Per Knopfdruck ins Paradies

Der Film "Dugma" des norwegischen Filmemachers und Kriegsreporters Paul Refsdal ist ein eindrucksvolles Psychogramm junger dschihadistischer Selbstmordattentäter im Kampf gegen das Assad-Regime. Philipp Jedicke hat sich mit dem Regisseur unterhalten.

Von Philipp Jedicke

Herr Refsdal, wie wählen Sie Ihre Themen aus?

Paul Refsdal: Ich versuche immer, die andere Seite der Geschichte zu zeigen, die "feindliche" Seite sozusagen. Das hat verschiedene Gründe. Als Muslim habe ich schon länger islamische Aufständische gefilmt, eigentlich meine ganze journalistische Laufbahn lang. Für mich ist es perfekt so, wie es ist: Ich kann als Muslim die Leute begleiten, die ich porträtieren will, was sonst kaum ein anderer westlicher Journalist tun kann. Ich kann eine Seite zeigen, die sonst niemand zeigt.

Sie standen auf einer Liste von Journalisten, die bei Osama bin Laden gefunden wurde. Was hat es damit auf sich?

Refsdal: Ein norwegischer Journalist rief mich eines Tages an und erzählte mir, dass ich auf einer Liste anerkannter Journalisten stünde, die an Osama bin Laden gesandt worden sei. Ich musste laut lachen, weil ich dachte, dass er mich auf den Arm nimmt. Doch es stimmte, ich habe das Originaldokument selbst gesehen. Es stammte von einem ehemaligen Al-Qaida-Medienbeauftragten, der zwischenzeitlich bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet worden.

Paul Refsdal; Foto: WDR
Der norwegische Filmemacher und Kriegsreporter Paul Refsdal lotet in seinen Dokumentarfilmen psychische und ethische Grenzen aus. Seine Laufbahn begann der Ex-Soldat im Alter von 20 Jahren in Afghanistan, wo die Taliban gegen die sowjetische Besatzung kämpften. Danach berichtete Refsdal aus Bürgerkriegsschauplätzen wie Sri Lanka, Nicaragua, Kosovo und Peru – immer aus Sicht der Rebellen. Paul S. Refsdals Film "Dugma - The Button" feierte seine Kino-Weltpremiere beim internationalen Dokumentarfilmfestival Hot Docs, das vom 28. April bis zum 8. Mai 2016 in Toronto stattfand und gewann dort den Preis für den besten mittellangen Dokumentarfilm.

Dieser Medienbeauftragte hatte einen Brief an Bin Laden geschickt. Darin schlug er einige Journalisten vor, denen Al-Qaida Informationen geben könne. Er schrieb, in Europa gäbe es diesen norwegischen Journalisten, der mit den Taliban gedreht und sie als ganz normale Menschen beim Essen und Spaßmachen gezeigt habe.

Das war wie eine Absichtserklärung für mich. Als ich Kontakt mit der Al-Nusra-Front - also Al-Qaida in Syrien - aufnahm, bestätigten sie, dass ich auf ihrer Liste anerkannter Journalisten stünde. Ich weiß nicht, wie wichtig das wirklich für sie ist. Sie behaupten nämlich, dass jeder Journalist, der sie ernsthaft porträtieren wolle, sich dafür bewerben könne. Sie schauen sich angeblich alle Bewerbungen an, auch wenn man kein Muslim ist oder nicht auf dieser Liste steht.

Wie sind Sie zur Al-Nusra-Front gekommen? Über die Türkei?

Refsdal: Ich ging 2013 das erste Mal nach Syrien, wo ich den ganzen Sommer lang blieb und erst im Dezember nach Norwegen zurückkehrte. Im Sommer 2014 war ich wieder da, um mich mit dem Al-Nusra-Medienbeauftragten zu treffen.

2013 und 2014 war ich die meiste Zeit bei einer Gruppe namens "Harakat Sham al-Islam", einer marokkanischen Rebellengruppe, deren Anführer ein ehemaliger Sträfling aus Guantanamo ist. Sie hatten Kontakte zu Leuten von der Al-Nusra-Front, doch zu jener Zeit hatten die Kämpfer der Al-Nusra-Front alle Hände voll mit dem IS zu tun. Also kam ich bis Sommer 2014 nicht an sie heran. Nachdem ich den Medienrepräsentanten getroffen hatte, empfahl er mir, eine Bewerbung zu schreiben.

Es war so etwas wie eine Job-Bewerbung, die mir recht gut gelungen ist. Darin beschrieb ich mich selbst und erwähnte sogar, dass ich jahrelang in der norwegischen Armee gedient hatte. Ich erzählte von meiner journalistischen Arbeit, von der Bin-Laden-Liste und fügte Links zu meinen Arbeiten hinzu, zu YouTube-Videos und Artikeln über mich. Ich beschrieb das Projekt und die Zielgruppe, die ich damit erreichen wollte. Diese bestand aus Nicht-Muslimen und Muslimen, die mit der Al-Nusra-Front nichts zu tun haben wollen. Und ich beschrieb, was ich zu bekommen hoffte: dass ich gerne über einen längeren Zeitraum mit einer kleinen Gruppe rangniedriger Soldaten leben und ihren Alltag filmen wollte. Mehr konnte ich nicht sagen, weil ich ja nicht wusste, wie sich die Situation innerhalb der Gruppe darstellen und welche Menschen ich treffen würde. Zum Ende des Sommers erhielt ich schließlich die Drehgenehmigung.

Worin bestehen Ihre Prinzipien beim Dreh?

Refsdal: Bei diesem Film wollte ich ausschließlich Beobachter sein. Ich bin nicht der Typ Journalist, der sich gerne selbst inszeniert. Im Journalismus gibt es leider viele solcher Egos – Leute, die sich selbst und ihr Spiegelbild lieben. Ich dagegen bin in meinem Film nicht zu sehen. Natürlich kann man meine Stimme hin und wieder hören, weil ich ab und zu Fragen stellen musste. Auch wollte ich möglichst lange in Syrien bleiben, um dort die Alltagssituationen so authentisch wie möglich zeigen zu können. Ich wollte nichts arrangieren. Und ich füge in meinen Filmen auch keine Extrasounds hinzu.

Ebenfalls mag ich keine Kommentarstimmen, weil ich den Leuten nicht vorschreiben will, was sie denken sollen. Ich will nicht sagen: "Das hier sind Terroristen" oder "Das hier sind Freiheitskämpfer". Die Zuschauer sollen das für sich selbst entscheiden. Ich will das nicht steuern. Und ich finde, manche Dokumentarfilmer unterschätzen ihre Zuschauer hin und wieder. Sie denken, sie müssten den Leuten sagen: "Das hier sind die Bösen und das sind die Guten". Sicher werden einige Zuseher angewidert sein und sagen: "Wie können diese Kerle glauben, dass sie in den Himmel kommen, indem sie mit einem LKW in Gruppen syrischer Soldaten fahren und sich in die Luft jagen?"

Wie sichern Sie sich an den Drehorten ab?

Refsdal: Die Absicherung liegt in der Vorbereitung. Ich habe die Al-Nusra-Front ja um Erlaubnis gebeten und bin nicht einfach aufgekreuzt und habe gesagt: "Hi, darf ich hier drehen?" Das würde nicht gut gehen. Man wäre dann diesen Leuten ausgeliefert. Wenn sie einem etwas antun wollen, könnte man wohl nichts dagegen tun. Da ich ihnen vertraut habe und sie mir, hatte ich auch keinerlei Probleme. Aber natürlich ist Syrien ein Kriegsgebiet - die syrische Armee bombardiert, sie wirft Bomben auf belebte Marktplätze oder auf Moscheen während des Freitagsgebets. Ich habe selbst erlebt, wie syrische Hubschrauber Fassbomben abwerfen.

Sie selbst sind praktizierender Muslim?

Logo Filmdoku "Taliban – Behind The Masks"
Während der Dreharbeiten für seinen Film "Taliban – Behind The Masks" wurde Paul Refsdal 2009 in Afghanistan entführt und schwebte neun Tage lang in Lebensgefahr. Ihm wurde angedroht, vor laufender Kamera hingerichtet zu werden. Auch sein neuester Film "Dugma – The Button", über den Alltag von potenziellen Selbstmordattentätern in Nordsyrien, wird für Kontroversen sorgen.

Refsdal: Richtig. Es ist amüsant, wenn mich manche Leute fragen, ob ich ein Bier möchte, und ich dann antworte: "Nein danke, ich bin Muslim". Es ist amüsant, ihren Gesichtsausdruck zu sehen. Es gibt ein paar Regeln, und man entscheidet natürlich selbst, wie detailliert man diese befolgen möchte. Als ich mich bei einer marokkanischen Gruppe in Syrien aufhielt, gab es dort einen Tunesier, der die militärische Ausbildung leitete. Er erklärte mir, dass ich mich beim Wassertrinken hinsetzen, stets nur drei Schlucke nehmen und mich danach bei Allah bedanken sollte. Wenn man es so halten will, meinetwegen. Aber ich glaube nicht, dass mich solche Rituale zu einem besseren Muslim machen. Wenn ich gut zu anderen Menschen bin, Respekt zeige und versuche freundlich zu sein, dann ist mir das viel mehr wert, als drei Schlucke Wasser zu mir zu nehmen.

Der besagte Tunesier endete übrigens später beim Islamischen Staat. Viele der Männer, die ich in Syrien traf, liefen zum IS über. Mein ehemaliger Übersetzer schickt mir manchmal Nachrichten wie: "Kannst du dich an den Kerl erinnern? Du hast ihn gefilmt. Er ist jetzt Kommandant beim IS in dieser und jener Region".

Welche Protagonisten stehen im Mittelpunkt Ihrer Dokumentation?

Refsdal: Da ist zum Beispiel der britische Konvertit, ein typischer weißer Engländer aus der Mittelklasse. Er hat mir nicht viel über seinen Hintergrund erzählt, nur dass sein Vater Amerikaner und seine Mutter Engländerin ist. Er konvertierte, als er mit seiner Mutter und seinem Stiefvater Urlaub in Ägypten machten. Er erschien in einem Video der Al-Nusra-Front kurz nach meiner Rückkehr nach Norwegen. Die englische Presse stellte Nachforschungen über ihn an, konnte ihn schließlich identifizierten und erzählte seine Geschichte. Er ist recht jung, Mitte zwanzig, und ringt mit sich. Es war nicht einfach für ihn, seiner Familie den Rücken zu kehren. Jedes Mal, wenn er seine Mutter anruft, versucht sie ihn zur Rückkehr zu überreden.

Und dann wäre da noch ein Saudi, der das Leben liebt. Zu seinen größten Leidenschaften zählen das Gebet zu Allah und das Essen. Er isst, wann immer es geht. Und das sieht man ihm auch an. Außerdem hat er eine wunderschöne Stimme und singt Koranverse. Er hat in Saudi-Arabien als Sicherheitsmann gearbeitet. Sein Vater ist sehr wohlhabend. Er hat eine Frau und zwei Kinder. Seine jüngste Tochter hat er noch nie gesehen, nur auf Skype oder in den Videos, die ihm seine Frau zuschickt.

Das Gespräch führte Philipp Jedicke.

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