"Was hälst du vom Westen?"

Julia Gerlach und Bärbel Möllmann befragten junge Menschen aus der arabischen Welt über ihre Meinung zum Westen. Das Zentrum Moderner Orient präsentiert derzeit das Ergebnis in Form einer audiovisuellen Fotoausstellung. Ein Interview von Lennart Lehmann

Julia Gerlach (Interviews) und Bärbel Möllmann (Fotos) befragten junge Menschen aus der arabischen Welt über ihre Meinung zum Westen. Das Zentrum Moderner Orient präsentiert derzeit das Ergebnis in Form einer audiovisuellen Fotoausstellung. Ein Interview von Lennart Lehmann

Julia Gerlach, Foto: Privat
Julia Gerlach stellt jungen Menschen aus der arabischen Welt die Frage: "Was hälst du vom Westen?"

​​Sie haben Menschen, die in Dubai leben, die Frage gestellt "Was hältst du vom Westen?". Was bedeutet in diesem Zusammenhang "Westen"?

Julia Gerlach: Das haben uns fast alle Interviewpartner auch gefragt: Was meint ihr mit Westen? Wir haben die Frage absichtlich so offen gestellt. "Westen" ist ein Begriff, der bei jedem Assoziationen auslöst. Für manche ist es ein politisches System, andere denken zuerst an den Krieg im Irak und wieder anderen steigt der Fettgeruch von Mac Donalds in die Nase. Wir haben es den Befragten überlassen, ob sie den Westen eher politisch, kulturell odergeographisch verstehen wollen. "Wenn wir davon ausgehen, dass wir hier in der arabischen Welt das Zentrum sind, dann meine ich mit 'Westen' alles, was nordwestlich von hier liegt!", sagte beispielsweise einer der Interviewten. Die Weltkarte sieht eben aus Dubai-Perspektive ganz anders aus.

Haben Sie die Frage genau so gestellt? What do you think about the West?

Gerlach: Wir haben die Porträtierten zunächst gebeten, sich vorzustellen und uns zu erzählen, wie sie leben und wovon sie für die Zukunft träumen. Wir wollten natürlich wissen, was sie nach Dubai gebracht hat und wie ihr Leben hier ist. Dann sind wir recht direkt zu der Frage "Was hältst du vom Westen?" gekommen. Manche hatten sich schon vorher Gedanken darüber gemacht, was sie antworten wollen, bei anderen ergab sich die Antwort eher im Gespräch - auch durch Rückfragen: "Was meint ihr damit?".

Wir hatten dann noch eine Liste von weiteren vorbereiteten Fragen, die wir allen gestellt haben. "Im Westen denken viele Menschen, dass die Araber den Westen hassen. Was würdest du diesen Menschen sagen?" war beispielsweise eine unserer Fragen. Wir haben alle gebeten, im Interview Englisch zu sprechen. Für manche war das gar kein Problem. Sie unterhalten sich auch mit ihren Freunden viel auf Englisch. Für andere war das eine echte Herausforderung. Natürlich hätten sie sich flüssiger und vielleicht auch offener geäußert, wenn sie auf Arabisch gesprochen hätten.

Wir denken jedoch, dass es für die Präsentation der Ausstellung in Deutschland wichtig ist, dass die Besucher die Jugendlichen im O-Ton hören können. Einige haben unsere Fragen erst auf Arabisch beantwortet und sie dann selber übersetzt.

Warum haben Sie gerade diese Menschen ausgewählt? Sind sie Ihrer Meinung nach repräsentativ?

Gerlach: Wir haben Dubai als Ort ausgewählt, weil die Stadt - ähnlich wie New York - junge Menschen aus der ganzen Region anlockt. Sie hoffen hier auf Jobs, Glück und Reichtum. Auf diese Art haben wir Interviewpartner aus ganz verschiedenen Ländern getroffen. Es ist ein Iraker dabei, mehrere Ägypter, ein Syrer und auch mehrere aus den Golfstaaten. Sie sind natürlich eine ganz besondere Gruppe, denn sie alle wollen etwas aus ihrem Leben machen, deswegen sind sie nach Dubai gekommen.

Damit unterscheiden sie sich in ihrer Lebenseinstellung und natürlich auch in ihren Ansichten von ihren Alterskollegen in Gaza, Oberägypten oder anderswo. Zudem kennen die Jugendlichen in Dubai den Westen nicht nur aus dem Fernsehen, oder sagen wir, sie kennen einen Teil vom Westen: Markenprodukte, ausländische Experten und westliche Bildungssysteme. Sie wissen also, wovon sie sprechen, wenn es um "den Westen" geht. Wir haben uns bei der Auswahl der Gesprächspartnerbemüht, ein möglicht großes Spektrum abzudecken. Junge und Ältere, Frauen und Männer, Reiche und Arme und möglichst viele verschiedene Nationalitäten.

Repräsentativ ist das natürlich nicht. Wir zeigen einen Ausschnitt, lassen einzelne Menschen ihre Geschichte erzählen, so dass vielleicht andere Menschen in Deutschland sie ein wenig kennen lernen können.

Was möchten Sie und Ihre Kollegin den Besuchern der Ausstellung in Berlin vermitteln?

Gerlach: Wir haben Installationen gebaut, die aus einem Foto, einem Kopfhörer und einem kleinen Text bestehen. Das Foto ist mit Lochkamera aufgenommen. Der Betrachter muss ein bisschen genauer hinschauen, um den Porträtierten in der Unschärfe zu erkennen - ihn kennen zu lernen. Dabei hört er über Kopfhörer die Stimme des Menschen vor ihm, erfährt, was er über den Westen, also auch über ihn, denkt. Es entsteht die Illusion einer Begegnung.

Das ist es, was wir erreichen wollen. Es geht darum, einem einzelnen Menschen zuzuhören, ihn ein wenig kennen zu lernen. "Es ist schwierig, einen Menschen zu hassen, wenn man ihn trifft", hat eine unserer Interviewpartnerinnen gesagt. Und so hoffen wir - als gute Idealistinnen -, auch ein wenig zu einer Verbesserung der Stimmung zwischen Ost und West beizutragen.

Wie werden die Besucher der Ausstellung auf die Bilder und Texte Ihrer Meinung nach reagieren?

Gerlach: "Das ist ja ein Süßer!", war die Reaktion einer Besucherin bei der Ausstellungseröffnung in Glückstadt vor einigen Wochen: "Und der da spinnt!", sagte sie, nachdem sie das nächste Bild betrachtet und das Interview gehört hatte.

Wir hoffen, dass die Installationen aus Bild und Ton genau diese Illusion erzeugen können: einem Menschen zu begegnen. Die meisten unserer Interviewpartner sagten, dass sie gerne wüsten, wie die Menschen im Westen auf ihre Aussagen reagierten und was die eigentlich von ihnen denken. Wir wollen die Besucher der Ausstellung bitten, ihre Kommentare aufzuschreiben, und wir werden auch ein kurzes Video über die Reaktionen der Besucher drehen.

Vielleicht kann jemand Ahmad erklären, wieso er solche Schwierigkeiten hat, eine Freundin aus dem Westen zu finden. Oder möchte Junior widersprechen, der die Demokratie als für die arabische Welt ungeeignet ansieht. Das würde uns freuen.

Was würden Sie von einer umgekehrten Ausstellung halten: Jugendliche in Frankfurt/Oder, Berlin oder Weinheim and er Bergstraße werden gefragt: 'Was hältst du vom Nahen Osten?' Das Wort 'Osten' würde hier ja anders verstanden werden.

Gerlach: Wir haben darüber nachgedacht, nachdem uns die Interviewpartner immer wieder sagten, dass sie gerne wüssten, was wir im Westen über sie denken und als auch Museumsleute in den Emiraten sagten, sie würde unsere Arbeit - inklusive einer Reaktion der Besucher in Deutschland – gerne zeigen.

Wir können jedoch selber ein solches Projekt mit deutschen Jugendlichen nicht machen: Bei den Interviews in Dubai hat sich gezeigt, dass es für die Gesprächssituation und für die Art, wie die Menschen ihre Ansichten formulierten, entscheidend war, dass wir aus dem Westen kommen. Sie hätten ihre Ansichten vielleicht anders ausgedrückt, wenn wir auch Araberinnen gewesen wären.

Ohne diese Situation "Ich-treffe-den-'Anderen'-und-sage-ihm,-was-ich-von-ihm-halte" wäre unser Projekt ganz anders. Die Frage "Was hältst du von den Arabern?" müsste ein Künstler aus der arabischen Welt stellen.

Wir haben uns daher entschlossen, die Reaktionen auf unsere Ausstellung eher nüchtern in Form von Video und Kommentarbüchern zu dokumentieren. Diese Elemente werden dann Teil der Ausstellung, wenn sie den Schritt zurück in die Golfregion macht. Das Goethe-Institut will uns dabei unterstützen. Es gibt aber eine ganze Reihe von arabischen Künstlern, die sich - in anderer Form zwar - aber mit dem gleichen Thema beschäftigen, und wir hoffen, dass wir mit einigen eine gemeinsame Ausstellung zusammenstellen können.

Interview: Lennart Lehmann

Die Ausstellung läuft noch bis zum 29. Juli 2005, Werktags von 9 bis 16 Uhr am Zentrum Moderner Orient in Berlin

© Qantara.de 2005

Qantara.de
"Was hältst Du vom Westen?"
Gespräche mit jungen Menschen aus der arabischen Welt
Übersetzungen der Interviews (pdf Datei, 800 KB)

Irak
Krieg aus Kindersicht - "Baghdad Stories"
Wenige Wochen nach dem Ende des Krieges im Irak reiste der deutsche Journalist Philipp Abresch nach Bagdad und verteilte rund 170 Einweg-Kameras an irakische Kinder und Jugendliche. Im Fokus der zahlreichen Aufnahmen aus der Krisenregion steht vor allem die Zivilbevölkerung, wie Anna Bilger berichtet.

www
Homepage der Ausstellung: Was hälst du vom Westen?