Neue Hoffnung für den Jemen?
"Die ersten Tage waren wunderbar", erinnert sich Reem Jarhum an den Beginn der Revolution im Jemen vor zehn Jahren. "Wir versammelten uns auf dem Tahrir-Platz und freuten uns, Gleichgesinnte zu treffen", schildert sie die nun zehn Jahre zurückliegende Aufbruchsstimmung in der Hauptstadt Sanaa.
Damals hatte der starke Mann des Jemen, Ali Abdullah Salih, bereits seit langer Zeit das Sagen. An die Macht gekommen, war er 1978. Bis 1990 regierte er als Präsident der Jemenitischen Arabischen Republik, danach als Präsident des wiedervereinigten Jemen. Damit war er noch länger im Amt als der ägyptische Präsident Husni Mubarak, der am 11. Februar 2011 gestürzt wurde. "Dieses Ereignis war der Startschuss für die Jemenitinnen und Jemeniten", erinnert sich die heute Jahre 32 alte Jarhum im Gespräch. "Was auf Facebook bereits begonnen hatte, wurde nun auf die Straße getragen."
Auch die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman war damals vor Ort. Die "Mutter der Revolution", wie sie heute genannt wird, hatte bereits seit 2007 gegen politische Missstände, vor allem die Korruption, gekämpft. Die Demonstranten suchten damals den friedlichen Dialog mit der Regierung. Doch sie beantwortete das Gesprächsangebot mit Tränengas und brutalen Polizeirazzien.
Karman selbst erhielt 2011 zusammen mit den liberianischen Friedensaktivistinnen Ellen Johnson Sirleaf und Leymah Gbowee als erste Jemenitin und erste arabische Frau eine der weltweit höchsten politischen Ehrungen: den Friedensnobelpreis. Ausgezeichnet wurde sie für ihre "führende Rolle im Kampf für die Rechte der Frauen und für Demokratie und Frieden im Jemen", begründete das Nobelpreiskomitee damals seine Entscheidung.
"Nach der Revolution erlebten wir drei der schönsten Jahre überhaupt", sagte Karman rückblickend in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. "Nur wenige Tage trennten uns noch von einem Verfassungsreferendum und der Umsetzung von Wahlen."
Eine humanitäre Katastrophe
Doch die Hoffnung mündete in eine politische Katastrophe. 2012 brach im Jemen ein neuer Bürgerkrieg los, mit desaströsen Folgen: Rund 80 Prozent der knapp 30 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten sind inzwischen auf Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keine gesicherte Ernährung, über 100.000 Menschen wurden nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR getötet, darunter auch viele Kinder.
"Der Krieg hält sich vor allem aufgrund der Finanzierung von außen und durch die verschiedenen Stellvertreterkräfte, die sich an ihm beteiligen", sagte Samaa Al-Hamdani, Politik-Analystin beim Middle East Institute in Washington. "Der Iran, Saudi-Arabien, die Türkei und viele weitere Länder sind in diesen Krieg verwickelt und wollen, dass er weitergehr", so Al-Hamdani.
Unter den Präsidenten Barack Obama und Donald Trump waren auch die USA indirekt am jemenitischen Bürgerkrieg beteiligt. So hatte die Obama-Administration 2015 die Luftangriffe Saudi-Arabiens gegen die Huthi-Rebellen gebilligt.
Doch nun hat die neue US-Regierung unter Joe Biden eine deutliche Kehrtwende angekündigt. "Dieser Krieg muss aufhören", hat Biden in seiner ersten großen außenpolitischen Rede am 4. Februar 2021 erklärt. Die USA würden ihre Unterstützung für offensive Operationen im Jemenkrieg beenden, einschließlich der damit zusammenhängenden Waffenverkäufe. Dies gelte allerdings nicht für jene Waffen, die im Kampf gegen die Terrorgruppe Al-Kaida eingesetzt würden.
Zurückhaltende Hoffnung
Politische Analysten bewerten die neue US-Position zunächst noch zurückhaltend. "Ein Stopp der Waffenverkäufe bedeutet nicht unbedingt, dass die Rüstungsexporte dann tatsächlich auch eingestellt werden", sagt Al-Hamdani. "Es ist typisch für US-Administrationen, die Arbeit der Vorgängerregierungen zunächst einmal auf Eis zu legen, um sie dann zu überprüfen." Umso mehr setzt die Analystin allerdings auf die Arbeit des neuen UN-Sondergesandten für den Jemen, den US-Diplomaten Timothy Lenderking. Es sei ermutigend, dass er vor Ort versuchen wolle, die Konfliktparteien zu einer Waffenstillstandsregelung zu bewegen.
Auch Farea Al-Muslimi, Vorsitzender und Mitbegründer des Sanaa Center for Strategic Studies, hält den Stopp der Waffenverkäufe zwar für vielversprechend, aber nicht ausreichend. "Es ist ein sehr guter Schritt", so Al-Muslimi. "Aber wird er dem Jemen Frieden bringen? Nein." Er würde es zwar ebenfalls begrüßen, wenn aus dem Westen weniger Waffen kämen. "Aber das wird nicht ausreichen, um im Jemen einen umfassenden Frieden zu erreichen." Auch er setzt vor allem auf die Arbeit von UN-Diplomat Lenderking.
Eine neue politische Kultur
Im Jemen selbst stehen viele Menschen noch heute zur Revolution, ungeachtet ihres katastrophalen Ausgangs. "Unsere Biografien haben sich 2011 verändert", sagt Farea al-Muslimi. "In jenem Jahr haben wir ein neues Verständnis von Macht entwickelt. Es war das Jahr, in dem das Regime begann, unseretwegen durchzudrehen." Allerdings leide die Bevölkerung auf vielerlei Weise. Darum sei es kaum vorstellbar, dass es in nächster Zeit zu einem weiteren landesweiten pro-demokratischen Aufstand komme, meint er.
Ähnlich sieht es Samaa Al-Hamdani. Die Idee eines demokratischen Prozesses sei zwar wichtig und künftig weiterhin erstrebenswert. "Aber es ist wirklich schwer vorstellbar, dass sie in absehbarer Zeit politische Wirklichkeit wird."
Auch Reem Jarhum – sie arbeitet derzeit in Berlin zu einem speziell auf den Jemen zugeschnittenen Aufklärungsprojekt über COVID-19 – ist der Ansicht, die Revolution habe sich gelohnt. "Politisch ging es bergab, aber gesellschaftlich hat der Wandel viele Gespräche angestoßen", sagt sie. "Die Menschen sind jetzt offener."
Derzeit bräuchten die Jemenitinnen und Jemeniten aber vor allem humanitäre und medizinische Hilfe. "Versuchen Sie mal, den Menschen zu sagen, sie sollen sich die Hände waschen, wenn sie weder etwas zu essen noch sauberes Trinkwasser haben. Das ist verrückt."
Jennifer Holleis
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