Im Schatten der Ikone

In Myanmar kommt es seit Juni 2012 wiederholt zu blutigen Konflikten zwischen Buddhisten und Muslimen. Menschenrechtler werfen der Regierung und staatlichen Sicherheitskräften ethnische Säuberungen, Mord und Verfolgung vor. Über das Schicksal der muslimischen Rohingya in Myanmar informiert Charlotte Wiedemann.

Von Charlotte Wiedemann

Ob es uns berührt, wenn Menschen in einem entfernten Winkel der Erde drangsaliert werden, das hängt von zwei Faktoren ab. Nehmen sich die Medien, soziale Netzwerke inbegriffen, des Geschehens an, verkürzen sie für uns die geographische und kulturelle Distanz? Und: Gibt es Ikonen des Leids oder des Kampfes, Objekte der Identifikation, in denen sich Drama und Unrecht auf eine Weise spiegeln, die uns – mit unserer westlichen Sozialisation – ergreift?

Myanmar, von manchen noch Burma genannt, ist wie ein Schaukasten für die Wirkungsweise dieser Mechanismen – und ihre seltsamen Resultate. Niemand verkörperte in der Vergangenheit die Ikone so perfekt wie Aung San Suu Kyi, die Lady mit der Blume im Haar. Fast scheint es, als habe der Begriff mit ihr überhaupt erst politisches Leben gewonnen, so sehr hat sich die Silhouette der Graziösen dem politischen Bild-Gedächtnis eingeprägt.

Staatenlos und ausgegrenzt

Fern von diesem Lichtkegel lebt in Myanmar eine Million Menschen im Schatten: die Rohingya, zu Staatenlosen erklärt und fast aller Bürgerrechte beraubt. Sie dürfen ohne behördliche Genehmigung nicht reisen, dürfen nicht mehr als zwei Kinder haben. Die Vereinten Nationen nennen die Rohingya eine der am heftigsten verfolgten Minderheiten der Welt.

Es handelt sich um eine muslimische Minderheit in einem vorwiegend buddhistischen Land.Die Rohingya haben keine Ikone, es gibt kaum Berichte, kaum Bilder; niemand identifiziert sich mit ihnen. Ihr Leid hat kein Gesicht und kein Gewicht, und es kann nicht andocken an einer größeren Erzählung, jedenfalls nicht bei uns, denn die große Erzählung handelt von Muslimen als Tätern, nicht als Opfern.

Myanmar hat jetzt Geldautomaten und Baustellen für Luxus-Ressorts. Die USA und die Europäische Union heben die Sanktionen auf, und Suu Kyi möchte Präsidentin werden. Für die Rohingya Menschenrechte zu fordern, ist nicht populär.

Rohingya protestieren gegen ihre Verfolgung in Myanmar; Foto: dapd
Ausgrenzung mit System: Die Rohingya sind teils seit Generationen in Myanmar lebende Muslime, denen der Staat die Staatsbürgerschaft verweigert. Immer wieder kommt es zu Übergriffen radikale Buddhisten, teils angeleitet von Mönchen, auf die Rohingya. Seit 2012 sind bei Zusammenstößen über 200 Menschen umgekommen; mehr als 140.000 Rohingya wurden vertrieben.

Gegenwärtig werden die Daten einer Volkszählung ausgewertet; im Vielvölkerstaat Myanmar ein wichtiger Schritt zur Vorbereitung der Wahlen 2015, zur Klärung von Fragen der Repräsentanz. Die Rohingya sind dabei außen vor.

Die Rohingya zählen nicht

Wer sich gegenüber den Zählern, die nach Ethnie und Religion fragten, als Angehöriger der muslimischen Minderheit zu erkennen gab, wurde auf Anweisung der Regierung nicht erfasst. Denn die Rohingya mitzuzählen, hätte als erster Schritt zur Staatsbürgerschaft missverstanden werden können, meinte der Bevölkerungsminister. In der offiziellen Lesart, die anscheinend von vielen Landsleuten geteilt wird, sind die Rohingya illegale Einwanderer aus Bangladesch.

Doch wer sind sie wirklich? Manche Historiker führen ihren Ursprung auf arabische Seeleute zurück, die sich im siebten, achten Jahrhundert mit der örtlichen Bevölkerung vermischten. Später folgten andere Migrationsströme. Die Rohingya haben folglich keinen einheitlichen ethnischen Hintergrund, wohl aber eine gemeinsame Sprache und Kultur.

Der Rakhine-Staat, wo sie sich heute konzentrieren, war einst unter dem Namen Arakan ein eigenes Königreich, das zeitweise über Teile Bengalens herrschte und von den Briten gegen den Willen seiner Bewohner dem kolonialen Burma zugeschlagen wurde. Muslime und Buddhisten lebten lange friedlich zusammen.

Entzug der Staatsbürgerschaft

Bei der Unabhängigkeit 1948 wurden die Rohingya zunächst als einheimische Volksgruppe anerkannt. Seit 1962, als das Militär die Macht zum ersten Mal an sich riss, wurde ihnen die Staatsbürgerschaft dann sukzessive entzogen. Und immer wieder gab es Versuche, sie aus ihrer Heimatprovinz zu vertreiben.

In den vergangenen zwei Jahren wurden Rohingya-Wohngebiete mehrfach von Mobs angegriffen. Buddhistische Hassprediger schürten die Stimmung. Mittlerweile leben 140.000 Rohingya in überfüllten Flüchtlingslagern. Den "Ärzten ohne Grenzen" wurde dort kürzlich ihre Tätigkeit untersagt; andere humanitäre Helfer wurden gewaltsam vertrieben. Viele Rohingya versuchen, in Fischerbooten die Nachbarländer zu erreichen – Bangladesch, Thailand, Malaysia, Indonesien. Etwa 35.000 Flüchtlinge sind allein in Malaysia registriert.

 Aung San Suu Kyi während einer Rede auf dem Parteitag der National League for Democracy; Foto: picture alliance/AP Photo
Herrisch und gleichgültig gegenüber der muslimischen Minderheit im Land: Suu Kyi war in der Vergangenheit mehrfach vorgeworfen worden, die Gewalt zwischen der buddhistischen Mehrheit und der ausgegrenzten Minderheit der muslimischen Rohingya nicht deutlich genug verurteilt zu haben.

Suu Kyi hat nur die Zwei-Kind-Politik für die Rohingya kritisiert, nicht die Pogrome, nicht den Ausschluss von der Volkszählung. Sich mit den vermeintlichen Ausländern zu solidarisieren, könnte ein anderes Vorhaben erschweren: Um Präsidentin werden zu können, muss sie zuvor eine Änderung der Verfassung erwirken, die bisher das hohe Amt jedem versperrt, der einen ausländischen Ehepartner oder ausländische Kinder hat. Suu Kys Söhne sind durch ihren verstorbenen Ehemann Briten.

Die Lady war stets überzeugt, selbst am besten zu wissen, was gut und nützlich ist für eine Demokratie in Myanmar. Die Tochter des Nationalhelds General Aung San betont nun den nationalen Zusammenhalt – jenen der buddhistisch-birmanischen Mehrheit, zu der sie selbst gehört.

Von oben herab

Ich erinnere mich an eine Begegnung mit Suu Kyi in Yangon vor gut zehn Jahren. Der Hausarrest war gerade unterbrochen, sie führte unter strikter Geheimhaltung einen Dialog mit den Generälen. Im Hauptquartier ihrer Partei, einer finsteren Bude, sah ich als einzigen Schmuck zwei Wandgemälde: lebensgroß Suu Kyi und ihr Vater. Und dann stand sie da, im Haar die obligatorische Blume, doch die Ausstrahlung herrisch und kühl.

Im Gespräch dozierte sie von oben herab in ihrem akzentuierten Oxford-Englisch; jede meiner Fragen, auch die allerhöflichste, wurde zunächst mit einer Zurechtweisung beantwortet. Manche in der Partei nannten sie damals bereits eine Diktatorin.

Suu Kyi, die als Baby von Generälen auf den Armen geschaukelt wurde, blieb auch im Hausarrest eine Angehörige der Oberschicht. Gedemütigt zwar, doch nie ganz isoliert. Mit den Schattenmenschen der Rohingya hat sie wenig gemein.

Wichtiger als Kritik an der Ex-Ikone wäre nun eine Kritik an den Mechanismen der Ikonen-Bildung. An dieser närrischen, obsessiven Personalisierung komplexer Zustände. Und am Schematismus, den bösen Generälen von Yangon ein unterdrücktes, sanftes Volk gegenüberzustellen – das schon deshalb sanft sein muss, weil es dort Buddhismus und schöne Pagoden gibt.

Charlotte Wiedemann

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de