Ruhe vor dem nächsten Bildersturm?
Um das einst so viel gerühmte, innovative iranische Kino, das vor wenigen Jahren noch alle wichtigen internationalen Filmpreise abräumte, ist es eher still geworden – sowohl im Westen als auch in der Islamischen Republik. Eine Bestandsaufnahme und ein Rückblick von Amin Farzanefar
Mitte der 1980er Jahre tauchten plötzlich immer mehr iranische Filme auf europäischen Festivals auf – mit einer schnörkellosen Bildsprache, Laiendarstellern und einer klaren moralischen Botschaft eroberten sie den westlichen Kinobetrieb. Vor allem zwei antagonistische Figuren waren prägend für diese Jahre: Mohsen Makhmalbaf, Mitglied einer "Anti-Schahguerilla", entdeckte das Kino zunächst als Propagandainstrument. Das obsessive, geradezu messianische Sendungsbewusstsein seiner Frühwerke kühlte bald ab zugunsten eines sozial engagierten Realismus. Als glaubwürdiger Kritiker des Regimes wurde er zu einer Art Volksheld – und schließlich selber zum zensierten Dissidenten. Aufbruch zwischen Agitprop und Naturromantik Im Lande selbst weniger bekannt – aber auf europäischen Festivals umso heftiger umworben - war Abbas Kiarostami: ein Meister der Innerlichkeit, der seine in idyllischen Landschaften spielenden Parabeln mit unendlichen Bedeutungsnuancen anreicherte.
Seine bei aller Hintergründigkeit leichten und humorvollen Filme gewannen die Herzen der Cineasten und talentierter Nachahmer, aber auch platte Kopisten, die nur noch eine Formel bedienten: arme Kinder laufen durch blühende Landschaften und suchen etwas – einen Sack Reis, ein Paar Schuhe, einen Krug, ein Haus. Kiarostami selber hat diese Verführung zum Plagiat in "Close Up", dem vielleicht besten Film jener Zeit, thematisiert: ein Mann gibt sich als der berühmte Makhmalbaf aus und wird von einer Familie von Bewunderern verköstigt, bis der Schwindel auffliegt und der echte Makhmalbaf hereinschaut. Ein komplexer Kommentar, basierend auf einem realistischen Fall, und ebenso iranisch wie universell in seiner Aussage über Schein, Sein und die Sehnsucht nach dem anderen Leben. Bildschön und leidend: Frauen machen Filme Diese so erfolgreichen 1990er waren auch die Ära des iranischen Frauenfilmes; die Hauptakteure hießen Tamineh Milani und Rakhshan Bani-Etemad. Milanis handlungsorientierte Hollywood-Variationen – Melodrama, Thriller oder Komödie – folgen einem Muster: häufig wird eine intellektuell überlegene Frau von ihrem durchschnittlichen Mann dominiert, dem aber die patriarchale Familien- und Sozialstruktur recht gibt. Gegen diesen bisweilen plakativen Feminismus setzt Rakhshan Bani-Etemad auf genaue, realistische Porträts von Frauen (zum Beispiel allein erziehende Mütter, Künstlerinnen), die sich in einem aufreibenden Alltag behaupten müssen. Diese Filmemacherinnen – anfänglich von ihren männlichen Team-Kollegen verspottet – wurden bald zu Identifikationsfiguren, die auch an der Kinokasse überzeugten: Milanis Scheidungskomödie "Cease Fire" erzielte die höchsten Einspielergebnisse überhaupt. Inzwischen gibt es eine wachsende Zahl erfolgreicher Regisseurinnen: Samira Makhmalbaf, Marzieh Meshkini, Manijeh Hekmat, Mania Akbari. Unter anderem sind Schauspielerinnen zu "Role-Models" für Generationen junger Iranerinnen geworden: Niki Karimi und Hedieh Tehrani, Golshifteh Farahani verkörpern bildschöne, oft leidende, immer selbstbewusste Städterinnen. Unter "Reformpräsident" Khatami waren die herumlaufenden Kinder zu Jugendlichen herangewachsen, die sich aktive Teilhabe an der Globalisierung und einer Popkultur iranischer Prägung wünschten. Dont believe the hype! Fast am Ende dieses flüchtigen Überblickes wird es Zeit für einen Einwurf, der einige Mutmaßungen über das iranische Kino zurechtrücken mag. Einerseits erblühte das iranische Kinowunder nicht im Widerstand, sondern als direkte Folge der Revolution. Nachdem der islamistische Mob mehrere Kinos als Symbole westlich-imperialistischer Überfremdung verwüstet und verbrannt hatte, hob Imam Khomeini persönlich ein neues Kino aus der Taufe: Darius Mehrjuis "Die Kuh", der den ländlichen Feudalismus anprangerte, sollte als neuer Maßstab für das künftige nationale Kulturgut dienen. In der Folge wurden Förderstrukturen geschaffen, die in der gesamten Region ihresgleichen suchen, Nachwuchsregisseure erhielten vorher unbekannte Zuwendungen, allmählich entstand ein kafkaeskes Wechselspiel von gleichzeitiger Förderung und Zensur, oft durch dieselbe Behörde. Andererseits gründete das iranische Kinowunder auf Kontinuität und knüpft an eine schon unter dem Schah existierende Filmkultur an. Zahlreiche Regisseure entstammen einer der französischen "Nouvelle Vague" vergleichbaren Bewegung, die in den 1970er Jahren bereits bestehende Genres wie den Actionfilm umkrempelten und um sozialrealistische Inhalte und formale Experimente bereicherten. Bizarre symbolistische Filmwelten
Andere Autorenfilmer wie Shahid-Saless oder Taghvaie entwarfen bizarre symbolistische Welten, die den Alltag abgründig erschienen ließen. Wieder andere loteten in mythologischen Tiefenschichten der Volksseele, wie der Theaterwissenschaftler Bahram Beyzai. Das bringt einen dritten Aspekt ins Spiel: Das Bild des wider alle Anfechtungen der Zensur ländlich-unverdorbenen Arthouse-Kinos, das vor allem eine exotische Projektion ist – eine Sehnsuchtsphantasie des postmodernen Westens. Tatsächlich spielen die "Ziegenfilme" eine eher marginale Rolle im Teheraner Kinoprogramm. Das Publikum bevorzugt neben Sozial-, Scheidungs- und Familiendramen dieselben Blödelklamotten, Actionfilme und Schnulzen wie der Rest der Welt auch. Eben dieses Umfeld brachte jene kritischen Blockbuster hervor, die massenkompatibel soziale Unzufriedenheit in Lachsalven ventilierten. In einem System, in dem Privatheit und Öffentlichkeit, revolutionäre Ideale und wirtschaftliche Realitäten, weit auseinanderklaffen, und der gemeine Iraner seine multiplen Identitäten nicht mehr zur Deckung bekommt, sind nicht zufällig die drei größten Erfolge der letzten Jahre Verwechslungskomödien:
Kamal Tabrizis "Marmulak" (Eidechse) erzählte von einem Dieb, der sich in der Kleidung eines Geistlichen aus dem Gefängnis stiehlt, und zum Dorfmullah wird. In Saman Moghaddams "Maxx" sorgt ein abgehalfterter Rockmusiker aus L.A., der versehentlich zum Klassik-Konzert geladen wird, für panische Verwirrung im verfeinerten Kulturbetrieb. In "Cease Fire" schließlich stolpert eine scheidungswütige Ehefrau statt in die Anwaltskanzlei in eine psychologische Praxis… Action, bitte! Momentan ist es stiller geworden um das iranische Kino. Panahi formuliert die Situation unter Ahmadinedschad so: "Unter Khatami konnte ich meine Filme wenigstens noch drehen, bevor sie verboten wurden, jetzt ist auch das schwierig." Zudem sind die Regisseure das zermürbende "Auf und Ab" in der Filmindustrie gewohnt, und in den Förderetagen hält man schließlich auf sein Kino und hat einen Ruf zu verlieren. So sind selbst Altmeister wie Bahman Farmanara, Massoud Kimiaee, Bahram Beyzai immer noch produktiv. Doch der künstlerisch überzeugende Nachwuchs wie Rafi Pitts, Parviz Shahbazi, Abolfazl Saffary oder Mona Zandi landet nur noch selten auf unseren Leinwänden. Der Hype ist fürs Erste vorbei: Festivals und Cineasten halten aktuell in anderen Regionen nach Talenten Ausschau – etwa der Türkei. Möglicherweise ist das auch die Ruhe vor dem nächsten Bildersturm: gerade ist im Bereich des Dokumentarfilmes eine neue Renaissance zu beobachten: Bahman Kiarostami, Massoud Bakhshi, Mehrdad Oskouee, Maani Petgar, das sind nur einige jener "Dok-filmer", die sich den unterschiedlichsten Sujets zuwenden: der explodierenden Nachfrage nach Nasenoperationen und Satellitenschüsseln, der Lage von Minderheiten wie Transsexuellen, AIDS-Kranken und Golfkriegsveteranen, der Situation afghanischer und irakischer Flüchtlinge – aber auch ethnografischen, historischen, biografischen Perspektiven. Eine neue Generation fängt unterschiedlichste Facetten einer Gesellschaft ein, die zwischen Aufbruch und Stagnation, Rückwärtsgewandtheit und dem Anschluss ans Computerzeitalter merkwürdig in der Schwebe verharrt. Amin Farzanefar © Qantara.de 2009
Qantara.de Dossier Iranisches Kino Seit der islamischen Revolution hat sich die Filmkultur in Iran gewandelt: Vom staatlichen Propagandafilm der Ära Chomeini bis zu gesellschaftskritischen Produktionen heute. Wir beleuchten die Facetten der iranischen Kinowelt und deren Resonanz im Westen. Rakhshan Bani-Etemad Soziale Außenseiter im Mittelpunkt Rakhshan Bani-Etemad zählt zu den international renommiertesten iranischen Filmautorinnen. Derzeit ist sie mit den Dreharbeiten zu "Mainline" beschäftigt, ein Film über eine junge Drogenabhängige im Iran. Robert Richter stellt Bani-Etemads filmisches Schaffen vor. Persepolis – ein Film von Marjane Satrapi Sterne und Bomben Mit ihrem Comic "Persepolis" über ihre Kindheit im Iran und das Erwachsenwerden in Europa wurde Marjane Satrapi weltberühmt. Nun läuft die Comicvorlage als Film auch in deutschen Kinos - als spannende cineastische Zeichentrick-Erzählung. Petra Tabeling hat ihn gesehen.