''Jeder muss teilhaben können''
Es war ein Kompromiss, der Tausende junger Nachkommen von Einwanderern in Deutschland nun zu einer Entscheidung zwingt. Seit dem Jahr 2000 gilt eine Regelung, die den seit 1990 in Deutschland geborenen Einwandererkindern das Recht auf einen deutschen Pass zubilligt. Vorübergehend können sie zwar neben dem deutschen auch den Pass des Heimatlandes ihrer Eltern behalten. Spätestens mit dem 23. Lebensjahr müssen sie sich aber entscheiden und eine der beiden Staatsbürgerschaften aufgeben, sofern die Eltern nicht beispielsweise aus einem EU-Staat stammen.
Seit Jahresbeginn haben sich auf diese Weise etliche Deutsche wieder in Ausländer verwandelt. CDU und CSU, die den Kompromiss gegen weitergehende Pläne von SPD und Grünen durchgesetzt hatten, wollen unbedingt an dieser sogenannten Optionspflicht festhalten. Die SPD hat hingegen angekündigt, sie nach gewonnener Wahl abschaffen zu wollen – und bekommt nun Unterstützung vom Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, dem FDP-Politiker Markus Löning.
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Wenn junge Menschen nach 23 Jahren ihren deutschen Pass abgeben müssen, ist das eigentlich ein Fall für den Menschenrechtsbeauftragten?
Markus Löning: Das ist zunächst kein Fall für den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, denn meine Aufgabe ist es, mich in der Außenpolitik um Menschenrechte zu kümmern. Hierzu gehört allerdings auch, dass wir in der Menschenrechtspolitik, die wir nach außen vertreten, glaubwürdig sind. Wir müssen nach innen das praktizieren, was wir nach außen vertreten. Das gilt auch für Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit für alle, demokratische Teilhabe und ähnliche wesentliche Menschenrechtsaspekte.
Sie sehen diese Rechte durch das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht verletzt?
Löning: Problematisch ist vor allem die ungleiche Behandlung von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Für Kinder binationaler Ehen, für Menschen aus der EU oder für Spätaussiedler ist in Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft ohne weiteres möglich. Anderen Menschen wird das, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind, unmöglich gemacht. Das halte ich für eine Ungleichbehandlung.
Die Urenkel von deutschen Einwanderern in Argentinien, die keinen Bezug mehr zu Deutschland haben außer dem deutschen Urgroßvater, haben einen argentinischen und einen deutschen Pass und können den Deutschen Bundestag mitwählen, während türkische Einwanderer und ihre Kinder in Deutschland nicht wählen können, obwohl sie hier wohnen, Steuern zahlen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, nur weil sie nicht auf ihren türkischen Pass verzichten wollen. Das finde ich schwer auszuhalten.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU verweist auf den Fall eines Berliner Gewalttäters, der als Doppelstaatler nun in der Türkei Schutz findet. Überzeugt Sie das?
Löning: Warum sollten wir Zigtausende Bürger für das Fehlverhalten eines Einzelnen in Haftung nehmen? Das überzeugt mich überhaupt nicht.
Sie halten das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht für überkommen?
Löning: Unser Staatsbürgerschaftsrecht folgte ursprünglich dem Abstammungsprinzip. In den vergangenen Jahren haben wir ein paar Schritte in Richtung Territorialprinzip gemacht. Wir sollten das vollenden und sagen: Derjenige, der bei uns wohnt, hat auch einen Anspruch darauf, politisch mitzugestalten. Jeder muss teilhaben können, jeder muss wählen können. Das ist auch ein Anspruch an uns als Demokraten.
Im Moment schließen wir durch Ungleichbehandlung eine große Gruppe von der Teilnahme an Wahlen aus. Auch bei qualifizierten Zuwanderern halte ich es für wichtig, dass wir ihnen die Perspektive der vollen Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung ihrer ursprünglichen bieten.
Loyalitätskonflikte befürchten Sie nicht?
Löning: Es ist doch kein Problem, wenn Menschen sich ihrer Herkunft oder der Herkunft ihrer Eltern verbunden fühlen. Ich fühle mich dem Emsland verbunden, wo ich geboren wurde, aber nur ein Jahr gelebt habe. Und ich fühle mich Luxemburg verbunden, wo ich als Jugendlicher gelebt habe.
So fühlen sich andere den Ländern ihrer Eltern verpflichtet. Ich sehe dieses Loyalitätsproblem nicht. Das gehört zu Persönlichkeiten dazu, dass die Herkunft der Eltern eine Rolle spielt als Teil der Identität. Außerdem stört es mich, dass diese Frage nur bei einigen gestellt wird. Das sollten wir wesentlich entspannter angehen.
Was schlagen Sie vor?
Löning: Wenn wir davon ausgehen, dass es das Recht eines jeden sein sollte, demokratisch teilzuhaben, dann müssen wir die Einbürgerung weiter erleichtern und uns nicht über die doppelte Staatsbürgerschaft den Kopf zerbrechen. Unsere Botschaft sollte sein: Wir können gut damit leben, wenn jemand einen zweiten Pass hat und sich dem Land seiner Eltern verbunden fühlt. Wichtig ist, dass er bei uns die vollen staatsbürgerschaftlichen Rechte genießt.
Die Linie Ihrer Partei, der FDP, ist das aber nicht, oder?
Löning: Gleichheit vor dem Gesetz ist eine liberale Linie, die ich als Menschenrechtsbeauftragter genauso wie viele meiner Parteifreunde vertrete. Auf Reisen stelle ich immer wieder fest, dass uns unser Staatsbürgerschaftsrecht vorgehalten wird. Das ist mein Beitrag zur inhaltlichen Diskussion auch in meiner Partei.
Sie halten das Staatsbürgerschaftsrecht für ein Reformprojekt für die Zeit nach der Bundestagswahl?
Löning: Richtig. Ich glaube, dass wir diese Reform brauchen. Es gab in den letzten Jahren viele halbe Reformschritte. Wir brauchen jetzt die ganze Reform.
Interview: Daniel Brössler
© Süddeutsche Zeitung 2013
Markus Löning, 52, ist seit 2010 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Von 2002 bis 2009 saß er im Bundestag, zuletzt als europapolitischer Sprecher seiner Fraktion. Bis 2011 war er Mitglied des FDP-Vorstands.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de