"He Alder, hassu Ei-Pott bei"
Am bekanntesten dürfte "Deutschtürkisch" oder "Türkendeutsch" sein ("He Alder, hassu Ei-Pott bei?" - "Klar, is in Auto, Mann!" - "Krass, kannssu rübbabiemen meine Sonx!").
Doch auch arabisch oder russisch grundierte Varianten der deutschen Standardsprache sind anzutreffen. Das aus den USA bekannte Phänomen der Vermischung zweier oder gar mehrerer Sprachen ist inzwischen aber auch in den meisten west- und mitteleuropäischen Ländern anzutreffen.
Es weist häufig auf eine multilinguale Sprachkontaktsituation hin, in der die Sprecher zunächst auf keine gemeinsame, von allen beherrschte Kontaktsprache zurückgreifen können. In Deutschland ist dabei auch an den wachsenden Einfluss des Englischen im Sprachalltag jüngerer Leute zu denken.
Auslöser der Entstehung von "Misch-" oder "Hybridsprachen" ist das oft eher spielerische, bisweilen auch bewusst provokative Bedürfnis nach Abgrenzung von der (auch sprachlichen) Mehrheit. Mischsprachen bedeuten für ihre Sprecher (auch sprachliche) Selbstermächtigung und stehen für einen neuen oder erstmaligen Identitätsgewinn.
Orginelle Sprachkreationen
Letztlich sind Mischsprachen der verbale Ausdruck einer auch durch den äußeren Habitus deutlich konturierten Zusammengehörigkeit im Sinne einer eigenen "Szene" (unter anderem durch Verwendung origineller Sprachkreationen).
"Mischsprachen" lösen sich im Laufe der Zeit aus ihrem ursprünglichen Bezugsrahmen – sie etablieren und verselbstständigen sich und werden vom Umfeld der "Szene" sowie von manchen Medien aufgegriffen.
Auch Schüler und Jugendliche mit deutscher Muttersprache übernehmen heute Ausdrücke, Sprüche und Strukturen von "Mischsprachen".
Sänger und Rapper, Komiker und Filmemacher, Theaterleute und Schriftsteller tragen zumindest Teile davon an die Öffentlichkeit – und machen sie damit zu einem unübersehbaren, mittlerweile auch in linguistischen Forschungsprojekten genauer untersuchten kulturellen Phänomen.
Interkulturelle Kommunikation
Kennzeichen einer "Mischsprache" sind in der Regel eine im Vergleich zur jeweiligen Muttersprache ihrer Sprecher deutlich reduzierte grammatische Struktur (Flexionsverlust, syntaktische Vereinfachungen, Reduktion des Tempus- und Modussystems), ein stark eingeschränkter Wortschatz, geringere Stilmittel (Tendenz zu Umschreibungen und Metaphern) und ein vereinfachtes phonologisches System.
Eigenständige grammatisch-strukturelle Entwicklungen dieser Sprachen, die nicht mehr allein als Simplifizierung verstanden werden können, sind nach einer gewissen Zeit möglich und sogar wahrscheinlich.
Eine wesentlich durch "Mischsprachen" geprägte interkulturelle Kommunikation, verstanden als öffentliches Gespräch unter Angehörigen verschiedener "Szenen" oder "Subkulturen" mit unterschiedlichen "Soziolekten", ist zumindest in komplexeren (Sprach-) Kulturen etwas durchaus Normales.
Nicht verbale Signale ergänzen in der Regel die Wirkung einer "Mischsprache" (Körpersprache, Gestik, Mimik, Blick- und Distanzverhalten, Stimme und Sprechweise, Kleidung usw.).
Bewusst gewählter Slang
Mit den seit etwa 1960 umgangssprachlich oft als "Gastarbeiterdeutsch" bezeichneten Varietäten des Deutschen, wie sie die erste und vielleicht noch die zweite Generation der nach Deutschland gelangten Arbeitsmigranten ausgeprägt hat, haben die heutigen "Mischsprachen" kaum noch etwas zu tun.
Viele ihrer Sprecher sind – im Gegensatz zu den frühen Arbeitsmigranten – in deutschsprachiger Umgebung aufgewachsen und haben meist, in welcher Intensität auch immer, organisierten Deutschunterricht erfahren.
Es handelt sich beim heutigen "Türken-" oder "Russendeutsch" weniger um eine Erweiterung des einstigen "Gastarbeiterdeutsch" als vielmehr um einen bewusst gewählten eigenständigen "Slang", der Ethnizität oft auch als Maskerade und Rollenspiel in Szene setzt.
Rolle der türkischen Migrantenkünstler
Eine wichtige Rolle für das selbstbewusste Auftreten solcher Varianten des Alltagsdeutschen spielten die nach 1960 geborenen, in Deutschland kulturell aktiven Deutschtürken.
Das gilt vor allem für die durch ihre Fernsehauftritte bundesweit bekannt gewordenen Kabarettisten Erkan & Stefan, für das Comedy-Duo Dragan und Alder und zum Teil auch für den Komiker Kaya Yanar, für die Filmregisseure Fatih Akin, Kutlug Ataman, Yüksel Yaruz oder Yilmaz Arslan sowie für den Kreis um den Schriftsteller Feridun Zaimoglu.
Der Titel seiner auch vor Obszönitäts- und Gewaltrhetorik nicht zurückschreckenden Rollenprosa Kanak Sprak (1995, als Hörbuch 2000) wurde bald zu einem populären und immer öfter positiv konnotierten Begriff (Abschaum, 1997, unter dem Titel Kanack Attack verfilmt von Lars Becker, 2000; Koppstoff, 1998; Kopf und Kragen, 2001).
Jüngere Autoren wie Yadé Kara (Selam Berlin, 2003) machten das neuere "Kanakisch", das oft auch in parodistischer Absicht gebraucht wird (wie in der Erzählung Süleyman und Sauter aus dem Buch Hürriyet Love Express von Imran Ayata, 2005), endgültig literaturfähig.
Für das durch die gewachsene Zuwanderung von Russlanddeutschen seit ungefähr 1990 entstandene "Deutschrussisch", manchmal auch "Quelia" genannt und bisweilen in einem lateinisch-kyrilischen Mischalphabet verschriftlicht, haben Künstler wie Wladimir Kaminer (Russendisko, 2000) Ähnliches geleistet, wie denn überhaupt die äußerst heterogene Migrantenliteratur deutscher Sprache eine Fundgrube für Beispiele der heutigen "Mischsprachen" darstellt.
Klaus Hübner
© Goethe-Institut 2006