Bündnis der Paradoxien
Plaudern gehört eigentlich nicht zu seinem Job. Aber am 21. Juli wollte der Befehlshaber des Kommandos "Spezialoperationen" der US Army offenbar einmal mitteilen, wie er die Fäden zieht.
General Raymond Thomas hatte bei einer Sicherheitskonferenz des Aspen-Instituts im Bundesstaat Colorado auf dem Podium Platz genommen. Im lockeren Plauderton hangelt sich die Unterhaltung mit der Moderatorin von Brennpunkt zu Brennpunkt um den Globus. Nach einer halben Stunde kommt man in Syrien an, genauer gesagt im Norden des nahöstlichen Landes, in dem seit sechs Jahren Krieg herrscht.
Auch dort hat der hochdekorierte General "Spezialtruppen" unter seinem Kommando. Dass sie dort sind, um den "Islamischen Staat" zu bekämpfen, ist kein Geheimnis. Ebenso ist bekannt, dass sich die US-Streitkräfte dort von einer erst 2015 ins Leben gerufenen "kurdisch-arabischen Miliz" namens "Syrian Democratic Forces", kurz SDF, helfen lassen. Aber um wen es sich bei dieser mysteriösen Miliz genau handelt, daraus hatten US-Militärs bis dato keinen Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht. Auch für eingefleischte Syrienexperten waren die "SDF" bisher ein Rätsel.
In Colorado legt General Thomas überraschend die Karten auf den Tisch. Damals, 2015, habe er kurdische Politfunktionäre und Milizenchefs der PKK getroffen. "Sie müssen Ihren Firmennamen ändern", habe er ihnen gesagt. Der General erläutert, dass der alte Firmenname nicht vermittelbar gewesen wäre. "Wenn sie zu sehr die Verbindung zu ihrer Vergangenheit, zur PKK, in den Vordergrund stellen würden, dann schüfe das Probleme", erklärt Thomas dem Publikum.
Die aus der Türkei stammende PKK ist in vielen Ländern als "terroristische Organisation" eingestuft, so auch in Deutschland. Offenbar verstanden die kurdischen Milizenchefs das Anliegen des US-amerikanischen Militärkommandeurs. "Es dauerte nur einen Tag. Dann erklärten sie, dass sie jetzt die 'Syrian Democratic Forces' seien", erzählt General Thomas, um dann noch eine Pointe zu setzen: "Ich dachte mir, dass es eine geniale Eingebung war, das Wort 'Demokratie' irgendwie in dem neuen Namen unterzubringen." Das Publikum in Colorado lacht begeistert.
Indikator für die absurde Verworrenheit des Syrienkrieges
Der US-General hat also verraten, dass "SDF" in Wahrheit ein Deckname für die Kämpfer der "Kurdischen Arbeiterpartei" (PKK) ist. Das Bündnis ist nicht gerade naheliegend, bringt es doch die imperialistische und kapitalistische Weltmacht USA mit einer marxistischen Ideen anhängenden linken Kaderorganisation zusammen, die von sozialistischer Kooperativenwirtschaft schwärmt. Obendrein wird die PKK von der Türkei, einem Nato-Mitglied und daher formellen Verbündeten der Vereinigten Staaten, als staatsfeindliche Terrororganisation betrachtet.
Es ist also keine Übertreibung zu sagen, dass in Nordsyrien zwei gegensätzliche politische Pole eine Allianz geschmiedet haben. Man mag es als Indikator für die absurde Verworrenheit des Syrienkrieges werten.
Fakt ist, dass das politisch paradoxe Bündnis militärischen Erfolg hat. Dorf um Dorf, Stadt um Stadt drängen die Alliierten seit 2015 den "Islamischen Staat" zurück. Die Arbeitsteilung ist klar: die Amerikaner bombardieren aus der Luft, die PKK-Kämpfer, die sich in Nordsyrien offiziell "Volksverteidigungskräfte" (YPG) nennen, machen die Drecksarbeit am Boden, unterstützt von einigen "Special Forces". "Für uns läuft es gut", betont General Thomas während der Podiumsdiskussion in Colorado. "Die haben Tausende Gefallene. Wir haben nur zwei Soldaten verloren."
Im vergangenen Mai verkündete das Pentagon, die Verbündeten der "SDF" mit Schusswaffen, Granatwerfern und gepanzerten Fahrzeugen zu beliefern. "Ich denke, das war die richtige Entscheidung", sagt Oberst Ryan Dillon, der Sprecher der US-Armee im Nahen Osten, im Interview mit dem ARD-Politikmagazin "Panorama". "Die SDF hat sich als einzige Kraft erwiesen, die die Fähigkeit hat, den 'Islamischen Staat' effektiv zu bekämpfen und zu besiegen."
Vor Kurzem sind die kurdischen Milizionäre in der ehemaligen IS-Hauptstadt Rakka am Euphrat eingezogen. Wem ihre politische Loyalität gilt, machten sie sofort deutlich. Auf dem zentralen Platz der Stadt entrollten sie ein Riesenposter mit dem Bildnis von PKK-Chef Abdullah Öcalan, der seit 18 Jahren in einem türkischen Gefängnis sitzt.
"Politische Hintergründe verblassen auf dem Schlachtfeld"
Wie natürlich es für die US-Armee sei, mit einer marxistischen Kaderorganisation zusammenzuarbeiten, wollen wir von Oberst Dillon wissen. "Uns Soldaten interessiert, dass unsere Partner fähig zum Kampf sind", antwortet der amerikanische Offizier. "Die politischen Hintergründe verblassen auf dem Schlachtfeld."
Aus der Realität lassen sich die politischen Hintergründe und ihre Fallstricke allerdings nicht hinwegdiskutieren. Denn klar ist, dass das Bündnis beide Seiten vor Probleme stellt. "Öcalan ist keine respektable Persönlichkeit", twitterte die US-Botschaft in Ankara Ende Oktober in türkischer Sprache. Dass diese Botschaft den türkischen Staatschef Erdoğan besänftigt, darf bezweifelt werden.
In Syrien halten kurdische Kämpfer jetzt nicht nur Rakka, bis zum Krieg eine überwiegend arabische Stadt, sondern sie stehen auch auf Ölfeldern der Provinz Deir az-Zour im Südosten des Landes, fern vom kurdischen Siedlungsgebiet im Norden. Neue Konflikte mit der arabischen Bevölkerung sind vorprogrammiert. Wer den IS besiegt, wird danach nicht zwangsläufig zur Stabilisierung des Landes beitragen.
Und aus Sicht der PKK? Die Militärmacht USA hat in fast 15 Jahren rücksichtsloser Interventionspolitik im Nahen- und Mittleren Osten viel Hass auf sich gezogen. Wer sich mit ihr verbündet und so Gebietsgewinne einheimst, riskiert, eine Menge Gruppen und Regierungen in der Region gegen sich aufzubringen.
Was ist, wenn der Tag der Rache kommt? Werden die Vereinigten Staaten der PKK dann zu Hilfe eilen? Und was ist mit der politischen Glaubwürdigkeit der Kaderorganisation? Es fällt auf, dass die PKK nach außen ihr Bündnis mit dem amerikanischen Imperialismus nicht an die große Glocke hängt. Vor ihren revolutionär eingestellten Sympathisanten scheinen die Funktionäre es etwas peinlich zu finden.
Als die oberste Vertreterin des syrischen PKK-Zweiges in Europa, Sinem Mohammed, in Hamburg auftritt, spricht sie lang und breit über Frauenemanzipation und Kollektivwirtschaft in "Rojava", wie die PKK das von ihr kontrollierte Gebiet in Nordsyrien nennt, geht aber nicht auf die Rolle ein, die die Vereinigten Staaten beim erfolgreichen Eroberungszug spielen. "Militärisch" kooperiere man mit den USA, räumt die Politfunktionärin auf Nachfrage des ARD-Politikmagazins "Panorama" ein. Soll wohl heißen: auf allen anderen Gebieten tun wir das nicht. Aber im Krieg ist "das Militärische" nun einmal das Entscheidende.
Wiedergeborener revolutionärer Nimbus
"Es ist ein Dilemma, aber es ist eine historische Notwendigkeit", sagt Martin Dolzer, der für "Die Linke" in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzt und jüngst eine Demo zum Protest gegen die Haftbedingungen von PKK-Chef Öcalan angemeldet hatte. Die Demonstranten feiern auch die militärischen Siege in Rojava.
Unter die Kurden mischen sich, wie stets bei solchen Kundgebungen, Deutsche aus der linken Szene. Einige tragen rote Fahnen. Auf einer prangen Hammer und Sichel. "Hoch die internationale Solidarität", erklingt der Sprechchor. "Ich bin Anti-Imperialist", bekräftigt ein junger Demonstrant mit blonden Haaren. "Aber müssten Sie dem Imperialismus jetzt nicht dankbar sein? Er hat doch der Kurdischen Arbeiterpartei geholfen!", geben wir zu bedenken. "Im Moment ist es richtig, mit den USA zusammenzuarbeiten", meint der junge Mann. "Aber Bauchschmerzen macht mir das schon. Es ist natürlich ein Widerspruch."
Für die linke Szene in Deutschland und anderen europäischen Ländern ist Rojava, das befreite Nordsyrien, so etwas wie das neue Kuba, fast wie eine Wiedergeburt des Vietkong. Eigentlich. Wenn da nicht dieser Unterschied wäre. Fidel Castro und Ho Chi Minh haben sich gegen den Imperialismus der Vereinigten Staaten behauptet. Rojava verdankt ihm seine Existenz.
Der deutsche PKK-Sympathisant mit der Hammer-und-Sichel-Fahne erkennt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Amerikanern an, aber er macht sich keine Illusionen: "Wenn sie Dich nicht mehr brauchen, dann schmeißen sie Dich weg."
Stefan Buchen & Karaman Yavuz
© Qantara.de 2017
Dieser Artikel erschien in ursprünglicher Form als Fernsehbeitrag des ARD-Magazins Panorama am 26. Oktober 2017.