"Kunst verändert das Denken langfristig"
Wesalb haben Sie 2005 das Emad Eddin Studio gegründet?
Ahmed el-Attar: 2004 arbeitete ich in einer Koproduktion mit den Berliner Festspielen. Es war ein großes Projekt und ich hatte all die finanzielle Hilfe, dich ich benötigte, dennoch probte ich immer noch in meiner Wohnung. Also dachte ich mir, wenn das für mich der Fall war - ich war wahrscheinlich der Einzige in Kairo, der von einem renommierten Festival koproduziert wurde - wie viel schwieriger musste es für andere sein? So gründete ich selbst ein Studio.
Welche Beziehung besteht zwischen der offiziellen, staatlich geförderten Kultur und der freien Kulturszene?
El-Attar: Der Staat operiert tatsächlich immer noch als die einzige legitime Macht im Land. Nur der Privatsektor ist anerkannt, als ob individuelle Akteure gar nicht existieren würden - in meinen Augen ein großer Fehler.
Das SEE bietet sowohl Räumlichkeiten als auch Workshops an?
El-Attar: Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Ich komme aus dem Feld und habe eine spezifische Vorstellung von dem, was gebraucht wird und sehe woran es fehlt. Einen Raum zur Verfügung zu stellen ist essentiell, aber es ist genau so wichtig Leute auszubilden. Das Studio ist dabei offen für alle, jeder kann kommen und hier arbeiten, an einem Theaterstück, einer Tanzvorstellung, einem Film...
Das Konzept des SEE ist international ausgerichtet...
El-Attar: Ja, denn wir hatten das Gefühl, dass die darstellenden Künste in Ägypten ziemlich weit hinterher hinken im Vergleich mit der internationalen Szene. Dieses internationale Know-How wollen wir vermitteln. Aber natürlich gibt es auch in Ägypten sehr gute Leute, und mit denen wollen wir ebenfalls zusammenarbeiten.
Was meinen Sie mit "weit hinterher hinken"?
El-Attar: Die Theaterlandschaft hier, die offizielle wie private, sieht ziemlich düster aus. Die Produktionen der Kairoer Oper und der staatlichen Theater sind miserabel, und private Theater gibt es nicht mehr. Das fing in den 1970er Jahren an: Die Leute gingen irgendwann nicht mehr ins Theater, weil sich die Qualität der Produktionen extrem verschlechtert hatte. Doch wenn wieder gute Qualität auf der Bühne gezeigt wird, dann kommt das Publikum auch zurück.
Beim zeitgenössischen Tanz scheint sich aber einiges zu tun, Im Januar fand zum fünften Mal das von SEE produzierte 2Bcontinued Festival statt, es gibt die International Dance Night sowie das Tanzfestival Nassim al-Raqs…
El-Attar: Genau. Anfang bis Mitte der 1990er Jahre gab es die ersten Produktionen. Karima Mansour, Karim el-Tonsi... Und es gewann rasch an Fahrt, denn junge Leute fanden im zeitgenössischen Tanz, im Gegensatz zum Theater, eine sehr freie, nicht durch Traditionen vorbelastete Kunstform. Das war sehr attraktiv, sowohl für die Tänzer, als auch für das Publikum.
Haben die vergangenen drei Jahre Tanz und Theater in Ägypten verändert?
El-Attar: Im unabhängigen Sektor ist alles beim Alten geblieben, denn Kultur steht gar nicht erst auf der Agenda. Es gibt zwar minimal mehr Freiheit, weil sich zur Zeit niemand wirklich kümmert, aber das muss nicht so bleiben... Natürlich fanden die Ereignisse Eingang in die Kunst, aber ich finde es naiv, zu denken, weil es eine Revolution gab muss die Kunst im nächsten Jahr von ihr inspiriert sein. Jeder macht irgendwas zur Revolution, aber das ist politisierte Kunst. Es braucht Zeit, um solche großen Ereignisse zu verdauen und zu verstehen.
Was ist der größte Erfolg von SEE?
El-Attar: Das Studio ist mehr als nur ein physischer Raum. Es ist ein geistiger Freiraum, von dem jeder gleichermaßen profitieren kann unabhängig davon, wer er ist - Leute fühlen sich hier zuhause. Ich denke, das ist der größte Erfolg des Studios. Es geht uns darum, Leute zu begeistern. Ich weiß, dass D-Caf Leute begeistert und inspiriert und ebenso das Falaki-Theater. Und das ist deshalb so, weil es dort ein Programm gibt, das pünktlich anfängt und reibungslos funktioniert. Das ist eine tolle Erfahrung für das Publikum.
Im Kulturbereich passiert unglaublich viel, und zwar nicht erst seit der Revolution. Tatsächlich hat sich etwas in den Köpfen der Menschen verändert. Kunst verändert das Denken langfristig, weil sie auf viel subtilere Weise wirkt als beispielsweise Politik. Denn sobald jemand die Tür öffnet, und sei es nur für einen kurzen Moment, kommt Licht in den Raum, und das ändert alles… Vor allem in geschlossenen Gesellschaften. Es ist so, wie wenn man Ratten in eine Box sperrt und diese Box nur für einen kurzen Augenblick öffnet, sodass Licht hereinfällt. Selbst wenn man die Box sofort wieder verschließt werden sich die Ratten für immer an dieses Licht erinnern. Wir sind ein wenig wie Ratten…in mancher Hinsicht.
Barbara Kauffmann
© Goethe Institut 2014