Glut unter der Asche
Das Militärmanöver der iranischen Streitkräfte nahe der Grenze zur Republik Aserbaidschan Anfang Oktober und der damit einhergehende drohende Ton aus Teheran wurden mit Gründen gerechtfertigt, die kein wirkliches Fundament in der Realität haben. Teheran beschwerte sich über hohe Transitkosten und die "Strenge“ Aserbaidschans gegenüber iranischen Lastwagenfahrern, die das aserbaidschanische Territorium durchqueren müssen, um Armenien zu erreichen.
Teheran sieht im Verhalten des Nachbarn eine "Verschwörung“, vor allem in dem von Aserbeidschan geplanten Transitkorridor zwischen seinem Staatsgebiet und der autonomen Republik Nachitschewan, die zu Aserbeidschan gehört, aber von Iran und Armenien umschlossen wird. Dieser Korridor würde entlang der iranisch-armenischen Grenze im Norden des Iran verlaufen und somit den direkten Zugang Irans zu Armenien durchtrennen. Aus iranischer Sicht wäre er ein Druckmittel, um die Verbindung zwischen dem Iran und der Region Kaukasus zu kappen und den Landweg vom Iran nach Europa zu blockieren.
Das iranische Regime misstraut dem Nachbarn Aserbaidschan seit langem, weil er aus Sicht der Machthaber in Teheran die Wünsche der Menschen in der gleichnamigen, aber nicht mit dem Nachbarstaat zu verwechselnden Provinz Aserbaidschan im Nordwesten des Iran nach ethnischer Selbstbestimmung anstachelt.
Baku wiederum steht Teheran misstrauisch gegenüber, weil die Islamische Republik im Nachbarland Aserbeidschan religiöse Hardliner unterstütze und ihr politisches System zu exportieren versuche. Beide Länder haben auch wegen ihrer Anteile am Kaspischen Meer Reibereien. Das Meer ist zwischen Iran, Aserbaidschan, Kasachstan, Russland und Turkmenistan aufgeteilt.
Tiefliegendes gegenseitiges Misstrauen
Tatsächlich sieht das Waffenstillstandsabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan nach dem Krieg im Sommer 2020 unter anderem den Bau einer neuen Autobahntrasse zwischen Aserbaidschan und seiner Exklave Nachitschewan vor, die von russischen Truppen bewacht werden soll. Es ist im Abkommen allerdings nicht die Rede davon, einen Teil Südarmeniens für den Korridor zu besetzen. Außerdem betrachten Armenien und sein Verbündeter Russland eine Trennung Armeniens vom Iran als gegen ihre geopolitischen Interessen gerichtet.
In seiner Propaganda nimmt das islamische Regime in Teheran außerdem radikal Stellung gegen die engen Beziehungen Aserbaidschans zu Israel und behauptet in diesem Zusammenhang, israelische Soldaten seien nahe der iranisch-aserbaidschanischen Grenze stationiert worden.
Muss Teheran tatsächlich die Muskeln spielen lassen, um die Frage des Transits iranischer Lastwagen beziehungsweise das Problem der engen aserbaidschanisch-israelischen Beziehungen zu lösen? Die Frage lässt sich schwer mit Ja beantworten. Denn die Transitprobleme könnten mit einem Minimum an diplomatischen Verhandlungen bereinigt werden. Und die bilateralen Beziehungen jedes Landes sind seine eigene hoheitliche Angelegenheit und nicht Sache seiner Nachbarländer.
Auf dem Weg in die Isolation
Der Iran behauptet seit langem, Israel mit der Unterstützung seiner Verbündeten "umzingelt“ zu haben, um "das zionistische Regime zu zerstören“ oder zumindest "seine Handlungsmöglichkeiten einzuschränken“.
In der Praxis ist es jedoch Israel, das verschiedene Druckhebel installieren konnte, um die Islamische Republik zu isolieren und ihre militärische Macht einzudämmen – etwa durch die Kooperation mit den USA und die Ermutigung Washingtons, harte Sanktionen gegen das Atom- und Waffenprogramm Irans zu verhängen; durch Angriffe gegen iranische Einrichtungen in Syrien, Annäherungsversuche an politische Strömungen und Regierungskreise im Irak, die Sabotage iranischer Nuklear- und Militäranlagen, intensive Bemühungen zur Normalisierung der Beziehungen zu den Ländern rund um den Iran und die Suche nach Möglichkeiten einer verstärkten Präsenz in der Nachbarschaft Irans.
Angesichts der üblichen Gepflogenheiten bei den internationalen Beziehungen ist es unwahrscheinlich, dass Aserbaidschan um Irans Willen seine Beziehungen zu Israel einschränkt. Selbst wenn es dazu käme, wäre der Iran mit einer anderen Realität konfrontiert, nämlich den engen Beziehungen weiterer Nachbarländer zu Israel.
Von Russland und Georgien bis zu Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten: Sie alle pflegen enge Beziehungen zu Israel. Auch Armenien, das in den vergangenen 30 Jahren aufgrund angespannter Beziehungen zu Aserbaidschan enge Verbindungen zum Iran unterhielt, sowie der Oman, der ebenfalls Iran nahesteht, sind auf dem Weg, ihre Beziehungen mit Israel zu verstärken. Der Iran kann beide Länder nicht von diesem Weg abbringen.
Die Rolle der Türkei
Dies könnte für Teheran eine verstärkte regionale und internationale Isolation auch im Kaukasus bedeuten. Die Türkei steht aufgrund ihrer traditionell engen Beziehungen zu Aserbaidschan und ganz Zentralasien wesentlich besser da.
Sie hat auch eine gemeinsame Grenze mit Aserbaidschans Exklave Nachitschewan auf dem Territorium Armenien. Die Errichtung eines Korridors zwischen Nachitschewan und Aserbaidschan würde die Türkei praktisch mit Aserbaidschan sowie den Regionen östlich des Kaspischen Meeres und weiter mit China verbinden. So wäre die Türkei nicht mehr auf den Iran angewiesen und könnte ihre Verbindungen in der Region weiter vertiefen, was ihr noch mehr Vorteile gegenüber ihrem regionalen Rivalen Iran verschaffen würde.
Auch die Türkei und Pakistan pflegen enge Beziehungen, die sich in ihrer Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Militär in Aserbaidschan widerspiegeln. Die Türkei arbeitet auch mit Pakistan und Qatar zusammen, um engere Beziehungen zu den Taliban, den neuen Machthabern in Afghanistan, aufzubauen. Damit ist die Türkei an drei Seiten des Iran präsent. Auch in Syrien stehen sich der Iran und die Türkei gegenüber.
Die Verhandlungen zwischen dem Iran, der Türkei und Russland über den Syrienkrieg haben bislang zu keinem Ergebnis geführt, insbesondere weil der Anspruch Teherans auf eine langfristige Präsenz in Syrien auf großes Unverständnis bei den anderen Verhandlern stößt. Iran betrachtet Syrien als Teil seiner "strategischen Tiefe“ und nutzt seine Macht im Land, um sich gegenüber seinen regionalen Rivalen Vorteile zu sichern.
Kein Verlass auf vermeintliche Freunde
Ein neues Problem für die Islamische Republik Iran stellen die versöhnlichen Signale Armeniens in Richtung Türkei und Aserbaidschan dar. Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan, der in den Wahlen im Sommer 2020 seine Position stabilisieren konnte, sieht die wirtschaftliche Stärkung seines Landes und den Ausweg aus der Isolation nicht mehr darin, sich weiterhin auf den Iran und Russland zu verlassen. Vielmehr will er die seit langem bestehenden Probleme mit Aserbaidschan und der Türkei lösen. Für den Iran würde diese Entwicklung noch mehr Isolation und einen weiteren Verlust von – wenn auch fragilen - Verbündeten bedeuten.
Die Isolation und die zunehmende Einschränkung iranischer Möglichkeiten auf der regionalen und internationalen Bühne haben ihre Wurzeln in der Politik der Islamischen Republik in den vergangenen vier Dekaden – einer Politik der Feindschaft mit den USA, dem Westen und Israel sowie der Illusion einer Alternative zum Westen durch die Etablierung einer "neuen islamischen Zivilisation“.
Die Vorstellung des islamischen Regimes, dass es durch den "Blick nach Osten“, also eine Nähe zu Russland und China, dem Druck aus dem Westen entgehen und die erwünschte "große Zivilisation“ vollbringen kann, erweist sich als Illusion. Denn auch die vor kurzem erfolgte Aufnahme Irans in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit konnte die Folgen der US-Sanktionen für Iran nicht mildern.
Keine Unterstützung Russlands
Die Botschaft Chinas und Russlands lautet, dass sie den Ausbau ihrer Beziehungen zu Iran von der Lösung grundliegender Konflikte der Islamischen Republik mit dem Westen abhängig machen. Dazu zählen auch das Atomabkommen und der Beitritt Irans zum FATF-Abkommen (Financial Action Task Force on Money Laundering). Ihre engen Beziehungen zu iranischen Rivalen oder Gegnern wie Saudi-Arabien und Israel machen Moskau und Peking noch vorsichtiger.
In der jüngsten Krise mit Aserbaidschan erwies sich auch die Erwartung, Russland würde sich mit dem Iran abstimmen, als Illusion. Bei seinem Besuch in Moskau hörte der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian von seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, dass eine Grenzänderung zur Lösung der Frage des Transitkorridors in der Region ausgeschlossen sei. Der Iran könne versuchen, seine Probleme auf politischem Weg im Rahmen der sogenannten 3+3-Gruppe zu lösen. Diese Gruppe besteht aus den drei Kaukasusländern Armenien, Aserbaidschan und Georgien sowie der Türkei, Russland und dem Iran. Die Türkei und Aserbaidschan unterstützen diesen Ansatz.
Die erwähnten Entwicklungen weisen auf die weitere Isolation des Iran und die Einschränkung seiner Möglichkeiten hin, sich gegenüber seinen Rivalen Vorteile zu verschaffen, nationale Interessen zu vertreten und das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung des Landes voranzutreiben. Selbstverständlich führen militärische Großsprecherei, eine Politik der Einschüchterung und ein Sich-Verlassen auf dieses oder jenes Land im Osten nicht zum Ausweg aus der Sackgasse. Die Lösung liegt stattdessen in einer Politik der Deeskalation und in ausgewogenen Beziehungen auf regionaler und internationaler Ebene.
Der iranischen Führung fehlt jedoch offenbar jegliches Verständnis für den Auslöser der Probleme. Gleichzeitig leiden Wirtschaft und Bevölkerung im Iran unter enormem Druck. Irreparable Schäden bremsen Entwicklung und Fortschritt und jeden Tag gehen Chancen verloren.