Gemeinsames Singen in einer geteilten Stadt
Wenn der Jugendchor von Magnificat probt, ist es einer der wenigen Momente, in dem es in Jerusalems Altstadt mal harmonisch zugeht. Acht Teenager in Jeans stehen hinter braunen Holzbänken, über ihnen wölbt sich die weißgetünchte Decke. Hier, im Keller des Franziskaner-Klosters, sind die engen Gassen und die Menschenströme der Altstadt weit weg. Nur die Stimmen des Chors sind noch zu hören. "Blumen" heißt das Lied, das sie gerade proben.
Hania Sabbara, eine christliche Palästinenserin, dirigiert den Chor. Die Vierzigjährige trägt eine weiße Hose und eine grüne Bluse, die Haare sind grau. Sie lacht und gestikuliert viel, wenn sie spricht. Aber wenn sie über die Mission der Musikschule redet, wird sie ernst.
Seit der Gründung der Schule 1995 ist sie hier. "Ins Magnificat kommen alle möglichen Gemeinschaften: Die verschiedenen christlichen Konfessionen, muslimische und jüdische Schüler", erzählt Hania Sabbara. "Sie bekommen hier den gleichen Unterricht, bekommen die gleiche Ausbildung, sie treffen sich im Chor und stellen fest, dass sie sich alle ähnlich sind."
Nebeneinander statt Miteinander
Warum eine Musikschule wie das Magnificat-Institut so wichtig ist, weiß Hania Sabbara aus eigener Erfahrung. Ihr Elternhaus steht keine 200 Meter vom Franziskaner-Kloster entfernt. Von der Dachterrasse blickt Hania Sabbara seit ihrer Kindheit vor allem auf eines: Die Stadtmauer und die Kirchtürme. Hier oben wird deutlich, wie sehr die unterschiedlichen Religionen das Stadtbild prägen.
Kirchen, Moscheen und Synagogen drängen sich auf einer Fläche, die kaum größer ist als 30 Fußballfelder. Überall zwischen der goldenen Kuppel des Felsendoms und den zwei Kuppeln der Grabeskirche ragen Kreuze, Davidsterne oder Halbmonde in die Luft. Dazwischen wohnen noch 30.000 Menschen – streng nach Religion geteilt. Die Altstadt besteht aus einem christlichen, einem jüdischen, einem armenischen und einem muslimischen Viertel.
Im Magnificat-Institut treffen sich dagegen gerade verschiedene Ethnien und Religionen zur Geigenstunde. Die Schüler heißen David und Habib. Rein äußerlich unterscheiden sie sich kaum: Sie sind zehn und elf Jahre alt, haben schwarze Haare und olivbraune Haut. Habib trägt grau-weiße Basketball-Klamotten, David ein blaues T-Shirt und eine Jeans. Beide haben Geigen in den Händen.
Habib kommt aus einer Familie christlicher Palästinenser, David ist Armenier. Ihre Lehrerin, Tania Beltzer, ist Jüdin. Sie freut sich auf ihre wöchentlichen Besuche im Magnificat: "Die Altstadt ist ein eigenes Land innerhalb dieses Landes. In meinem Alltag treffe ich sonst keine Palästinenser, Armenier oder Griechen. Es sind sehr geschlossene Gemeinschaften", sagt Tania. "Darum ist diese Schule so besonders, man bekommt hier einen Einblick in Gemeinschaften, die man sonst nie getroffen oder näher kennen gelernt hätte."
"Musik verbindet die Menschen"
Während die Lehrerin erzählt, macht sich David auf den Weg nach Hause. Doch frei hat er noch nicht – Geige üben ist dran. Sein Vater Haroud sitzt auf dem schwarzen Ledersofa und schaut dem Sohn zu. "In Jerusalem haben wir nicht genug Orte, an denen sich junge Menschen treffen können. Deswegen ist es gut, wenn sie ins Magnificat gehen können", erzählt er.
Haroud und sein Sohn sind zwei von knapp 2.000 Armeniern in der Stadt. Die meisten bleiben unter sich, im armenischen Viertel der Hauptstadt. Haroud Aslanian will für seinen Sohn etwas anderes – auch deswegen hat er ihn ins Magnificat-Institut geschickt. "Die Musik verbindet die Menschen, lässt sie Politik und Religion vergessen, so dass sie eine Gemeinschaft werden."
David übt weiter Geige. Ob er professioneller Musiker wird, oder vielleicht doch lieber Pilot, da ist sich der Elfjährige nicht so sicher. Aber seine Eltern hoffen, dass er durch die Musikschule auf alle Fälle eines wird: Ein offenerer Mensch.
Daniel Pelz
© Deutsche Welle 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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