Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
2009 wurde im direktdemokratisch geprägten politischen System der Schweiz ein Minarettbauverbot eingeführt und erhielt damit Eingang in die Bundesverfassung. Seither heißt es in dem letzten der drei Paragraphen des Artikel 72 'Kirche und Staat': "Der Bau von Minaretten ist verboten". Zwar widerspricht der Text der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welche 1974 in Kraft trat. Doch schien dies dort niemanden der Proponenten der Volksabstimmung sonderlich zu stören.
Anders verhielt es sich im Nachbarland Österreich, wo noch vor dem Schweizer Votum in zwei Bundesländern ein Moschee- und Minarettbauverbot eingeführt wurde. In Vorarlberg wurde dieses Vorhaben mit den Stimmen der konservativen Volkspartei erstmals umgesetzt, nachdem der damals noch lebende Jörg Haider als Landeshauptmann in Kärnten diese Initiative gestartet hatte. In Kärnten brauchte es noch ein halbes Jahr länger als in Vorarlberg.
Im Unterschied zur Schweiz führte man jedoch kein explizites Verbot gesetzlich ein, sondern wählte stattdessen eine indirekte Verhinderungstaktik. So wurde in Kärnten die Bauordnung und das Ortsbildpflegegesetz novelliert, während in Vorarblerg eine Novellierung des Vorarlberger Baugesetzes durch das Ortsbildschutzrecht und das Veranstaltungsstättenrecht unternommen wurde. Dies wurde mitunter deswegen gemacht, um nicht – wie im Schweizer Fall – offensichtlich gegen Artikel 9 der EMRK zu verstoßen. Aus Artikel 9 lässt sich ableiten, dass die Errichtung sowie der Erhalt von Gebetsstätten durch das Grundrecht auf Religionsfreiheit garantiert ist.
Gesetzesinitiative ausschließlich gegen Muslime
Eine ähnliche Strategie lässt sich heute erneut im Falle der anhaltenden Debatte um das sogenannte Kopftuchverbot für muslimische Schülerinnen in Kindergärten sowie in der Grundschule in Österreich (sowie in Deutschland) beobachten. Verlautbart wurde diese Gesetzesinitiative, die noch vor den Sommerferien vorgelegt werden soll, von der neuen rechtskonservativen österreichischen Regierung.
Die beiden Koalitionspartner legitimieren ihr Gesetzesvorhaben mit dem Kampf gegen eine angebliche "Entwicklung einer Parallelgesellschaft" und einer "möglichen Diskriminierung". Sie will damit also junge Mädchen schützen. Als der hauseigene Verfassungsdienst des österreichischen Parlaments zu bedenken gab, dass ein solches Verbot zwar möglich wäre, jedoch alle religiösen Kopfbedeckungen davon betroffen wären, erklärte die Regierung, dass dies nicht beabsichtigt sei. Insbesondere die Israelitische Kultusgemeinde machte deutlich, dass ein Verbot etwa der Kippa inakzeptabel sei.
Österreichs Regierung konzentriert sich nun insbesondere darauf, dieses Verbot im Rahmen eines "Kinderschutzgesetzes" einzubetten und dabei ausschließlich die islamische Kopfbedeckung in den Fokus zu nehmen. Darin offenbart sich eine perfide Strategie, die bereits zuvor im Falle des Islamgesetzes von 2015 sowie beim Integrationsgesetz von 2017 auf eine Lex Islam abzielte.
Desintegrative Wirkung durch Kopftuchverbot
Drei wichtige Eckpunkte sollten hierbei vollständigkeitshalber Erwähnung finden: Zum einen ist das anvisierte Verbot ist insofern in erster Linie ein Non-Issue, weil das Tragen einer Kopfbedeckung bei muslimischen Mädchen in diesem Alter nicht die Realität widerspiegelt.
Es wird aber zweitens vermutlich eine desintegrative Wirkung auf die soziale Kohäsion haben. Drittens – und dies ist der zentralste Punkt – besteht die Funktion dieser Initiative in erster Linie darin, von größeren sozio-ökonomischen Reformen, die insbesondere die Arbeiter betrifft, abzulenken. Gleichzeitig wurde aber bereits signalisiert, dass ein sogenanntes Kopftuchverbot auch für Schülerinnen bis zum Abitur sowie für den Hochschulbereich ausgeweitet werden könne, auch wenn dies derzeit nicht Gegenstand des Gesetzes ist.
Ist es aber so einfach, dieses Verbot im Rahmen eines "Kinderschutzgesetzes" zu erwirken, ohne dabei gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zu verstoßen? So leicht wie im Falle anderer diskriminierender Gesetze gegen Muslime wird sich der Weg dieses Mal wohl nicht gestalten – nicht zuletzt, weil Teile des möglichen Gesetzes, insbesondere das Verbot in Kindergärten, nur mithilfe einer Verfassungsmehrheit möglich ist, was wiederum einer Unterstützung der Opposition bedarf.
Auch ein Widerspruch seitens der betroffenen "Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich" (IGGiÖ), einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, könnte das Vorhaben fundamental in Frage stellen. Schließlich kann die IGGiÖ das Recht muslimischer Kinder auf islamische Glaubenspraxis in Kindergärten und Schulen einfordern, selbst wenn dies keine religiöse Verpflichtung im engeren Sinne darstellt.
Unterschiedliche Behandlung religiöser Gruppen
Das gilt insbesondere dann, wenn die IGGÖ das religiöse Erziehungsrecht der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten respektiert und die Respektierung dieses Rechts auch in staatlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen unterstützt. Zudem ließe sich gegen ein solches Gesetz leichter klagen, da es von betroffenen Individuen aufgegriffen werden kann.
Unabhängig vom Verlauf, der dieser Gesetzesinitiative noch bevorsteht, bleibt vor allem eine religionspolitische Konstante erhalten: die unterschiedliche Behandlung religiöser Gruppen. In diesem Fall: der explizite Ausschluss jüdischer Kinder von einem Verbot, das explizit nur Musliminnen treffen soll. Doch mit menschenrechtlichen Standards wird sich das nur schwer argumentativ vereinbaren lassen.
Dafür müssen aber wohl rassistische Imaginationen eines angeblich hypersexuellen-maskulinen muslimischen Patriarchats bedient werden, um jene zweifelhafte Argumentation nachvollziehbar zu machen.
Farid Hafez
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Farid Hafez ist Politikwissenschaftler an der Universität Salzburg sowie Senior Scholar bei "The Bridge Initiative" an der Georgetown University in Washington D.C.