Heimlich mit Jafar Panahis "Taxi" durch Teheran
Eine 90-minütige Fahrt mit einem Taxi. Am Steuer des Wagens, der quer durch die iranische Hauptstadt Teheran fährt und immer wieder Fahrgäste von einem Ort zu einem anderen befördert, sitzt niemand anderes als der Regisseur Jafar Panahi selbst. Eine Kamera, die vorne im Auto befestigt ist und von Panahi immer mal wieder in eine andere Position gerichtet wird, zeigt uns, den Zuschauern, die Fahrgäste: einen Mann, der illegal DVDs mit Hollywood-Filmen vertreibt, zwei esoterisch veranlagte Frauen, die zu einem seltsamen Begräbnis wollen, eine Frau, die einen schwerverletzten Mann in ein Krankenhaus bringen will und einige andere mehr.
Ob diese Personen reale Fahrgäste oder Schauspieler sind, lässt der Regisseur offen. Lediglich bei zwei Fahrgästen wird dies klar. Einmal nimmt Panahi die bekannte Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh mit, ein anderes Mal befördert er seine zehnjährige Nichte Hanna. Während der "Chauffeur" Panahi seine Gäste zum jeweiligen Ziel bringt, spricht er mit ihnen: über Alltagsgeschehnisse und private Ereignisse, aber auch über Politisches, über den Sinn der Todesstrafe, über Zensur oder Menschenrechte. Die Dialoge entwickeln sich dabei fast beiläufig, wirken authentisch, verzichten auf moralische Urteile.
Regie eines Unterdrückten
"Bevor man anderen eine Moralpredigt hält, sollte man zunächst vor der eigenen Tür kehren", sagte Panahi nachdem er erfahren hatte, dass sein Film in Berlin den Goldenen Bären erhalten hatte. Vor der eigenen Tür, in der Heimat des Regisseurs, herrscht keine Meinungsfreiheit. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Panahi diesen Satz während eines Interviews mit der iranischen Nachrichtenagentur ILNA sagen konnte. Eigentlich sind dem Filmemacher Interviews untersagt. Dass er doch ab und zu in der Öffentlichkeit auftreten kann, dass er überhaupt Filme inszenieren und seine Arbeiten über geheime Kanäle zu ausländischen Festivals schmuggeln kann, ist auf die widersprüchlichen Machtverhältnisse in seiner Heimat zurückzuführen.
Filmen trotz Berufsverbot
Der Regisseur war 2010 festgenommen und drei Monate in einem Gefängnis festgehalten worden. Das anschließende Urteil lautete: 20 Jahre Berufsverbot, sechs Jahre Haft. Panahi habe in seinen Filmen "Propaganda gegen das System" betrieben, hieß es.
Dass der Regisseur die Haftstrafe dann doch nicht antreten musste, sich auch über Berufsverbot und Hausarrest hinwegsetze und weiter Filme drehen konnte, ist nur mit dem sehr unterschiedlichen Machtgefüge im Iran zu erklären. Teheran weiß, dass eine allzu drastische Verfolgung des inzwischen weltweit bekannten Regisseurs zu internationalen Verwerfungen führen würde. So ärgert man sich zwar über den Erfolg Panahis auf internationalen Festivals, verzichtet aber gleichzeitig auf eine - aus der Sicht Teherans - konsequente und harte Strafverfolgung. In seiner Heimat wird "Taxi" nicht in den Kinos gezeigt.
Die deutschen Kinozuschauer können sich "Taxi" ab Donnerstag (23. Juli 2015) anschauen. Sie werden einen außergewöhnlichen Film sehen. Ein eminent politisches Statement und einen künstlerischen Film. Natürlich ist die Machart von "Taxi" auf das Panahi auferlegte Drehverbot zurückzuführen. Es ist ein mit einfachsten Mitteln hergestellter, geradezu minimalistischer Film, hergestellt mit kleinem Budget. Und doch ist "Taxi" ein Kunstwerk.
Phantasie und Realität
Der Stil, der elegant zwischen Inszenierung und Dokumentation oszilliert, der scheinbar unauffällig und federleicht einen Blick in den Alltag einer Millionenstadt gewährt, macht die Faszination des Films aus. Gerade weil Panahi auch mit Humor und Ironie arbeitet, weil er es dem Zuschauer gestattet immer wieder durchzuatmen, kommt die Botschaft an. Denn zwischen all den witzigen und charmanten Dialogen wirken die angesprochenen Themen umso bedrohlicher und wahrhaftiger. In seinem Heimatland Iran herrscht eben keine Meinungsfreiheit, werden viele Menschen drangsaliert und mit der Todesstrafe bedroht, werden Künstler und Anwälte zu Protesten und in den Hungerstreik gedrängt. "Taxi" spricht das deutlich an.
"Ein Liebesbrief ans Kino"
"Verbote können Geschichtenerzähler zu besserer Arbeit inspirieren", sagte der amerikanische Filmregisseur und Berlinale-Jury-Präsident Darren Aronofsky im Februar bei der Verleihung des Goldenen Bären. Aronofsky verwies in diesem Zusammenhang aber auch darauf, dass Verbote manchmal so erdrückend seien, "dass sie die Seele eines Künstlers zerstören" können. "Anstatt zu resignieren oder sich im Zorn oder Frustration hinzugeben, hat Jafar Panahi einen Liebesbrief ans Kinos geschrieben", so Aronofsky weiter.
Panahis amerikanischer Regiekollege spielte damit auch auf die Tatsache an, dass "Taxi" eben nicht nur als ein sehr mutiger politischer Film mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden ist - sondern auch als ein filmkünstlerisches Statement.
Jochen Kürten
© Deutsche Welle 2015