Bedrohte Schätze der Menschheit
Der Jemen hat schon viele Kriege und Konflikte erlebt, politische wie bewaffnete, und jedes Mal litten darunter die zahlreichen historischen Monumente des Landes. Sie wurden beschädigt, geplündert oder ihre Artefakte außer Landes geschmuggelt. Dies galt immer besonders dann, wenn diese Stätten in den Konfliktgebieten lagen. Oft werden sogar die Altertümer selbst zu Kampforten, etwa wenn sie von den Konfliktparteien strategisch genutzt werden und dann zur Zielscheibe der Gegner werden.
Schon als der Jemen Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Al-Qaida und der jemenitischen Armee war, nutzte das Militär historische Orte, Gebäude und Städte oder sogar Museen als Basen, was zu Diebstahl und Beschädigungen führte. Und je weiter sich der aktuelle Konflikt ausweitet, desto gefährdeter sind Altstädte und andere historische Orte, an denen sich Kampfgruppen verschanzen – mit katastrophalen Folgen.
Zu den bedeutendsten Moscheen und islamischen Lehrstätten des Jemen gehört die "Amiriya" in der Stadt Radaa. Sie wurde 1504 unter König Amir bin Abdalwahhab von den Tahiriden erbaut. Sie gewann die Agha-Khan-Medaille für den Wiederaufbau islamischer Stätten und war für die Aufnahme in die Liste für Weltkulturgüter nominiert.
Aber sie wurde bei Kämpfen zwischen den "Ansar al-Scharia", Al-Qaida und der jemenitischen Armee Ende 2011 stark beschädigt. Auch Teile der Stadtmauer von Radaa, die noch auf den Himyaritenkönig Shamar Yahraash aus dem dritten Jahrhundert zurückgeht, wurden beschädigt, als Huthi-Milizen und Al-Qaida-Gruppen sich dort im vergangenen Jahr bekämpften.
Seit der aktuelle Krieg namens "Sturm der Entschlossenheit" Ende März im Jemen tobt, zielen alle Kriegsparteien auch auf jemenitische Kulturgüter: die Huthis, der "Volkswiderstand" sowie Kampfflugzeuge des arabischen Bündnisses unter saudischer Führung.
Lange Liste der Kriegsschäden
Gemäß Muhannad Al-Sayani, dem Leiter der jemenitischen Antikenbehörde, wurden bereits Dutzende Antikenstätten durch den gegenwärtigen Krieg in Mitleidenschaft gezogen. Man könne die Schäden jedoch in vielen Fällen nicht vor Ort verifizieren.
Ganz oder teilweise zerstört wurden in Sinhan, in der Provinz Sanaa, die Grabmoschee des Abdarrazzak ibn Hammam as-San'ani aus dem 9. Jahrhundert, in Dhalea das Dar al-Hassan in Damt aus vorislamischer Zeit, in Aden das dritte Geschoss des Nationalmuseums, dessen Gebäude auf Sultan Fadhl bin Ali al-Abdali (1912) zurückgeht, sowie die Jauhara-Moschee und die Sira-Festung, die ebenfalls bombardiert wurde. Sira gehört zu den bedeutendsten Burgen Adens, die im 11. Jahrhundert erbaut wurde.
In Taiz wurde vor allem die Qahira-Burg schwer beschädigt, die von den Sulaihiden im 11. bis 12. Jahrhundert erbaut wurde und die den Kern der Besiedlung der Stadt bildete. Sie hatte in der Geschichte eine wichtige Verteidigungsfunktion, und die Ayyubiden residierten in ihr, während sie den Jemen von 1229 bis 1454 regierten.
In Saada geriet die komplette Altstadt unter Beschuss aus der Luft, wie auch die Moschee des Al-Hadi ilal-Haqq Yahya bin al-Hussein bin al-Qasim, welche die älteste und bedeutsamste der Stadt war. Sie stammte aus dem Beginn des 10. Jahrhunderts.
Die "Waffenburg" (Qasr al-Silah) in Sanaa, von der man glaubt, dass sie auf den Ruinen des legendären Ghamdan-Palastes errichtet ist – einem mutmaßlichen Wunder der Architektur – wurde ebenfalls aus der Luft bombardiert.
Der Ghamdan-Palast wurde im "Iklil"-Werk des jemenitischen Chronisten Al-Hamdani erwähnt, der im 10. Jahrhundert gelebt hat. Ihm zufolge hatte König Seif bin dhi Yazan, der letzte Himyaritenherrscher im 6. Jahrhundert, darin residiert. Auch in der Altstadt von Sanaa gab es Schäden an einzelnen Häusern, sowie auch im Vorort Fadj Attan, wo das Bombardement besonders heftig war.
In Djauf bei Marib gingen große Teile der Stadtmauer von Baraqish (5. Jahrhundert v. Chr.) zu Bruch. Im nahe gelegenen Sirwah bekamen weite Teile der Tempelanlage und der Mauer Risse. Der Tempel geht zurück auf sabäische Zeit und wurde von einer deutschen Mission ausgegraben. 2005 wurde dort die bisher größte bekannte sabäische Inschrift gefunden. Man datiert sie auf das 7. vorchristliche Jahrhundert.
Unesco schlägt Alarm
Die jemenitische Antikenverwaltung und zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich um den Erhalt historischer Stätten bemühen, sowie Wissenschaftler appellierten bereits an die Konfliktparteien, sich von historischen Orten fernzuhalten und sie zu verschonen, um das verbliebene zivilisatorische Kulturgut des Jemen, das zugleich ein gesamtmenschliches Erbe ist, zu retten.
Gemäß internationalen Vereinbarungen und dem Abkommen von Den Haag von 1954, sowie nach dem Unesco-Abkommen zum Schutz von Altertümern von 1972 wurde die Unesco über Schäden an herausragenden Kulturstätten im Jemen unterrichtet. Generalsekretärin Irina Bokova rief daher alle Konfliktparteien dazu auf, das Kulturerbe des Jemen zu schützen und "historische Bauten von Beschuss und Luftschlägen zu verschonen" und diese militärisch nicht zu nutzen.
Die Unesco hatte 1984 eine internationale Kampagne zum Schutz der Altstadt von Sanaa gestartet, die Stadtmauer wiederrichten lassen, zahlreiche Gebäude saniert und Brücken und Durchgänge in der Altstadt ursprungsgetreu neu anlegen lassen. Mehrere jemenitische Städte erhielten seitdem den Status des Weltkulturerbes: Shibam in Hadramaut (1982), die Hauptstadt Sanaa (1986), Zabid (1993) und die Insel Soqotra (2008). Auch Saada sollte auf die Liste kommen. Ob dies jedoch noch möglich ist, bleibt ungewiss. Saada war die Hochburg der Huthis und wurde von der arabischen Militärkoalition unter schweren Beschuss aus der Luft genommen.
Amida Sholan
© Qantara.de 2015
Aus dem Arabischen von Günther Orth
Die Autorin ist jemenitische Expertin für Archäologie und Sprachen der arabischen Halbinsel.