Das Prinzip Sohn
Der Sprecher des syrischen Staatsfernsehens kämpft mit den Tränen, als er am 10. Juni 2000 die Nachricht vom Tod Hafiz Al- Assads verliest: "Sein Mut war ungebrochen, seine Visionen waren nie beschränkt, seine Überzeugungen unerschütterlich."
Der Tod des Präsidenten versetzt Syrien in eine Art Schockstarre. 30 Jahre lang hatte Hafiz Al-Assad das Land regiert, hatte es außenpolitisch zu einer bedeutenden Regionalmacht entwickelt und innenpolitisch mit eiserner Faust stabilisiert.
Der "Löwe von Damaskus", wie er in Anlehnung an seinen Namen "Assad", dem arabischen Wort für Löwe, genannt wird, galt als kluger Stratege und gewiefter Strippenzieher, aber auch als unnachgiebig und gnadenlos gegenüber politischen Gegnern. Den Zuschauern an den Fernsehgeräten im Lande ist klar: Eine Ära geht zu Ende.
Kluger Stratege und gnadenloser Herrscher
Eine Ära, die vom Einfluss des Militärs geprägt war, denn der 1930 geborene Hafiz Al-Assad hat eine militärische Laufbahn absolviert. In den 1950er Jahren wird er - teilweise in der Sowjetunion - zum Piloten ausgebildet, später übernimmt er das Amt des Luftwaffenchefs und Verteidigungsministers, bevor er 1970 durch einen Militärputsch Präsident wird.
Die Syrer wünschen sich damals vor allem eines: Stabilität. Zwischen ihrer Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1946 und der Machtübernahme durch Hafiz Al-Assad haben sie 14 Präsidenten erlebt, manchmal vergingen nur Monate bis zum nächsten Putsch.
Hafiz Al-Assad stützt seine Macht deshalb auf das Militär und die Geheimdienste - und macht aus dem Vielvölkerstaat Syrien eine selbstbewusste Nation.
Ideologisch propagiert er den arabischen Nationalismus, der religiöse, konfessionelle und ethnische Unterschiede in den Hintergrund treten lässt.
Als Angehöriger der lange Zeit benachteiligten alawitischen Minderheit setzt Hafiz Al-Assad auf die sozialistisch-säkularen Ideen der Baath-Partei. Das bis dahin dominierende, überwiegend sunnitische städtische Bildungsbürgertum verliert unter seiner Regentschaft an Einfluss.
Relikte aus dem Kalten Krieg
Im Jahr 2000 wirkt das Land jedoch, als sei die Zeit stehengeblieben. Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion herrscht in Damaskus weiterhin real existierender Sozialismus.
Syriens Staatsapparat, die öffentliche Verwaltung, Geheimpolizei und das Ein-Parteien-Regime erscheinen wie Relikte aus dem Kalten Krieg, das Land droht den Anschluss an die Moderne zu verpassen.
Der erst 34jährige Bashar Al-Assad tritt das Präsidentenamt deshalb unter völlig anderen Vorzeichen an: Seinem Vater ging es um Kontinuität, ihm geht es um Veränderung.
Doch Bashar ist unerfahren. Groß, schlacksig und mit fliehendem Kinn wirkt er unsicher und jungenhaft, viele zweifeln an seinen staatsmännischen Fähigkeiten. Ursprünglich war nicht er für die Nachfolge vorgesehen, sondern sein älterer Bruder Basel. Als dieser 1994 bei einem Autounfall stirbt, rückt Bashar nach und gibt dafür seine in London begonnene Spezialisierung als Augenarzt auf.
Reibungslose Erbfolge
Um den frühzeitig geplanten Generationswechsel an Syriens Staatsspitze zu garantieren, hatte Hafiz Al-Assad die Machtübergabe von langer Hand vorbereitet.
Rechtzeitig vor seinem Tod beseitigt er einflussreiche Figuren innerhalb des Regimes, die seinem Sohn gefährlich werden könnten. Im Juni 2000 hinterlässt er eine Führungsriege, die geschlossen hinter Bashar steht – die Erbfolge verläuft dadurch reibungslos.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Todes senkt das Parlament das Mindestalter des Präsidenten von 40 auf 34 Jahre, eine Woche später ernennt die Baath-Partei Bashar Al-Assad zum Generalsekretär, Präsidentschaftskandidaten und Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Einen Monat darauf wird er durch ein Referendum, das demokratischen Mindeststandards nicht standhält, mit 97 Prozent der Stimmen gewählt, am 17. Juli 2000 wird Bashar Al-Assad vereidigt.
Beeinflussbarer Konsenskandidat
Für die langjährigen Weggefährten seines Vaters, die nach wie vor an den Schalthebeln der Macht sitzen, ist Bashar ein willkommener Konsenskandidat. Denn jung wie er ist, erscheint er der alten Garde leicht beeinflussbar und steuerbar zu sein.
Der 34Jährige muss sich deshalb zunächst von ihrem Einfluss befreien, erklärt Peter Harling, Syrien-Experte der International Crisis Group (ICG). "In einem System wie dem syrischen kann die Macht nicht einfach vom Vater zum Sohn übertragen werden", sagt Harling.
Der Sohn müsse seine eigene Machtbasis aufbauen und sich den Respekt und das Vertrauen der Elite erst verdienen. "Im Gegensatz zum Irak vor 2003 ist das hier kein Tyrannenstaat, wo ein allmächtiger Diktator dem Land seine Entscheidungen aufzwingt", betont der ICG-Vertreter.
In Syrien gebe es einen kollektiven Entscheidungsfindungsprozess, in dem der Präsident seine Führungsfähigkeiten unter Beweis stellen müsse, meint Harling.
Während Bashar Al-Assad innerhalb des Systems mit dem Erbe seines Vaters kämpft, gewinnt er bald die Sympathie des Volkes. Als Computer-Fan macht er das Internet für die breite Bevölkerung zugänglich, erlaubt Satellitenfernsehen und private Medien.
Vor allem aber gibt er sich volksnah. Mal taucht das Präsidentenpaar in der Oper auf, mal mit den drei Kindern in einem Ausflugslokal. Keine übertriebenen Inszenierungen, sondern eine syrische Vorzeigefamilie, so wirken die Assads in der Öffentlichkeit, meint Janbulat Shakai, der Politikchef der syrischen Tageszeitung Al Watan.
"Bashar Al-Assad macht alle paar Wochen einen Überraschungsbesuch irgendwo in Syrien", sagt er und verweist auf die Rolle der First Lady. "Die Frau von Hafiz Al- Assad hat das syrische Volk nur ein einziges Mal bei einem Staatsbesuch in der Sowjetunion zu Gesicht bekommen", erinnert sich der Journalist.
Neuer Regierungsstil
Dagegen zähle die jetzige Präsidentengattin zu den präsentesten Personen im Land. Asma Al-Assad, eine ehemalige Investmentbankerin, die in London aufgewachsen ist und studiert hat, arbeitet aktiv in der Armutsbekämpfung, fördert die ländliche Entwicklung und die Rolle der Frau in Syrien.
Weltgewandt bewegt sich die 34jährige Mutter von drei Kindern auf dem internationalen Parkett und verkörpert dabei den Generationswechsel an Syriens Staatsspitze so deutlich wie niemand sonst.
Durch die Präsidentschaft von Bashar Al-Assad habe sich außerdem ein neuer Regierungsstil durchgesetzt, meint Syrien-Experte Peter Harling. Im persönlichen Umgang und in seiner Gesprächsführung unterscheide sich Bashar deutlich von seinem Vater, erklärt er.
"Er ist entgegenkommend, hört gut zu, ist sehr genau in seinen Antworten und bei vielen Themen überzeugend", so Harling. Während Hafiz Al-Assad Ausländer immer belehrt habe und auf ihre Fragen mit ausufernden Vorträgen über die Geschichte und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart geantwortet habe, könne man mit Bashar eine strukturierte Konversationen führen, sagt der in Damaskus lebende ICG-Vertreter.
Seiner Erfahrung nach hat sich diese Art zu kommunizieren innerhalb des Systems verbreitet und wird inzwischen von den meisten offiziellen Vertretern praktiziert.
Innenpolitischer Stillstand
Innenpolitisch lassen Veränderungen jedoch auf sich warten. Während Bashar Al-Assad als junger aufgeschlossener Präsident überzeugt, bringen die noch immer mächtigen Geheimdienste seine Kritiker hinter den Kulissen zum Schweigen.
Bis heute regiert die Baathpartei, der seit 1963 aufrechterhaltene Ausnahmezustand hebelt die regulären Gesetze aus und führt zu juristischer Willkür und politischer Verfolgung.
Dabei sei Bashar Al-Assad durchaus in der Lage, daran etwas zu ändern, meint Peter Harling, denn die Zeit der alten Garde sei vorbei. "In letzter Zeit hat der Präsident gezeigt, dass er die Kontrolle hat, er hat einige klare Entscheidungen gegen den Rat und gegen die Interessen anderer hoher Entscheidungsträger innerhalb des Machtapparates durchgesetzt", sagt er.
Bashar Al-Assad habe eine neue Generation von Regierungsvertretern eingeführt und wichtige Posten innerhalb des Regimes mit Vertrauten und Gleichgesinnten besetzt, betont der ICG-Vertreter.
Diese Leute braucht Assad nun dringend, um überfällige wirtschaftliche und soziale Reformen durchzusetzen. In den vergangenen Jahren habe er vor allem Krisen gemanagt und ausländischen Druck abgewehrt, sagt der Nahostexperte.
Jetzt müsse Bashar sich auf das besinnen, wofür er im Jahr 2000 angetreten sei: eine Modernisierung Syriens. Das wird laut Harling der eigentliche Test für die Führungsqualitäten des noch immer jungen syrischen Präsidenten.
Kristin Helberg
© Deutsche Welle 2009
Kristin Helberg lebt seit 2001 als freie Korrespondentin für zahlreiche deutsche und englische Medien in Damaskus.
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