Stimmen aus einer Region
Das Buch zum Film, endlich: zum arabischen, türkischen, iranischen Kino. Das auf Festivals schon seit Jahrzehnten Preise einheimst und immer öfter auch auf deutschen Leinwänden zu sehen ist. Natürlich nicht mit dem Kassenerfolg, der in Frankreich selbstverständlich ist.
Unsereiner, der in seiner Rolle als Filmverleiher eine Zeit lang vor arabischen Filmen nicht zurückschreckte, könnte ein Lied davon singen, wie sich Meisterwerke hierzulande in Kassengift verwandeln, wenn die folkloristischen Erwartungen des deutschen und oft auch exilarabischen Publikums nicht bedient werden.
Aber lasst uns lieber jubeln: Dies ist das Buch eines Kenners, der seit Jahren die einschlägigen Festivals bereist und mit den besten Filmemachern über ihr Werk gesprochen hat. Jetzt hat der Kölner Filmjournalist Amin Farzanefar ihre Stimmen in einem kostbaren Band versammelt und auf den Namen "Kino des Orients" getauft.
Das ist natürlich ein ironisches Zugeständnis an den hiesigen Markt, der sich das Träumen nicht nehmen lassen will – von einem, der derzeit an einer Dissertation über den Orient im Populärkino des Westens arbeitet.
"Kino des Orients" lässt, mit Einleitungen zu jedem einzelnen Regisseur, höchst unterschiedliche Stimmen aus dem Maghreb, aus Ägypten, Palästina, Iran, der Türkei und nicht zu vergessen der Schar hier geborener Zuwandererkinder zu Wort kommen. Nur eines haben sie gemeinsam: die exotistische Erwartung wird aufs angenehmste enttäuscht.
'Superstars' sind nicht vertreten
Von Designprodukten wie der "List der Frauen" – ein feministisches "Schöner-Wohnen-in-Marokko"-Soufflee – keine Spur. Sogar die Superstars des iranischen Kinos, die Makhmalbafs und Kiarostamis mit ihren, pardon, "Schöner-Leiden-in-Iran"-Zeitdehnungsübungen, glänzen durch Abwesenheit.
Statt dessen ein Kurde, Bahman Ghobadi, der die Leidensgeschichte seines Volkes mit aller Härte schildert. Und die beiden Auslandsiraner Solmaz Sahbazi und Tirdad Zolghadr mit ihrem Dokumentarfilm über die Betonarchitektur in der Megacity Tehran – und wunderbar bissigen Anmerkungen zum hiesigen Gutmenschen-Geschmack.
Die übliche Reaktion auf ihren Film: "Wo sind die verschleierten Frauen, der Basar, das Chaos?"
Und warum sie nur die Oberschicht zeigen würden? Zolghadr: "Also, ich habe für Prolls keine Zeit, tut mir leid." Shabazi: "Dass die Leute immer das Leid und die Armut lieber sehen wollen als das Normale!"
Zolghadr: "Dieser Elendstourismus! Nimm diese ganzen Dokumentarfilmfestivals mit einem Sammelsurium von verschiedenen Schattierungen von menschlichem Leid, wo man nicht richtig erkennt, worauf das hinausläuft, außer auf so einen angenehmen Kitzel: Zum Glück wohnen wir hier und nicht dort. Das war eine Sache, die wir nicht bedienen wollten."
Fernab von Klischees
Man möchte ihnen um den Hals fallen für diese Sätze; denn die verweigerten Klischees, Unterdrückungsarien, Frauenbewegungs-Grußbotschaften u.ä. sind wirklich unerträglich. Vollends Realsatire der Bericht von einem Dokfilmfestival-Direktor, der an Zolghadr gar keinen Gefallen fand – bis er hörte, dass jener schon mal im Gefängnis war!
Ja, so ist das: Die Kunst ist das oft letzte, was den Westen an Filmkunst aus der islamischen Welt interessiert (den Mainstream spart Farzanefar aus, hier geht es allein um Arthouse-Filme). Der orientalisierende Blick deutet alles als gesellschaftskritisches Dokument.
Was für ein Glück, dass große Erzähler wie Yusri Nasrallah aus Ägypten dagegen rebellieren: "Nein, ich erzähle nichts über die arabische Frau!"
Weil seine Figuren Individuen sind, die niemanden als sich selbst repräsentieren. Weil alle hier vertretenen Autoren Künstler sind, die es wagen, "Ich" zu sagen – Individuen, die in ihren Filmen für ihre Gesellschaften das Individuum entdecken; und sich darum zu Recht dagegen verwahren, wenn ihre Schöpfungen von der westlichen Kritik zu journalistischen Thesen degradiert werden.
Das "Kino des Orients" blüht
Kämpferisch, nachdenklich, witzig – dies ist ein Stelldichein der klugen Köpfe. Kein Kapitel ohne überraschende Erkenntnis. Wer hätte noch nie gelästert, dass der von Europa – wem sonst! – finanzierte arabische Festivalfilm in Wahrheit ein reines Exportprodukt sei?
Nun, 'Ali Zaoua', Nabil Ayouchs großartige Straßenkinder-Ballade, wurde mit französischen Geldern gedreht – und brachte es in Marokko auf atemberaubende 500.000 Zuschauer!
Zum Vergleich: Der Berlinale-Sieger 'Gegen die Wand' schaffte 750.000 in einem Land mit fast dreifacher Bevölkerung. Das macht Mut: Das neue "Kino des Orients" ist keine hochgepäppelte Illusion, es blüht und gedeiht in der Heimat und bei uns. Amin Farzanefars kurzweilige Einführung kommt da gerade recht.
Ludwig Ammann
© Qantara.de 2005
Ludwig Ammann ist Islamwissenschaftler, Publizist und Gründer der Kool-Filmdistribution
Amin Farzanefar
Kino des Orients
Schüren, 2005
ISBN 3-89472-392-0
19.90 EUR
Schüren Verlag, Marburg
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Ludwig Ammanns Kool Filmdistribution