Rana rennt für Palästinas Kino
Bei den letzten Filmfestspielen in Cannes konnte das palästinensische Kino gleich mit zwei Produktionen aufwarten: darunter war auch "Rana´s Wedding" – ein Film, der mehr der Poesie als der Propaganda verpflichtet ist. Amin Farzanefar hat sich mit dem Regisseur Hany Abu Assad unterhalten.
"Rana´s Wedding" ist weniger grimmig als Elia Suleimans Burleske "Divine Intervention". Vielmehr ist er romantisch und doch voller Esprit. Rana hat bis vier Uhr Nachmittags Zeit, ihren heimlichen Geliebten Khalil, einen Anwalt sowie Trauzeugen aufzutreiben, um zu heiraten. Andernfalls muss sie mit ihrem Vater das Land verlassen – oder einen jener würdigen Anwärter auf seiner Wunschliste ehelichen. Der rebellische Lauf der Protagonistin durch die Strassen von Jerusalem und Ramallah zeigt uns das Land in all seiner Schönheit, ohne die Schrecken der Besatzung auszusparen. Mit seinem Tempo, seinem Ultimatum, seiner Liebesgeschichte weckt Hany Abu-Assads Film Erinnerungen an "Lola rennt".
In Palästina können die Menschen Ihre Filme nicht sehen, weil es kaum noch Kinos gibt...
Hany Abu-Assad: Ja, aber wenn wir Palästinensern den Film zeigen konnten, fanden sie daran großen Gefallen, denn plötzlich sahen sie sich als Helden eines Filmes und ihre alltägliche Umgebung wurde Teil einer Filmkulissse. Das war eine wichtige Erfahrung für sie.
Rana ist stark, sie weiß was sie will, ständig wird sie in Situationen verwickelt, und bleibt dennoch auf ihrer Fährte. Ist sie repräsentativ für die palästinensischen Frauen heute?
Abu-Assad: Das hoffe ich doch! Ich muss gestehen, sie ist zwar nicht ganz das palästinensische Durchschnittsmädchen - aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Und gerade unter der Besatzung haben die palästinensischen Frauen ein enormes Bewusstsein von ihrer politischen und sozialen Situation entwickelt. Wir haben, eine ganze Menge aufstrebender Frauen in Führungspositionen, so z.B. Hanan Ashrawi, es gibt Diana Bhutto oder Areez Samar Rasmeer.
Ranas Geschichte spielt in zwei großen Städten, Ramallah und Jerusalem. Weshalb haben Sie sich für diese Drehorte entschieden?
Abu-Assad: Wir wollten Jerusalem aus einer besonderen Perspektive zeigen: die Kontraste zwischen Altstadt und Neubauvierteln, reichen und armen Stadtteilen, die Unterschiede in Kultur, Architektur und auch Religion. Aber wir wollten auch Ramallah als palästinensische Stadt zeigen, nicht weit von Jerusalem, aber mit einer Menge Grenzen dazwischen. Ich wollte zeigen, dass wir ein und dasselbe Volk sind, einander verbunden, aber doch getrennt durch die Besatzung. Und es ging auch darum zu zeigen, dass die Barrieren uns dieses Gefühl der Verbundenheit nicht nehmen können.
Hany Abu-Assad wurde 1961 in Nazareth geboren. Anfang der 90er Jahre hat er zusammen mit Rashid Mashrawi (Curfew, Haifa) Ayoul Film aufgebaut, wo er lange als Produzent arbeitete. 1992 drehte er seinen ersten Film. Seit 2000 lebt und arbeitet Hany Abu-Assad in Ost-Jerusalem. Das palästinensische Kino ist zurzeit sehr im Kommen. Es hat aber keine große Tradition. Woher beziehen Sie Ihr filmisches Vokabular, wo liegen Ihre Einflüsse?
Abu-Assad: Es stimmt, wir haben keine kohärente cinematografische Tradition. Aber ohne klare territoriale Grenzen sind wir auch offen für alle Einflüsse, und adaptieren die besten Sachen: So bin ich vom iranischen Kino ebenso beeinflusst wie vom japanischen Minimalismus, oder den Hollywood-Romanzen. Hauptsache, es passt in ein Konzept.
Haben Sie in den verschiedenen Ländern der islamischen Welt und auch im Westen unterschiedliche Reaktionen auf "Rana´s Wedding" erlebt?
Abu-Assad: Das hat mit den Ländern wenig zu tun, manchmal kommt der Film gut an. Dann wieder konzentrieren sich alle auf andere, wichtigere Werke, und man steht am Rand. Es ist gut, mal mitten im Rummel zu stehen, und dann zu diesem Hundeleben in Palästina zurückzukehren. Also nach drei Tagen in Cannes wieder wie jeder andere in einer Schlange am Checkpoint zu warten, war eine gute Erfahrung.
Wurde der Film bereits in Israel gezeigt?
Abu-Assad: Ja, jetzt läuft er auf dem Filmfestival in Haifa. Ich glaube, ein Grossteil der israelischen Bevölkerung lebt in einer großen Ignoranz, unsere Situation betreffend, sonst müssten sie sich ja selbst als Unterdrücker erkennen. Sie nehmen die Palästinenser gar nicht wahr: ihre Kultur, ihre Filme, sie sind für sie unsichtbar. Es gibt dort aber auch viele aufgeschlossenen Leute, wirklich gute Freunde von mir. Das ist aber nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass sie nicht repräsentativ sind für eine Gesellschaft, die uns nicht als gleichberechtigten Partner akzeptiert, mit einem wechselseitigen Respekt für die Bedürfnisse, Wünsche und Visionen des anderen.
Letztes Jahr liefen gleich zwei palästinensische Filme in Cannes: wie beurteilen Sie dies Entwicklung?
Abu-Assad: Es gibt bei uns ein großes Bedürfnis nach Ausdruck und Repräsentation: Wenn man sein Land und seine Würde verloren hat, entwickelt sich ein Gefühl der Frustration. In Palästina gibt es sehr viel Frustration, einiges entlädt sich in eine falsche Richtung. Anderes drückt sich in der Kunst, im Kino, in Bildern und Gemälden aus.
Die Wechselwirkung zwischen Kino und Politik scheint ja sehr naheliegend. Gab es eine Zeit, wo Sie oder andere Filmemacher dachten, die Politik ganz zurückzulassen, und sich mehr auf private oder kulturelle Aspekte konzentrieren – für mehr "Normalität"?
Abu-Assad: Wenn man genau hinsieht, drehen sich all unsere Filme um Privates, um Alltag, aber dieser Alltag ist bestimmt von der Besetzung, was sich nicht einfach ausblenden lässt. In unseren Filmen bleibt allerdings das im Hintergrund. Wir heben das nicht hervor. Aber um unsere Lebensumstände wahrheitsgetreu wiederzugeben, können wir diese Diskriminierungen nicht einfach ignorieren, und vom Leben gelangweilte Charaktere zeigen.
Amin Farzanefar © Qantara.de 2003
Hier kommen Sie auf die Website von Rana´s Wedding