Kleine Inseln im Ozean der Ministerialbürokratie
Yasser Abdel Wahab arbeitet bei Intel, hat aber nichts mit Software und Hardware zu tun. Er hat nur eine Aufgabe: sich um die von Intel unterstützen Bildungsprogramme im Nahen Osten zu kümmern.
Trotzdem ist Abdel Wahab ein viel beschäftigter Manager, den man nur spät abends bei einer Wasserpfeife treffen kann. Am meisten zu tun hat er in Ägypten.
Dort hat die Regierung zusammen mit acht internationalen IT-Firmen, darunter auch Großkonzernen wie Intel und Siemens, eine neue Bildungs-Initiative gestartet.
So wurden diesen Sommer auf einen Schlag 53.000 Lehrer für eine berufliche Weiterbildung registriert. Weitere 12.000 Lehrer von insgesamt 2000 Schulen sollen in naher Zukunft an weiteren Fortbildungsprogrammen teilnehmen. In den Kursen werden die Lehrer mit der Arbeit an Computern und neuen Lehrmaterialien vertraut gemacht.
Team-Work statt bloßes Auswendiglernen
"Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein IT-Training", sagt Wahab. Das Programm soll vielmehr die gesamte Qualität des Unterrichts verbessern: Team-Work der Schüler, problemorientiertes Vorgehen anstatt Auswendiglernen, Projekt-Unterricht standen auf dem Stundenplan des Trainings.
"Das ist ein großer Unterschied", meint Wahab. "Ich war selber Schüler in Ägypten: Du sitzt nur in deiner Bank, konsumierst den Stoff, und denkst, dass Du bloß nichts mit anderen teilen darfst."
Unabhängig von der aktuellen Initiative will Intel bis 2010 auf eigene Faust zusätzlich 650.000 Lehrer fortbilden, damit ist das Unternehmen noch ambitionierter als die anderen Firmen, die sich auf diesem Gebiet in Ägypten betätigen.
Ganz anders das ägyptische Bildungsministerium, wo man sich eher unbeteiligt gibt. Der Pressesprecher verweist an die beteiligten Firmen, und der verantwortliche Abteilungsleiter ans IT-Ministerium. Letztlich will er keine Fragen zu dem Programm beantworten.
"Die Lehrer-Ausbildung in dem Programm ist Aufgabe der internationalen Unternehmen – egal, ob sie das selber machen oder spezielle Firmen damit beauftragen", bestätigt im IT-Ministerium die zuständige Abteilungsleiterin Hoda Baraka. "Das gilt auch für die Evaluierung."
Ägyptens Bildungsmisere
Mit einer umfassenden Bildungsreform ist die ägyptische Regierung immer wieder gescheitert. Für die 16 Millionen ägyptischen Schüler gibt es 800.000 Lehrer, und noch einmal 1,2 Millionen Beamte in der Schulverwaltung. Ein bürokratisches Ungeheuer, das längst eigene Interessen verfolgt. Denn jede Reform, jede Veränderung in den Vorschriften gefährden die zusätzlichen Einkommensquellen von Lehrern und Beamten.
Die Mehrheit der Lehrer lebt von Privatstunden, und bei den niedrigen Gehältern kann ihnen das keiner verübeln. Nach zehn Jahren Dienst liegt das Gehalt bei nicht mehr als 60 Euro im Monat. So gibt es Lehrer, die gar keinen regulären Unterricht mehr leisten, sondern nur noch Privatstunden in der Schule anbieten.
Überschaubare IT-Projekte hingegen lassen sich ohne große Widerstände realisieren und kaschieren das Scheitern umfassender Reformen. "Das ist der einfachste Weg, Reformen zu starten, so haben die Offiziellen schnell etwas vorzuzeigen", sagt Najat Rochdi, regionale Koordinatorin von ICTDAR, einer Organisation des UNDP. Sie berät die Regierungen des Nahen Ostens beim Einsatz von IT in Entwicklungsprojekten.
Angesichts des Reformstillstandes im Bildungssystem versuchen internationale IT-Firmen wie Siemens oder Intel das Bildungs-System in Ägypten zu verbessern, womit sie eine elementare Aufgabe des Staates übernehmen, nämlich die Aus- und Fortbildung seiner Lehrer. Doch ohne gleichzeitige Bildungsreformen sind solche Initiativen kleine Inseln, die haltlos im riesigen Ozean der ägyptischen Ministerial- und Schulverwaltung treiben.
"Es muss auch eine Reform des Bildungssystems geben", warnt Rochdi. "Man kann nicht so weitermachen wie vorher."
Langfristige Unternehmensinteressen
Das Interesse der Firmen: Um ihre IT-Produkte wie Computer und Software auch in Entwicklungs- und Schwellenländern zu verkaufen, müssen sie sich ihren Markt erst einmal selbst kreieren. Sie versprechen sich von ihren Trainingsprogrammen zwar keine unmittelbaren Vorteile, sondern setzen vielmehr auf langfristige Strategien, um dann ihre Produkte in Ägypten gewinnbringend abzusetzen.
Weniger als fünf Prozent der Haushalte haben in Ägypten einen Computer, zum einen, weil die Geräte entweder zu teuer sind, zum anderen, weil die Nutzung von PCs bisher nur höheren Bildungsschichten vorbehalten ist.
Zur höheren Verbreitung von Internet-Anschlüssen und zur Senkung von PC-Preisen gibt es Initiativen, in denen lokale und internationale IT-Firmen mit der Regierung zusammenarbeiten.
Dabei zeigen sich die internationalen Firmen als wesentlich dynamischer; zudem sind sie – nicht zuletzt aus Eigeninteresse – eher als die Ministerial-Bürokratie in der Lage, die entsprechenden Projekte voranzutreiben. "Viele Schulen wurden schon vor zehn Jahren mit PCs ausgestattet. Doch die werden kaum genutzt, weil die Lehrer sie bis heute nicht bedienen können", berichtet Ehab El Anany, ein Lehrer aus Benha, einer Kleinstadt im Nil-Delta.
Positives Echo
Die Lehrer jedenfalls freuen sich über die willkommene Fortbildung. El Anany ist begeistert. "Es bringt neues Leben in die Klasse. Wir arbeiten jetzt in Projekten. Im Mathematikunterricht suchen die Schüler jetzt nach dem Bezug des Fachs in ihrem täglichen Leben. Und jetzt lieben sie das Fach sogar – nur weil der Computer im Unterricht benutzt wird."
Die Lehrer bewerben sich in der Regel selbständig für ein Fortbildungsprogramm, die Schulverwaltung macht Werbung für das Training und ist für die Auswahl der Teilnehmer verantwortlich.
Direkte Einbindungen oder Verpflichtungen gegenüber den IT-Unternehmen bestehen nicht. Nach sechs Monaten finden so genannte "Follow-Up-Trainings" statt, um die Nachhaltigkeit der Fortbildung zu gewährleisten.
Najat Rochid vom UNDP sieht inzwischen auch Fortschritte bei den Regierungen. "Einige der Länder in der Region setzen sich jetzt hin und entwerfen eine Strategie, wo IT nicht der Ausgangspunkt ist, sondern ein Werkzeug für Entwicklung."
Trotzdem treiben die internationalen Firmen die Verbesserung des Bildungssystems voran, und sie verstehen es, sich dabei gut in Szene zu setzen.
Als die besten Absolventen des ersten Durchgangs vom Sommer geehrt werden sollten, ließ sich Intel dies nicht nehmen und lud Lehrer sowie Offizielle während des Ramadan zu einem gemeinsamen Fastenbrechen ins Veranstaltungshaus der ägyptischen Luftwaffe ein.
Dessen Einrichtung ist so luxuriös, dass man es schon einmal mit einem der Kairoer Fünf-Sterne-Hotels verwechseln kann. Nur Bildungsminister Ahmad Gamal Eddin Moussa sagte in letzter Minute ab.
Frederik Richter
© Qantara.de 2006
Qantara.de
Hintergrund
Bildung in der arabischen Welt
Es steht schlecht um Bildung und Forschung in den Staaten der arabischen Welt. Zu diesem Ergebnis kam der Bericht der Vereinten Nationen "über die menschliche Entwicklung in den arabischen Ländern". Zwischen Morgen- und Abendland klafft eine immer größer werdende Bildungslücke. Von Reinhard Baumgarten
Private Universitäten in Ägypten
Bildung als Exportgut
Die Goldgräber scheinen aus aller Herren Länder an den Nil zu strömen. Private Universitäten sind ein lukratives Geschäft und schießen in Ägypten wie Pilze aus dem Boden. Ein Bericht von Frederik Richter.
Zensur von Online-Medien in Ägypten
Die Internetpolizei vom Nil
Obwohl die ägyptische Regierung die Ausbreitung des Internets anfangs förderte, ist das neue Medium heute vielen staatlichen Ordnungshütern ein Dorn im Auge. Zensur und Verbote von Webseiten sind keine Seltenheit mehr, wie Nelly Youssef aus Kairo berichtet.