogar bis an die Universität geschafft.
Doch bis es soweit ist, werden die Kinder intensiv begleitet. Jeden Tag, wenn der Unterricht vorbei ist, müssen sich die ISCO-Schüler erneut im Gemeinschaftshaus melden. So kann die ISCO kontrollieren, ob die Kinder gesund sind und ob sie auch wirklich gelernt und nicht für Geld gearbeitet haben.
Die Kinder von Manggarai scheinen begriffen zu haben, welche Chance sich ihnen durch die ISCO bietet. Begierig saugen sie alles auf, was Tutorin Ledi ihnen erzählt. Und auch die Lehrerin ist zufrieden damit, wie ihre Schüler im Unterricht mitziehen. "Die meisten Kinder kommen gerne hierher", sagt sie, "sie freuen sich darüber, gemeinsam hier zu spielen und für eine bessere Zukunft zu lernen."
Thomas Latschan
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de