Pluralismus als Provokation
Ein Fragezeichen erhitzt derzeit die Gemüter in Indonesien – vor allem jene im konservativ islamischen Lager. "?" heißt der neueste Film des indonesischen Regisseurs Hanung Bramantyo, mit dem der renommierte Filmemacher brisante Themen anpackt.
Gleich zu Beginn der Handlung wird ein Pfarrer niedergestochen, anschließend lässt sich eine der Protagonistinnen von ihrem polygamen Ehemann scheiden und konvertiert vom Islam zum Katholizismus. Ein muslimischer Mann opfert sein Leben, um eine Kirche vor einem Bombenanschlag zu retten.
Der Film treibt die Indonesier in Scharen in die Kinos, und Proteste radikal-islamischer Gruppen ließen nicht lang auf sich warten. In der Großstadt Bandung wurde der Film auf Anordnung der Lokalregierung sogar bereits aus den Kinos genommen. Der Rat der Muslimgelehrten (MUI) hat die Filmemacher inzwischen aufgefordert, alle Szenen zu entfernen, in denen das Pluralismus und Toleranz positiv dargestellt werden.
Ungeklärtes Verhältnis von Staat und Religion
Dreizehn Jahre nach dem Sturz von Diktator Suharto spiegelt die Diskussion um "?" das Ringen der indonesischen Gesellschaft, der Religion im demokratischen Staatsgefüge den rechten Platz zuzuweisen. Es geht darum, welche Auslegung des Islam, dem 85 Prozent der Indonesier angehören, mehrheitsfähig ist.
Die Zahl der religiös motivierten gewaltsamen Übergriffe hat in der jüngsten Vergangenheit dramatisch zugenommen. Über 216 Fälle, in denen die Religionsfreiheit verletzt wurde, zählte das Setara Institut für Demokratie und Frieden im Jahr 2010.
In 59 Fällen wurden Gebetshäuser von Minderheiten angegriffen oder bedroht. Anfang Februar diesen Jahres wurden in Westjava drei Anhänger der Ahmadiyah von einem Mob junger Männer brutal ermordet.
Nicht nur die Ahmadiyah, sondern auch andere religiöse Minderheiten im Land, geraten zunehmend ins Visier gewaltbereiter Gruppen. In den letzten Monaten gab es auch auf christliche Kirchen vermehrte Angriffe militanter Islamisten. Kritiker von islamischen Hardlinern, wie der Gründer des Netzwerkes Liberaler Islam, Ulil Abshar Abdallah, bekamen Briefbomben zugeschickt.
Kritik aus dem Ausland
Inzwischen zeigen sich Menschenrechtler auch auf der internationalen Ebene besorgt. Anfang April rief Saman Zia-Zarifi, der Asien-Pazifik-Direktor von Amnesty International in Jakarta, Präsident Susilo Bambang Yudhoyono auf, "seine Verantwortung zu erfüllen, allen Bürgern unabhängig von ihrem Glauben ihre Menschenrechte zuzusichern, wie sie die Verfassung garantiere und die Internationale Konvention für Zivile und politische Rechte, die Indonesien 2005 ratifiziert hat".
Die Regierungspartei verfügt im Parlament lediglich über 26 Prozent der Sitze, Yudhoyono muss daher eine Koalition zusammenhalten, die auch Vertreter des konservativ-islamischen Lagers umfasst.
Ende April wies die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navanethem Pillay, in einem Brief an die indonesische Regierung auf die zunehmende Gewalt gegen religiöse Minderheiten hin und kündigte einen Besuch des UN-Sonderberichterstatters für Menschenrechte noch in diesem Jahr an.
Die Festnahme der Täter im Fall der Briefbomben und des vereitelten Kirchen-Attentats haben eine intensive Diskussion darüber entfacht, worin die Ursachen für die offenbar zunehmende Attraktivität radikal-islamischer Ideologien liegen.
Die Täter rechnet die Polizei der Bewegung Negara Islam Indonesia (NII) zu, die für die Errichtung eines islamischen Staates in Indonesien eintritt und die vor allem an Universitäten und höheren Schulen für den islamischen Extremismus werbe.
Schwache Zivilkultur
"Radikalismus scheint ein sicherer Hafen für jene, die mit der rasanten Entwicklung der Welt unzufrieden sind und die sich im brutalen globalen Konkurrenzkampf unterlegen fühlen", so der Islamwissenschaftler Al Makin.
Der Jesuitenpater und Philosophieprofessor Franz Magnis-Suseno sieht eine weitere Ursache für die Faszination radikaler Lehren offenbar darin, dass der indonesische Traum von Demokratie derzeit auf Sparflamme stehe.
"Nicht so sehr, weil nicht alle wirtschaftlichen Hoffnungen in Erfüllung gingen – es geht den Indonesiern nicht so schlecht –, sondern wegen der alles durchdringenden Korruption, gerade und vor allem der politischen Klasse", so Magnis-Suseno. "Da hat dann eine Rückkehr zu einem strengen Islam eine wachsende Attraktivität."
Dass gewaltbereite Islamisten an Einfluss gewinnen, habe auch mit einem Versagen der großen muslimischen Massenorganisationen im Land zu tun, so Al Makin.
"Die Nahdlatul Ulama und die Muhammadiyah, die zwei großen Massenorganisationen, die die Säule für moderaten Islam in Indonesien bilden sollten, haben es nicht vermocht, islamischen Radikalismus zu delegitimieren. Schlimmer noch: Radikale Ideen haben mittlerweile ihren Weg in diese beiden Organisationen gefunden."
Rechtssicherheit und Bildung
Die moderate Mehrheitsgesellschaft müsse "geschlossener und demokratischer auftreten", ist auch der Politikwissenschaftler A.E. Priyono überzeugt. "Das sind die Hausaufgaben, die wir zu machen haben. Wir müssen unser Land so gestalten, dass es das autoritäre Erbe endlich wirklich überwindet."
Dazu gehört aus Sicht vieler Beobachter neben Rechtssicherheit auch eine Bildungsinitiative. Einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Instituts für Islam- und Friedensforschung zufolge wären 48,9 Prozent der befragten Studenten islamwissenschaftlicher Studiengängen bereit, im Namen ihrer Religion Gewalt auszuüben. "Da kann doch etwas nicht stimmen mit unserem Islamunterricht und mit den Lehrern", kritisiert der Menschenrechtler Andreas Harsono.
Harsono sieht die Wurzel des Übels im Religionsministerium, das für den obligatorischen Religionsunterricht an Indonesiens Schulen verantwortlich ist. "Wozu braucht ein säkularer Staat wie Indonesien überhaupt ein Religionsministerium?", fragt Harsono.
Franz Magnis-Suseno, der seit 50 Jahren in Indonesien lebt und lehrt, bescheinigt dem dortigen Bildungssystem insgesamt Reformbedarf. "Das schulische Bildungssystem ist nur auf das Erlernen
von Wissen und Informationsaufnahme ausgerichtet. Kritisches Denken, Kreativität und die Eröffnung einer humanistischen, inklusiven ethischen Perspektive erhalten keine Unterstützung", so Magnis-Suseno.
Eine humanistische Perspektive versucht der Film "?" einzunehmen. In einer Szene kommt es beinahe zu einer Schlägerei zwischen Kirchgängern und einem Muslim, der beim Passionsspiel seiner schauspielerischen Künste wegen in die Rolle des Jesus schlüpfen soll.
Das beschmutze die Religion, meinen sowohl die Katholiken in der Kirche als auch aufgebrachte Muslime davor. Der Pastor schlichtet den Streit mit den weisen Worten: "Keine Religion kann die andere beschmutzen. Nur Dummheit kann das."
Anett Keller
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de