Fragiles Bündnis

Der Kampf gegen den IS bringt Okzident und Orient wieder näher zusammen und eint gleichzeitig die Araber selbst. Doch könnte die Allianz möglicherweise nur von kurzer Dauer sein. Von Birgit Svensson aus Bagdad

Von Birgit Svensson

Der Kontrast könnte drastischer nicht sein. Während die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) mit martialischen Horrorvideos Kämpfer aus aller Welt in den Nahen Osten lockt, werben die arabischen Golfstaaten mit Bildern ihrer Piloten für den Kampf gegen die Dschihadisten. Vermummte, ausschließlich männliche Gotteskrieger, gegen offene High-Tech Soldaten.

Saudi-Arabien schickt einen Prinzen ins Gefecht, die Vereinigten Arabischen Emirate eine attraktive Frau, die lächelnd im Cockpit mit erhobenem Daumen sitzt. Man nennt sie "Lady Liberty", und damit ist nicht nur die Befreiung der Region vom Mörderregime IS gemeint, sondern auch die Stellung der Frau, die unter den Dschihadisten in die Steinzeit zurückversetzt wird. Vollverschleierung, schwarze Handschuhe und lange Mäntel sind Vorschrift im vom IS kontrollierten Kalifat. Wer dem zuwider handelt, wird erschossen oder – wie in Mossul geschehen – gesteinigt. 

"Lady Liberty", der Prinz und die anderen arabischen Piloten auf den Werbefotos sind Teil der Allianz gegen IS und unterstützen die Vereinigten Staaten bei ihren Luftangriffen in Syrien. Bis zuletzt war nicht sicher, ob Qatar, Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien sich tatsächlich an einer gemeinsamen Allianz gegen die Terrormiliz beteiligen würden.

Unermüdlich hatte US-Außenminister John Kerry tagelang versucht, möglichst viele Staaten für eine Allianz zu gewinnen. Bei den Europäern lief er damit offene Türen ein. Frankreich beteiligt sich schon seit Anfang September mit Jagdbombern am Kampf gegen den IS im Irak, Großbritannien fliegt seit Ende September Luftangriffe – ebenfalls im Irak. Sieben westliche Länder liefern Waffen, vor allem an die Kurden. Auch Deutschland gehört dazu.

US-Außenminister John Kerry am 11.09.2014 im Golfkooperationsrat in Jidda; Foto: AFP/Getty Images/Brendan Smialowski
Gemeinsam gegen den dschihadistischen Feind: US-Außenminister John Kerry drängt am 11.09.2014 die Mitglieder des Golfkooperationsrates zu Militärschlägen gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien.

Doch das Wichtigste ist, die Araber mit im Boot zu haben. Ohne sie ist der Erfolg gegen den IS zweifelhaft. Nun hat sogar ein Sprecher des syrischen Außenministeriums in Damaskus bestätigt, Washington habe den syrischen UN-Gesandten über die Luftangriffe vorab informiert und Damaskus sei kooperationsbereit. Besser hätte es für Kerry nicht laufen können. Allerdings wird eine Kooperation mit Baschar al-Assad derzeit von allen Beteiligten strikt abgelehnt.

Wendepunkt im Konfliktherd

Der Kampf gegen die Terrorgruppe auf syrischem Boden markiert einen wichtigen Wendepunkt im Konfliktherd Mittlerer Osten. Nicht nur militärisch sehen sich die "islamistischen Monster", wie der britische Premier David Cameron die IS-Kämpfer nennt, in die Enge getrieben. Die Ausdehnung der Aktionen auf Syrien lässt von nun an keinen "sicheren Hafen" für den IS mehr zu. Überall können sie attackiert werden.

Zwar ist die Spitze der Terrororganisation allzeit bemüht, Vorsorge zu treffen und ihre wichtigsten Ausrüstungsgegenstände vor einem Angriff in Sicherheit zu bringen. Doch die Bombardierung ihrer de facto Hauptstadt Raqqa durch alliierte Flugzeuge erschwert dem IS die militärische Koordination.

Was allerdings noch mehr ins Gewicht fallen dürfte, ist die politische und psychologische Komponente des internationalen Zusammenschlusses. Die Tatsache, dass muslimische arabische Staaten sich auch gegen den IS wenden, wiegt schwerer als eine Aktion des ohnehin bei vielen Muslimen verhassten Westens. Die Amerikaner und ihre westlichen Verbündeten allein würden in der Region nur noch mehr Hass hervorrufen, der seit dem letzten Irakkrieg von 2003 ohnehin stetig gewachsen ist. Okzident gegen Orient hieß seitdem die Parole. Auf dieser Klaviatur spielten der IS sowie andere islamistisch-extremistische Gruppen bis heute. Diese Legitimität ist jetzt obsolet.

Doch die breite Allianz gegen die Terrorgruppe bringt nicht nur Okzident und Orient wieder näher zusammen. Sie vereint auch die arabischen Staaten selbst. Und das ist das eigentlich Bemerkenswerte daran. Denn die Revolutionen in einigen Ländern haben die ehemaligen Partner entzweit. So beteiligte sich Qatar an den Militäroperationen gegen Gaddafi in Libyen und unterstützte mit viel Geld die Muslimbrüder in Ägypten, was Saudi-Arabien missfiel.

IS-Kämpfer in Raqqa; Foto: picture-alliance/AP
Gegenwind für die Dschihadisten aus der arabischen Staatengemeinschaft: "Der gemeinsame Feind heißt ab jetzt nicht mehr Israel, sondern IS."

Auch die Aufnahme von Hamas-Führer Maschal in Doha wurde in Riad missliebig beobachtet.

Eigenwillige Qataris

Qatar drängte mit aller Macht aufs internationale Parkett. Das eigenmächtige Vorpreschen des Emirs hatte diplomatische Folgen: Die anderen Golfstaaten zogen ihre Botschafter aus Doha ab. Einzig in Syrien arbeitete man noch zusammen. Reiche Scheichs aus Saudi-Arabien, Qatar und Kuwait gaben den Rebellen Geld zum Waffenkauf gegen Assad.

Diese "Anschubfinanzierung" nutzte der IS, die aus der Rebellenfront ausbrach und fortan eigene Ziele verfolgte. Was das bedeutete, wissen wir heute. Ein eigener Staat, ein Kalifat wurde gegründet.

Dass die Golfstaaten hier als Brandbeschleuniger dienten, darf man ihnen zu Recht vorwerfen. Dass sie nun einen Flächenbrand befürchten, der nicht mehr nur auf Irak und Syrien beschränkt bleibt, sondern auch vor ihrer Tür nicht Halt machen könnte, hat sie letztendlich zum militärischen Eingreifen zusammen mit den Amerikanern bewogen. Der gemeinsame Feind heißt ab jetzt nicht mehr Israel, sondern IS.

Wie lange das so bleiben wird, ist allerdings ungewiss. Die Wankelmütigkeit der arabischen Verbündeten ist in Washington bestens bekannt. Auch in Berlin stellt man sich die Frage über die Nachhaltigkeit des arabischen Engagements.

Während die Strategie der deutschen Außenpolitik ganz auf die Linie der Amerikaner einschwenkt, werden doch Zweifel laut, die ein Ausscheren Saudi-Arabiens und Qatars nach einer gewissen Eindämmung des Expansionshungers von IS für möglich halten. Zwar sind die schwarz vermummten Dschihadisten auch in den Augen der Golfstaaten zu weit gegangen, doch praktizieren diese ebenfalls einen strikt fundamentalistisch orientierten Islam.

Öffentliche Hinrichtungen sind in Saudi-Arabien noch immer üblich. Der dort geltende Wahabismus deckt sich in Vielem mit den Praktiken der Salafisten, aus deren Reihen die Mitglieder des IS stammen. Umso erstaunlicher, dass die Werbung der Golfstaaten für den Krieg gegen den IS eine Weltoffenheit suggeriert, die im Alltag noch lange nicht vorhanden ist. Während "Lady Liberty" Kampfbomber gegen die Dschihadisten fliegt, dürfte sie in Saudi-Arabien nicht einmal Autofahren.

Birgit Svensson

© Qantara.de 2014