Neue Plattform für arabische Künstler
Angefangen hat alles vor etwa zwei Jahren. Enrico De Angelis, ein italienischer Wissenschaftler mit Schwerpunkt arabische Medien, hatte damals bereits seit einiger Zeit Kontakte zur arabischen Kulturszene. Dabei stellte er fest, dass es bisher in Europa kaum Möglichkeiten gab, Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Nahen Osten und Nordafrika (MENA-Region) zu erwerben, egal ob die Künstler in der Region leben oder in Europa.
Viele Künstler berichteten ihm, wie schwierig es sei, ihre Werke in Europa bekannt zu machen. Enrico erzählte der syrischen Künstlerin Zeina Al-Abdullah davon und schlug ihr vor, eine Plattform für arabische Kunst in Europa zu gründen. Die Idee war geboren.
Dank einer Anschubfinanzierung durch die Organisation "International Media Support“ (IMS) konnten Zeina und Enrico mit den Vorbereitungen beginnen.
Sie richteten eine Website ein, kümmerten sich um die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Verträge mit den Künstlern und um steuerliche Fragen. Das nahm viel Zeit in Anspruch, wie Zeina berichtet. "Wir haben etwa eineinhalb Jahre gebraucht, denn eine Gründung in Deutschland ist alles andere als einfach“, erzählt sie. "Außerdem mussten wir die Künstler erst von unserem Projekt überzeugen und für eine Zusammenarbeit gewinnen.“
Mittlerweile seien neun Künstler auf der Plattform vertreten. Später habe man sich um eine neue Finanzierung für die Startphase und die erste Ausstellung kümmern müssen. Dazu haben die Verantwortlichen einen Antrag bei einer gemeinnützigen Stiftung gestellt, die schließlich die Zusage für ein Stipendienprogramm erteilte. "Unser Traum war wahr geworden und am 16. Juni konnten wir die Plattform in Berlin eröffnen“.
Was unterscheidet MENA von anderen Plattformen?
Neben einer virtuellen Dauerausstellung werden Ausstellungen vor Ort organisiert, bei denen - je nach Wunsch des Künstlers - in verschiedenen Berliner Galerien Originale oder Drucke gezeigt werden. Originale sind manchmal schwer zu transportieren. Das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Plattform sei aber, so Zeina, "dass wir das Kunstwerk selbst beurteilen und nicht Person, politische Verortung oder Bildungshintergrund des Künstlers. Das Werk spricht für sich“.
Sie fügt hinzu: "Als ich nach Deutschland kam, wurde ich schnell auf meine Eigenschaft als syrische Geflüchtete reduziert. Jeder erwartete von mir, dass ich mich in meinen Werken mit der Revolution und dem Leiden der Syrer auseinandersetze. Deshalb versuchen wir, die Künstler nicht nach ihrer politischen Einstellung oder ihrer persönlichen Geschichte zu beurteilen", meint Zeina.
Niemand müsse seine Nationalität nennen, nur das Kunstwerk interessiert. "Natürlich wissen wir, dass wir vielleicht mehr finanzielle Unterstützung bekommen würden, wenn wir uns dem Trend anpassen. Wenn man seine Ausstellungen in den Kontext des politischen Geschehens stellt, kommt man leichter an eine Finanzierung. Aber wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil dieser Aspekt unserer Meinung nach auf dem europäischen Kunstmarkt oft zu viel Raum einnimmt.“
Ähnlich sieht es Ammar al-Mamoun, ein Journalist, der die Begleittexte zu den auf der Plattform ausgestellten Werken schreibt: Wie andere Projekte versuche MENA, Künstler aus der jeweiligen Kunstszene nach Europa zu bringen. Das traditionelle Bild des isolierten Künstlers in seinem Atelier existiere nicht mehr, stattdessen gebe es ein Geflecht von Beziehungen, meint er. "Im Zentrum steht die Ästhetik, die den Kunstmarkt beherrscht. Migranten erleben oft, dass versucht wird, sie in eine bestimmte Schublade zu stecken."
Die Künstler würden dann oft als "Auge“ gesehen, nicht als jemand, der eine eigenständige ästhetische Anstrengung unternimmt und auf eine Beurteilung wartet. "MENA versucht das zu vermeiden", sagt der Journalist. "Ziel ist es, den Künstler als produktiven Kunstschaffenden zu sehen und nicht als Produkt politischer Identitäten, als Migrant, Flüchtling, etc….“
Der Künstler Abdul Razzak Shaballot dagegen meint, dass er genau die gleichen Privilegien genieße, wie andere Künstler in Berlin, das sich in den letzten Jahren zu einem Hotspot der europäischen Kulturszene entwickelt hat. Auch er präsentiert seine Werke auf der MENA-Plattform, die allen Kunstschaffenden offenstehe und ihnen einen höheren Bekanntheitsgrad auf dem Kunstmarkt verschaffen will.
Shaballot ergänzt, „die meisten Künstler kennen sich mit Marketing nicht aus und wissen nicht, wie sie ihre Werke verkaufen können". Als Künstler konzentriere man sich auf seine Farben und Werkzeuge und hoffe immer darauf, dass jemand kommt, der einem das Marketing abnimmt und seine Gemälde für ihn verkauft.
"Eine Plattform wie MENA versteht die arabischen Kunstschaffenden und ihre Macher wissen, unter welchen Umständen die Künstler leben und arbeiten. Sie wissen auch, was in anderen Galerien vielleicht nicht erwünscht ist.“ Bei MENA herrsche eine angenehme Atmosphäre der Unterstützung. Man merke, dass dort talentierte Menschen am Werk seien, meint Shaballot, Menschen, die versuchen ihre Kunst soweit irgend möglich in der Welt bekannt zu machen. "Kurz gesagt, bei MENA sind sie ein Bindeglied zwischen Künstler und Kunstsammler.“
Was MENA anbietet
Ausgangspunkt für die Gründung der Plattform war der Wunsch von Künstlern, einen Ort zu haben, der Dienstleistungen für Kunstschaffende anbietet. Denn niemand kennt die Sorgen und Hürden anderer Künstler besser als ein Künstler selbst. So beschreibt Zeina es im Gespräch mit Qantara.de.
"Als ich mich bei Galerien für eine Ausstellung bewarb, stieß ich auf große Schwierigkeiten. Die einen lehnten mich ab, weil ich kein Diplom der Schönen Künste vorlegen konnte", erzählt sie von ihrem schwierigen künstlerischen Werdegang. "Andere Galerien wollen einen hohen Anteil von bis zu 60 Prozent am Gewinn."
Dazu kam der unterkühlte, kaufmännische Umgang mit Kunstschaffenden, als seien sie und ihre Produkte Waren. "Das wollten wir bei unserem Vorhaben anders machen", meint Zeina. "Die Künstler, die mit uns arbeiten, sind unabhängig von ihrem Arbeitssitz willkommen, vorausgesetzt, ihre Werke haben einen künstlerischen Wert.“
Es ist ihr sehr wichtig, MENA als eine Familie zu betrachten, was auch die Kommunikation mit den Künstlern erleichtere. "Es war mir von Anfang an ein Anliegen, eine ungezwungene Atmosphäre für die Zusammenarbeit mit den Künstlern zu ermöglichen. Sie waren sehr verständnisvoll, dass wir für die Anlaufphase des Projekts viel Zeit benötigen und sie lange warten mussten.“
Auf der Plattform sind neun Künstler aus unterschiedlichen arabischen Staaten vertreten, einige leben in Europa, andere im Nahen Osten. Es sind Namen darunter, die in Kulturkreisen sehr bekannt sind und die viel Erfahrung haben. Aber grundsätzlich steht die Plattform allen offen und fördert auch junge Talente. So können wir das Projekt und die Künstler gemeinsam voranbringen.
Die Plattform unterscheidet sich auch in Bezug auf die Aufteilung des Gewinns von anderen Projekten, wie Zeina erklärt. "Wir geben den Künstlern 65 Prozent der Einnahmen und behalten 35 Prozent für die Plattform", sagt sie.
"Da wir ein gemeinnütziges Projekt sind, investieren wir unseren Gewinn in die Weiterentwicklung der Plattform, in besseres Marketing und die Verstetigung der Plattform. Außerdem haben wir flexible Verträge, es gibt keinerlei Monopol und die Künstler können später ihre Werke selbst verkaufen, wenn sie das möchten.“ Bei den meisten Galerien sei das nicht möglich, denn sie hätten strenge Regularien.
Der Journalist Ammar al-Mamoun findet, dass die Besonderheit der Plattform darin liege, wie sie die Kunstwerke präsentiere. "Jedes Werk steht in Relation zur Kunstgeschichte und zu seinem politischen und kulturellen Kontext, ganz zu schweigen von den Versuchen, ästhetische Bestandteile in einen größeren Kontext als nur Eindruck und Interpretation zu setzen", sagt er. "Daher ist das künstlerische Schaffen Teil der Ästhetik. Es beschränkt sich nicht auf die eigene Erfahrung. Dieses Bewusstsein für Kunstgeschichte und aktuellen Kunstmarkt steht im Fokus der MENA-Plattform. Der Kunstschaffende erscheint als Teil einer ganzen historischen Bewegung, nicht nur als individueller Eindruck.“
Abdul Razzak Shaballot meint dagegen, "die größte Hürde für migrantische Künstler ist die Sprachbarriere, durch die auch die Vernetzung und Interaktion mit Galerien und Ausstellern erschwert wird“. Dazu komme, dass es ohnehin schwierig ist, eine Galerie zu finden, die sich für dein Kunstwerk interessiert. "Dieses Problem haben alle Künstler auf der Welt, nicht nur die Migranten unter ihnen.“
Die meisten Kunstausstellungen hier in Deutschland hätten ihre eigenen Künstler unter Vertrag. Es sei sehr schwer, sie von einer Zusammenarbeit mit arabischen Künstlerinnen und Künstlern zu überzeugen, vor allem wenn die Themen vielleicht nicht zur im Ausland vorherrschenden Stimmung passen. "Denn wir bringen unsere eigenen Sorgen und Probleme mit und unsere Themen könnten hier schmerzhaft und unerwünscht sein. Es könnte sein, dass man sie hier weder vermarkten noch verkaufen kann. Projekte wie MENA können zumindest teilweise dazu beitragen, dieses Problem zu lösen,“ meint Shaballot.
Mangelnde Finanzierung als Hindernis
In Form eines Online-Shops versuchen die Macher der Plattform neue Wege im Marketing zu erschließen, um Produkte wie Tassen, Notizbücher und Taschen zu verkaufen, die mit den Motiven der auf der Plattform ausgestellten Kunstwerke bedruckt sind. Sie erhoffen sich, auf diese Weise die Reichweite zu erhöhen und die Kunstwerke in der Kunstszene und in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Allerdings steht die Plattform, was das Marketing anbelangt, erst am Anfang und es gibt noch viel Entwicklungspotenzial.
Darauf verweist auch Shaballot. "Ich arbeite gerne mit den Machern der Plattform zusammen, es sind ganz wunderbare Menschen," sagt er. "Ich hoffe auch, dass meine Bilder durch die Plattform eine größtmögliche Anzahl von Sammlern erreichen. Gleichzeitig weiß ich, dass das Team sich sehr um professionelles Marketing bemüht. Das ist aber noch eine Schwachstelle und sie arbeiten daran, sie zu beheben. Hier bräuchte es mehr Unterstützung, damit sie auch Marketingprofis anstellen könnten.“
Auch Zeina betont, dass das Projekt sein Potenzial erst noch ausschöpfen will. Dann sollen auch Ausstellungen vor Ort durchgeführt und eventuell auch ein dauerhafter Ausstellungsort zur Verfügung gestellt werden. "Außerdem brauchen wir weitere Finanzierung für den Transport von Werken aus dem Nahen Osten, für die Beauftragung von Fachkräften für Marketing und Website,“ sagt sie. "Nur so können wir das Projekt nachhaltig machen, damit es weiterhin in der Lage ist, die Künstler zu unterstützen, ohne sich in politische Abhängigkeiten zu begeben.“
Rama Jarmakani
© InfoMigrants /Qantara.de 2023
Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk