Aufzeichnungen des Schreckens

2012 hielt sich der "Le Monde"-Journalist Jonathan Littell zwei Wochen lang in Homs auf, dem damaligen Zentrum des Widerstands gegen das Assad-Regime. Seine in Eile verfassten Notizen liefern ein drastisches Zeugnis der damaligen Zustände in der zentralsyrischen Metropole. Von Nahrain Al-Mousawi

Von Nahrain al-Mousawi

Als dem Journalisten Jonathan Littell von einem syrischen Kämpfer immer noch mehr Videos der schrecklichen Gewalt im Land gezeigt wurden, schrieb er: "Diese Smartphones sind Museen des Schreckens". Doch dieses enorme Ausmaß an Gewalt in Syrien, das Littell erlebte und das in diesen Geräten enthalten zu sein schien, wird auch in seinen Aufzeichnungen dokumentiert – Alte und Kinder, die vor ihm auf dem Fußboden einer unterirdischen Klinik liegen, verletzt oder tot, von Scharfschützen angeschossen; das letzte lebende Kind einer ermordeten Familie, hysterisch und verängstigt; die Unzahl von Narben und Verstümmelungen nach den Bombardements.

Littell selbst besteht darauf, dass sein Text "ein Dokument ist und keine Literatur". Um seine Glaubwürdigkeit zu belegen, bezeichnet er die Aufzeichnungen als "Mitschrift", was auch durch das Stakkato der kurzen und dichten Prosa seiner Beobachtungen betont wird.

Diese rohe und drastische Schreibweise reflektiert Littells Fokussierung auf die schrecklichen Ereignisse in Homs. Und die Zusammenfassung all dieser Notizen zu einer Chronik rechtfertigt er damit, lediglich Zeuge zu sein, um "den kurzen Moment zu dokumentieren, der die letzten Tage der Revolte gegen das Regime von Baschar al-Assad enthält, kurz bevor der Aufstand in einem Blutbad endet. Ein Blutbad das noch immer andauert, während ich diese Zeilen schreibe", so Littell.

Taktiken in einem mörderischen Konflikt

Die englische Ausgabe der syrischen Notizbücher enthält eine Einführung, in der nicht nur der Aufstieg des IS thematisiert wird, sondern auch der Stellenwert der Terrormiliz für Assads Strategie, die politische Spaltung des Landes noch weiter zu vertiefen. Es ist eine Strategie, welche die russische Taktik gegen Tschetschenien zum Vorbild hat.

Cover of Jonathan Littell's "Syrian Notebooks: Inside the Homs Uprising", translated by Charlotte Mandell (published by Verso)
"Das Schlimmste hatte gerade erst begonnen": Der französisch-amerikanische Journalist und Autor Jonathan Littell zeichnet in seinen "Syrian Notebooks" ein authentisches Bild des Schreckens in der vom Bürgerkrieg zerstörten zentralsyrischen Metropole Homs und das nackte Überleben seiner Bewohner.

Littell berichtet, dass nach der Unabhängigkeit Tschetscheniens die russische Geheimpolizei einen militanten Islamisten namens Arbi Barajew finanziert habe. Dieser verfolgte jene Taktik, die heute das Markenzeichen des IS ist: das Enthaupten „ungläubiger“ Zivilisten und die Entführung von Journalisten sowie Ausländern.

Dies führte nicht nur zu einer Medienblockade, sondern auch zu einem Nachlassen des "guten Willens" im Ausland. Darüber hinaus "wurde er durch den zunehmenden politischen und sogar militärischen Druck krimineller islamistischer Rebellengruppen gegen den frei gewählten nationalistischen Präsidenten Aslan Maskhadow gezwungen, seine Position zu radikalisieren", so Littells Darstellung.

Die Kooperation des russischen Geheimdienstes mit tschetschenischen Islamisten, die – ähnlich den heutigen Hinrichtungen, Entführungen und Aufzeichnungen all dieser Gräueltaten durch den IS – ein Szenario des Kampfes von Extremisten gegen gemäßigte Kräfte schaffen sollten, wurde damals von couragierten russischen Journalisten dokumentiert.

Littell behauptet, in Syrien sei durch genau diese Strategie versucht worden, von den Gewalttaten des Regimes abzulenken und Assad zu einem unverzichtbaren Akteur im "Krieg gegen den Terror" zu machen. Dadurch sei ein allgemeiner Volksaufstand erwachsen, der in einen blutigen Bürgerkrieg mündete – blutiger, als es sich sämtliche Kämpfer, denen er begegnete, zu Beginn des Aufstandes hätten vorstellen können.

Trotz der extremen Gewalt ist das, was letztlich durch Littells Bericht durchscheint, die Normalität des Lebens der Kämpfer, denen er begegnete: die alltägliche gemeinsame Zubereitung des Essens in verlassenen und ausgebrannten Wohnungen oder die Pflege der Verwundeten in informellen Lazaretten oder Krankenhäusern (ein notwendiger Schritt, nachdem das Militär damit begonnen hatte, verletzte Patienten einzusperren).

Momentaufnahmen und Unübersichtlichkeiten

Doch obwohl sich Littell auf den Augenblick und die Details des Alltags der syrischen Rebellen konzentriert, verlieren seine Beobachtungen an Schärfe, da er scheinbar wahllos von einer Person zur anderen, von einem Ereignis oder von einem Ort zum anderen springt.

Während er mit seinem Fotografen und Kämpfern der "Freien Syrischen Armee" auf Motorrädern, in Taxis, auf Lastwagen oder zu Fuß in der Stadt unterwegs ist, geraten die Besonderheiten der jeweiligen Konfliktsituationen, der nachbarschaftlichen Kooperationen und der Charaktere aus den Blick, ganz zu schweigen von der Prägnanz und Unmittelbarkeit seiner Beschreibungen.

Möglicherweise ist dies auch der Art der Tagebuchaufzeichnungen geschuldet. Obwohl sich Littell bewusst auf die Seite der Rebellen begeben hatte, blieb er in Wirklichkeit ein Außenseiter, dem tiefe Einblicke in das Konfliktgeschehen letztlich verwehrt blieben. Zwar gelang es ihm, die Normalität und die kleinen Dinge des Alltags mit der größeren Dimension des Aufstands und der Repression zu verbinden. Doch letztlich verweist er selbst auf die begrenzten Möglichkeiten, die Entwicklungen in Syrien im Kontext seiner Aufzeichnungen detailliert wiedergeben zu können.

Museum des Schreckens

Im Nachwort zieht er rückblickend Bilanz: "Erst nachdem ich all dies geschrieben und Syrien verlassen hatte, eskalierten die Ereignisse in Homs. Ich dachte, was ich bereits gesehen hatte, sei schlimm genug, und ich wüsste nun, was Gewalt bedeutet. Doch ich habe mich getäuscht. Das Schlimmste hatte gerade erst begonnen…"

Dieses Buch ist mehr als nur die Erinnerung eines Mannes an die Verwandlung einst lebenswerter syrischer Städte in "Museen des Schreckens" seit dem Beginn des Bürgerkriegs. Hinter Littells Chronik der Zerstörung von Homs verbirgt sich auch eine Anklage gegen all jene Politiker weltweit, die es billigend hingenommen haben, dass die Zerstörung Syrien bis heute ungestraft weitergeht: "Dies alles hätte verhindert werden können", so Littell. "Es gab eine Vielzahl von politischen Optionen und Handlungsmöglichkeiten für eine friedliche Zukunft des Landes. Und auch wenn unsere Politiker unbeirrt betonen, man habe letztlich nichts tun können, so entspricht dies nicht der Tatsache. Ohne unsere Gleichgültigkeit, Feigheit und Kurzsichtigkeit hätten sich die Dinge gewiss anders entwickelt".

Nahrain al-Mousawi

© Qantara.de 2016

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Jonathan Littell: "Syrian Notebooks: Inside the Homs Uprising", Verso Books, 256 Seiten, ISBN: 9781781688243