Gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Rassismus

Nachdem eine obskure Nazi-Gruppe Drohbriefe an Moscheen und an die Jüdische Gemeinde in Berlin geschickt hat, rücken die Religionsgemeinschaften in Deutschland im Kampf gegen Rechts näher zusammen. Hintergründe von Jan Kuhlmann

Von Jan Kuhlmann

Der Brief lag Mitte Februar in der Post. Ein achtseitiges Schreiben an die Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln, einem großen Bau direkt am stillgelegten Flughafen Tempelhof. Unflätige Briefe mit Beschimpfungen treffen hier häufiger ein. Und dennoch: Dieses rassistische Pamphlet war etwas anderes. Sein Inhalt erinnert an die wirren Gedanken des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik.

Zudem enthält es eine deutliche Drohung: Alle Muslime hätten spätestens bis zum 1. August Deutschland zu verlassen – ansonsten könnten Gewaltaktionen nach dem Tag X nicht ausgeschlossen werden. Der Brief endet zynisch: "Mit freundlichen Grüßen – Die Führung der Reichsbewegung".

Von Angst will Ender Cetin, Vorsitzender der Moschee-Gemeinde, jetzt nicht sprechen. "Die lassen wir uns nicht einjagen", sagt er. "Aber es ist schon ein mulmiges Gefühl." Eines, das nicht nur ihn beschleicht.

Ender Cetin in der Sehitlik-Moschee in Berlin; Foto: dpa
"Wir lassen uns keine Angst einjagen. Aber es ist schon ein mulmiges Gefühl", sagt Ender Cetin, der seit Juni 2011 Vorsitzender der Sehitlik-Moschee in Neukölln ist.

​​Mittlerweile ist das Schreiben auch an Empfänger in Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg verschickt worden. In Baden-Württemberg sei es "gehäuft aufgetaucht", sagte eine Sprecherin des Verfassungsschutzes in Stuttgart. "Wir kennen diese Briefe." An wen sie gingen, will sie nicht verraten. Die Jüdische Gemeinde in Berlin hat das Schreiben ebenfalls erhalten.

Rechtsextreme Propaganda im Internet

Hinter den Drohungen steckt eine Nazi-Gruppe, die sich "Die Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen" nennt. Deren Internetseite liegt auf einem Server in den USA, also außerhalb der Reichweite deutscher Ermittler. Die Spuren führen auch nach Neuseeland. In dem Drohbrief bekennt sich die Gruppe zur "Wiedererstehung des Deutschen Reiches", und zwar als "Teilreich des Heiligen Atlantischen Reichs Europäischer Völker". Die Internetseite hetzt gegen Juden und leugnet den Holocaust.

Viel wissen die Ermittler nicht über die Gruppe. Sie halten sie für einen "Hinterzimmer-Debattierzirkel". Der Berliner Verfassungsschutz geht davon aus, dass sie in der rechtsextremen Szene isoliert ist. "Das Drohschreiben findet dort glücklicherweise so gut wie keine Resonanz", sagt ein Mitarbeiter.

Der Inhalt des Drohbriefes ist so obskur, dass man den oder die Verfasser für wirre Spinner halten könnte. Auch die Leitung der Sehitlik-Moschee überlegte zunächst, das Schreiben einfach in den Papierkorb zu werfen. Aber die Mordserie der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und das Attentat Breiviks haben bewiesen, wozu Rechtsextreme fähig sind.

Zunehmende Gewaltbereitschaft

Das war auch der Grund, warum die Sehitlik-Moschee den Brief dann doch zur Polizei brachte. Die Sicherheitsbehörden sind alarmiert, die Beamten ermitteln wegen Volksverhetzung. Berlins amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers sieht bei Teilen der Rechtsextremen eine "niedrige Hemmschwelle" zur Gewalt. "Wir müssen auch den Einsatz von Waffen einkalkulieren", sagte sie in dieser Woche bei einer Podiumsdiskussion über die Drohbriefe im alten Restaurant des Flughafens Tempelhof.

Bei solchen Schreiben stellt sich immer die Frage: Wie damit umgehen? Wer Drohbriefe veröffentlicht, gibt den Verfassern Aufmerksamkeit und spornt möglicherweise Nachahmer an. Trotzdem gehen die Sehitlik-Moschee und die Jüdische Gemeinde in Berlin offensiv mit dem Thema um.

Wolfgang Klose, Vorsitzender des Diözesanrates im Erzbistum Berlin; Foto: © Diözesanrat Berlin
"Mit dem Brief soll ein Klima der Angst verbreitet werden. Dagegen müssen wir anstehen!", sagt Wolfgang Klose, Vorsitzender des Diözesanrates im Erzbistum Berlin.

​​Zu der Podiumsdiskussion hatten sie gemeinsam mit der evangelischen und katholischen Kirche geladen. "Mit dem Brief soll ein Klima der Angst verbreitet werden", sagt Wolfgang Klose, Vorsitzender des Diözesanrates im Erzbistum Berlin. "Dagegen müssen wir anstehen."

Auch die evangelische Pfarrerin Elisabeth Kruse hält die Veröffentlichung des Briefes für richtig. Ihre Genezareth-Gemeinde aus Neukölln schickte der Sehitlik-Moschee einen Solidaritätsbrief. "Das ist gelebte Nachbarschaft", meinte Kruse. Es sei wichtig, sich zu melden und zu sagen: "Wir haben das gehört und stehen an eurer Seite." Die Bedrohung betreffe alle: "Sie tritt Werte und Rechte mit Füßen, die auch wir für uns in Anspruch nehmen. An der Stelle sind wir nicht teilbar in 'Die' oder 'Wir'", sagte Kruse.

Gemeinsam gegen Rassismus

Überhaupt rücken die Religionsgemeinschaften näher zusammen. Die Podiumsdiskussion war die erste Veranstaltung des Vereins "Treffpunkt Religion und Gesellschaft". Dessen Gründung wird schon seit längerer Zeit vorbereitet und soll im Mai unter Dach und Fach gebracht werden. In dem Verein schließen sich die beiden großen Kirchen, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und die Jüdische Gemeinde Berlin zusammen. Ihnen geht es generell darum, Religion und Gesellschaft stärker miteinander in Dialog zu bringen – ein Anliegen, das viele Gläubige im eher religionsfernen Berlin beschäftigt.

Der Verein wolle aber auch über Rassismus und Ressentiments sprechen, um Extremismus besser begegnen zu können, sagt Maya Zehden von der Jüdischen Gemeinden in Berlin. Wichtig ist ihr vor allem eins: "Wir sind Deutsche. Sowohl Deutsche mit jüdischem Hintergrund, Deutsche mit muslimischem Hintergrund, Deutsche mit christlichem Hintergrund. Und wir als deutsche Demokraten müssen zusammenstehen."

Die Solidarität der anderen war für die Betroffenen ein wichtiges Zeichen. Die Taten der NSU, Debatten mit anti-muslimischen Zügen, Ressentiments – das Vertrauen der jungen Muslime in Deutschland sei erschüttert, sagte Pinar Cetin, Mitglied der Sehitlik-Moschee und zweite Ditib-Landesvorsitzende, bei der Podiumsdiskussion: "Es gibt alltäglich Diskriminierung, über die wir nicht reden."

Für die Autoren des Drohbriefs hatte sie eine deutliche Botschaft: "Keiner von uns wird bis August auswandern. Das können sich die Verfasser des Briefes abschminken."

Jan Kuhlmann

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de