"Nicht unser Krieg"
Eine Weile schien ihr Entschluss festzustehen: Sie würden in die Ukraine gehen und sich den internationalen Freiwilligen anschließen, die auf der Seite Kiews gegen Russland kämpfen.
Denn die Bomben, die Putin auf die Ukraine werfen lässt, erinnerten sie an jene, die einst ihre Heimatstadt Aleppo verwüsteten. Verantwortlich für die Zerstörung waren das Assad-Regime und dessen wichtigste Schutzmacht: Russland. Doch dann änderten die drei jungen Syrer ihre Meinung: Sie würden sich nicht an dem Kampf beteiligen.
"Warum sollten wir in einem fremden Krieg kämpfen?", fragt einer von ihnen im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die drei Freunde, alle Anfang 30, sind Flüchtlinge und leben seit 2015 in Deutschland. Ihre Namen wollen sie nicht veröffentlicht sehen.
"Wir haben unsere eigenen Probleme", sagt ein anderer. "Assad ist immer noch an der Macht, die Russen unterstützen ihn weiterhin - und niemand interessiert sich dafür." Ihre Heimat, deuten sie an, werde vom Westen alleine gelassen.
Längst nicht alle Syrer sind dieser Ansicht, im Gegenteil: Viele haben sich an Solidaritätskundgebungen für die Ukraine beteiligt, auch in Deutschland. Und doch haben viele Menschen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas ein ambivalentes Verhältnis zum Krieg im Osten Europas.
Vorwurf der Heuchelei
Dieses spiegelt sich auch in den Medien. Kommentatoren großer arabischer Zeitungen attestieren dem Westen eine Politik der Heuchelei. Der Westen pflege eine Doppelmoral, so ein oft gelesenes Argument mit Verweis auf die Konflikte in Afghanistan, Irak, Syrien und auf die Lage der Palästinenser. Auch der Umgang Europas mit Flüchtlingen aus dem Nahen Osten sei ein anderer als mit den Geflüchteten aus der Ukraine.
"Wenn Sie Putin für einen Verbrecher halten, weil er militärisch gegen die Ukraine vorgegangen ist, und Sie dann nicht dasselbe über George Bush Jr., Dick Cheney, Donald Rumsfeld und Colin Powell denken, die einst den Irak besetzten, dann funktioniert Ihr Hirn nicht richtig", twitterte Ahmad al-Farraj, Kolumnist der konservativen saudischen Tageszeitung Al Jazirah.
Das sehen teils auch westliche Nahost-Beobachter so. Die Tragödie in Syrien "hat im Westen keine Reaktionen hervorgerufen, die auch nur ansatzweise vergleichbar wären mit der Solidarität für die Ukraine", schreibt etwa Michael Young vom Carnegie Middle East Center.
Ein Autor der marokkanischen Netzzeitung Hespress hat die Reaktionen des arabischsprachigen Publikums in den sozialen Medien analysiert. Er kommt zu dem Schluss, dass viele der wütenden Einträge mehr mit anti-amerikanischen Gefühlen zu tun haben als mit echter Sympathie für die russische Invasion in der Ukraine.
So manch einfacher Bürger sieht die Ukraine als Bühne für eine globale Auseinandersetzung. "In der Ukraine sieht man die schmutzige Konkurrenz zwischen Amerika, Russland und Europa", sagt etwa Mohammed Filali, ein Apotheker aus Rabat, der Deutschen Welle. "Die drei konkurrieren auf dem Territorium der Ukraine, und das ukrainische Volk zahlt dafür einen hohen Preis", so der Marokkaner.
Eher USA-kritisch als pro-ukrainisch
Meinungen wie diese sind im Nahen Osten und in Nordafrika nicht ungewöhnlich. Im Arab Opinion Index 2019-2020, einer in 13 arabischen Ländern durchgeführten repräsentativen Umfrage, äußerte sich über die Hälfte - 58 Prozent - der Befragten negativ über die US-amerikanische Nahost-Politik. Die Politik Moskaus hingegen hingegen sahen nur 41 Prozent der Befragten ähnlich kritisch. Dieses Stimmungsbild ist seit über einem Jahrzehnt in etwa konstant.
Die meisten Menschen der Region, gibt der Arab Opinion Index zu erkennen, sorgen sich vor allem um die Entwicklung in ihren eigenen Ländern - allen voran die der Wirtschaft. Mehr als der Hälfte der Befragten - 57 Prozent - machen sich Sorgen um die Zukunft. Für sie sind Arbeitslosigkeit, Inflation und Armut die größten Herausforderungen. Auch Korruption und Fragen der politischen Stabilität beunruhigen viele der Befragten.
Viele Bürger in arabischen Ländern sehen allerdings auch einen Zusammenhang zwischen dem Krieg in der Ukraine und den größer werdenden Problemen in ihren Heimatländern. Er verfolge die Situation in der Ukraine sehr aufmerksam, sagt etwa Mohammed Karim aus Bagdad. "Der Krieg hat auch Auswirkungen auf den Lebensunterhalt der Menschen hier", so der 39-Jährige zur Deutschen Welle. "Er hat bereits zu einem Anstieg der Preise und zur Verknappung einiger Waren geführt."
Die Ukraine und Russland exportieren traditionell erhebliche Mengen an Weizen und Speiseöl in den Nahen Osten. Durch den Krieg hat sich das geändert, befürchtet wird deshalb vielerorts eine Verschärfung der ohnehin schon lange schwelenden wirtschaftlichen Krisen bis hin zu einer handfesten Ernährungskrise mit sozialen Unruhen. Die Preise für Weizen und Speiseöl - ebenso für Benzin - sind in den letzten Wochen erheblich gestiegen, ein Umstand, der beispielsweise in einigen Teilen des Irak bereits zu Protesten geführt hat.
Regime wollen Moskau nicht verärgern
Vorsichtig zeigen sich auch die überwiegend autoritären Regierungen der Region. Bei der Abstimmung der Vereinten Nationen über die Aussetzung der russischen Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat unterstützte nur ein arabisches Land den Antrag, nämlich Libyen.
Zwar stimmten nur zwei Länder - Syrien und Algerien - ausdrücklich gegen den Antrag. Doch bemerkenswert ist, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Länder sich unentschieden zeigte: Sie enthielten sich entweder der Stimme oder nahmen erst gar nicht an der Sitzung teil.
Die meisten Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas pflegen bis heute zwar freundschaftliche Beziehungen zu den USA, sind nicht selten auch Empfänger von amerikanischen und europäischen Finanzhilfen unterschiedlicher Art. Aber sie wollen auch ihr Verhältnis zu Russland nicht gefährden, zumal viele Regime der Region Moskau als einen "Partner" kennen und sicherlich auch schätzen, der anders als westliche Länder keine für sie unbequemen Fragen oder sogar Forderungen bei Menschenrechten und Meinungsfreiheit stellt.
"Der Irak hat richtig entschieden", kommentiert denn beispielsweise auch der irakische Journalist Rami al-Saleh die Enthaltung seines Landes bei der Abstimmung zur UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Angriffs. "Sämtliche in diesem Jahrhundert geführten Kriege haben Auswirkungen weit über die Grenzen der kriegsführenden Parteien hinaus. Was den Irak angeht, so muss er überall seine Verbündeten behalten, sowohl mit Blick auf seine wirtschaftlichen Probleme als auch wegen des Kampfs gegen den Terror."
Tatsächlich hätten die meisten Staaten der Region bei der UN-Abstimmung die real existierende multipolare Weltordnung berücksichtigt, sagt Samuel Ramani, Dozent für internationale Beziehungen an der Universität Oxford in Großbritannien. "Für sie ist Russland eine der Säulen der derzeitigen Weltordnung".
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Redaktionelle Mitarbeit: Abdessamad Jattioui, Marokko, und Ibrahim Saleh, Irak.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.