Extremismus auf dem Vormarsch

Fundamentalisten in Malaysia und Indonesien streben nach immer stärkerer Kontrolle und Vereinheitlichung des Islam; der soziale Frieden sei dabei das erste Opfer.

Kommentar von Baladas Ghoshal

Zu den traditionellen Grußformeln in Malaysia und Indonesien gehörten früher einmal "selamat pagi" oder auch "good morning". Diese aber werden mehr und mehr abgelöst vom arabischen "assalam aleikum".

Als der frühere Präsident und einflussreiche Geistliche Abdurrahman Wahid vor einigen Jahren anregte, dass die Indonesier zu ihren traditionellen Grüßen zurückkehren sollten, waren konservative Islamführer empört. Möglicherweise sehen wir hier nur die Spitze eines Eisberges und werden im islamischen Südostasien in naher Zukunft tatsächlich tief greifende Veränderungen erleben — mit Auswirkungen auch auf andere Staaten der Region.

Beschleunigt wird diese Entwicklung durch einen anhaltenden Transformationsprozess: Ideen, Bräuche und Geld fließen unablässig aus der arabischen Welt gen Osten. Dieser Veränderungsprozess verläuft nicht ohne Konflikte — nicht nur innerhalb des Islam (über die korrekte Auslegung des Korans und die Observanz religiöser Gebote im Alltag), sondern auch zwischen Muslimen und Angehörigen anderer Glaubensrichtungen.

Schließlich handelt es sich bei Malaysia und Indonesien um im Grunde tolerante und pluralistische Gesellschaften, in die der Islam einst über die Handelswege gelangte — und zwar mit meist friedlichen Mitteln.

"Arabisierung" des Islam

Dieser Prozess der "Homogenisierung" - Arabisierung ließe er sich auch nennen - betont bestimmte Rituale und Verhaltensrichtlinien mehr als die inhaltliche Substanz des Glaubens.

Zurückführen lässt sich dies auf die Wahhabiten, eine besonders konservative Richtung innerhalb des Islam, mit Wurzeln in Saudi-Arabien und gefördert mit Geldern der dortigen Regierung. Der Wahhabismus zeichnet sich vor allem durch seinen destruktiven Charakter aus, wenn ein Staat die Religion für politische Zwecke missbraucht.

Während es viele Traditionen gibt, die sich mit abweichenden Meinungen arrangieren können, behaupten die Wahhabiten, sie allein seien die "einzig wahren Verfechter des Islam".

Zunehmendes Selbstbewusstsein der Fundamentalisten

Das Vordringen des arabischen Wahhabismus und der Salafiyya (eine traditionalistische islamische Bewegung, die in den letzten Jahren der Herrschaft des Propheten Mohammed in Mekka ihr Ideal sieht; D.K.) nach Südostasien und in andere Regionen hat bei den Fundamentalisten zu einem enormen Anwachsen ihres Selbstbewusstseins geführt.

​​In der Kenntnis des Korans sehen sie das einzig erstrebenswerte Ziel für einen Menschen. Sie kennen nur einen Gott, ein Buch, einen Weg der Erlösung, und die Glaubensgrundsätze sind unumstößlich und dürfen nicht in Frage gestellt werden.

Eine solche Sicht des Islam führt die Gläubigen unweigerlich zu der Überzeugung, dass ihre Religion die einzige Wahrheit besitzt, alle anderen Religionen falsch sind und es zwischen einem Muslim und einem Nicht-Muslim keine Verständigung geben kann. Dialog, Diskussion oder kritische Auseinandersetzung ist bei einer solchen mittelalterlichen Vorstellung des Islam nicht vorgesehen.

Synkretistischer Charakter des Islam

Was den Islam vor seiner Arabisierung vielleicht besonders anziehend machte, war seine Fähigkeit, sich mit lokalen Traditionen und Bräuchen zu verbinden, was ihm einen synkretistischen und offenen Charakter verlieh; Toleranz und Respekt für andere Religionen waren feste Bestandteile des Bekenntnisses.

Die Integration vorhandener Glaubensvorstellungen und Gebräuche in den Islam brachte unter anderem das volkstümliche Theater hervor, wie etwa die Wayang-Schattenspiele, die auf alten Hindu-Mythen basieren und zu festen Bestandteilen der kulturellen Tradition Indonesiens und Malaysias wurden.

Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte aber änderte sich das Wesen des malaysischen Islam dramatisch, was in abgeschwächter Form auch für Indonesien gilt. Wayang-Theater wurden im malaysischen Bundesstaat Kelantan als "un-islamisch" verboten.

In Indonesien konnten sich die Wayang-Stücke trotz des Drucks konservativer Muslime bisher als Teil der javanesischen Kultur behaupten. Bisher war es die große Diversität des Staates in kultureller, ethnischer und religiöser Hinsicht (und auch ein recht zersplitterter Islam), die dafür sorgte, dass sich die Fundamentalisten mit ihren Forderungen, etwa die nach Einführung der Scharia, nicht durchsetzen konnten; noch ist Indonesien ein säkularer Staat.

Wandel des Verhältnisses zwischen den Religionen

Dennoch ist ein steter Wandel des Verhältnisses der Religionen zueinander zu beobachten. Vor nicht allzu langer Zeit nahmen Indonesier unterschiedlichen Glaubens noch an den Zeremonien der jeweils anderen Religion teil. Heute sprechen muslimische Kleriker angeblich schon Fatwas aus gegen solche "Religions-Durchmischungen".

​​Ein christlicher indonesischer Geschäftsmann berichtete mir, wie enttäuscht er war, als sich Mitte der 1980er Jahre seine muslimischen Mitarbeiter einer alten Tradition in der Firma verweigerten und es ablehnten, auf einem Foto für die Weihnachtskarte des Unternehmens zu erscheinen.

Während es in Malaysia unmöglich ist, einen Muslim zu heiraten, ohne zuvor zum Islam zu konvertieren, waren zumindest in Indonesien solche gemischten Ehen einst gang und gäbe. Heute aber würden solche Ehen auch in Indonesien großen Unmut bei konservativen muslimischen Gruppen provozieren.

Schon im 18. Jahrhundert sah sich der Islam in Indonesien seiner ersten größeren Herausforderung gegenüber, als eine Bewegung versuchte, den Islam von "Verirrungen zu reinigen", die durch die Verbindung mit lokalen Traditionen in den islamischen Glauben gedrungen seien.

Ankunft des Wahhabismus

Manifestieren sollte sich dieser Konflikt noch im 20. Jahrhundert in Form der Auseinandersetzung der beiden islamischen politischen Organisationen, Masyumi und Nahdatul Ulama. Während es der ersteren um den "reinen" Islam ging, befürwortete letztere Partei die Einbeziehung auch indigener Traditionen in den Glauben.

Als in den 1960er Jahren das Bildungssystem liberalisiert wurde, zog es viele Indonesier zum Studium ins Ausland. Religiöse Studenten gingen zumeist in den Nahen Osten, wo sie sich mit wahhabitischen und salafitischen Lehren vertraut machten.

Pakistanische Lehrer kamen ins Land und boten haarsträubende Interpretationen der wahhabitischen Doktrinen. Einheimische und traditionell geprägte "ulama", also religiöse Führer, verloren immer mehr an Einfluss und wurden vielfach ersetzt durch Ausländer.

Die immer stärkere Verbreitung von madrasas - konservative islamische Internate - die vor allem durch Geld aus Saudi-Arabien finanziert werden, zeigt auch äußerlich, wie fest sich der radikale Islam in Südostasien bereits etabliert hat. Selbst einige "pondoks" - traditionelle indonesische Internate - sind schon unter den Einfluss extremistischer Geistlicher geraten.

Religiöser Eifer

Verantwortlich für diese Entwicklung aber ist nicht zuletzt auch die rein säkulare Diktatur Suhartos. Die eklatante Überrepräsentierung der Christen in seiner Regierung (1967-1998) trug zweifellos zum heutigen Konflikt der beiden großen Religionsgemeinschaften bei.
Im Bemühen, dem Islam zumindest politisch das Wasser abzugraben, schränkte die Regierung Suharto praktisch jede Art politischer Willensäußerungen ein. So wurden zwangsläufig die Moscheen zu den einzigen Orten, in denen die Muslime ihren Glauben ausleben konnten.

In dem Maße, in dem indonesische Muslime radikaler und fundamentalistischer wurden, wirkte sich dies auch auf die anderen Religionen aus. Nach den Bombenanschlägen von Bali im Jahr 2002 etwa erlebte die gesamte Region eine Wiederbelebung hinduistischer Riten, und auch evangelikale Christen konnten regen Zulauf verzeichnen.

Rufe nach der Scharia

In den letzten Jahren kam wieder die Forderung nach Einführung der Scharia auf, obwohl die Gründerväter des Landes es nach der Unabhängigkeit 1945 abgelehnt hatten, das islamische Rechtssystem einzuführen.

2003 hatten nur sieben Distrikte Gesetze, die auf dem Glauben basieren, darunter Verbote von Alkohol und dem nächtlichen Ausgang von Frauen ohne männliche Begleitung. Heute sind es schon 53 Distrikte, also mehr als 10 Prozent der Gesamtzahl der Verwaltungsbezirke, in denen religiös-inspirierte Gesetze gelten. Noch in diesem Jahr erwartet man, dass sich weitere anschließen werden.

​​Die Vielfalt der indonesischen Gesellschaft verhinderte bisher die Ausbreitung eines uniformen Islam. Nur ein sehr geringer Prozentsatz der indonesischen Islamisten übt Gewalt aus, doch das genügte schon, die letzten sieben Jahre zu den blutigsten der modernen indonesischen Geschichte seit den Pogromen der 1960er Jahre zu machen.

Wenn sie sich bedroht fühlen, neigen sowohl gemäßigte und tolerante Gläubige wie auch radikale Fanatiker dazu, geschlossene Fronten zu bilden. Die Ziele, die sie vertreten, sind dabei nicht immer als konstruktiv zu bezeichnen.

So gab das vor ein paar Jahren umlaufende Gerücht, christliche Organisationen würden Waffen auf die Molukken schicken, um die dort ansässigen Christen auszurüsten, dem indonesischen Dschihad einen starken Auftrieb und radikalisierte selbst moderate Muslime in der Armee.

Gefahr für die ganze Region

In ganz Java beklagen sich Christen, dass ihre Kirchen in Brand gesetzt werden und dass sie von einheimischen Milizen eingeschüchtert werden. In Sulawesi wurden drei jugendliche Schülerinnen geköpft — eine deutliche Warnung an die christliche Gemeinde.

Viele Indonesier lehnen die schleichende Arabisierung ihres Landes ab und empfinden den Aufschwung radikaler Ideen als Bedrohung des sozialen Friedens und ihres Lebensstils. Nicht überraschend werben die gerade entstehenden nicht-politischen islamischen Organisationen, die so genannten "Liberalen und Moderaten" vor allem bei der intellektuellen Elite und den Studenten um Unterstützung.

Auch wenn der Wettbewerb um die Herzen und die Köpfe der Normalfall in einer pluralistischen Gesellschaft sein sollte, hat der wachsende Einfluss des radikalen Islam bereits den Samen der sozialen Unruhe gesät. Nicht nur Indonesiens eigene Stabilität geriete dadurch in Gefahr, auch die Nachbarn des größten Landes Südostasiens würden die Auswirkungen hiervon zu spüren bekommen.

Baladas Ghoshal

© Yale Global 2007

Baladas Ghoshal ist Forschungs-beauftragter am Centre for Policy Research und hatte unlängst eine Gastprofessur im Department of Intercultural Studies, Nagoya City University, Japan.

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

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