Gegen die Wand der Vorurteile

Sensationssieger der Berlinale und Boulevard-Skandal: Selten hat ein deutscher Film schon vor seinem Kinostart für größeren Wirbel gesorgt. Interview mit dem "Gegen die Wand"-Regisseur Fatih Akin unterhalten.

Interview von Udo Taubitz

Deutsche Filme fanden die Juroren von bedeutenden Filmfestivals in den letzten Jahren eher zum gähnen. Bei "Gegen die Wand" sollen hingegen auch hartgesottene Profis im Filmegucken geweint haben - und nicht etwa, weil sie den Film so schlecht fanden. Die deutsch-türkische Liebesgeschichte hat die Herzen der "Berlinale"-Juroren erobert. Fatih Akin gewann den "Goldenen Bären", als erster deutscher Film seit 18 Jahren. Dabei war dieser Film vom Auswahlgremium zunächst abgelehnt worden und kam erst in letzter Sekunde überhaupt in den Wettbewerb.

Sex, Drogen, Gewalt

"Gegen die Wand" erzählt die Geschichte der schmerzhaften Emanzipation einer jungen Deutsch-Türkin. Sibel landet nach einem Selbstmordversuch in der Psychatrie. Dort trifft sie den fast doppelt so alten Alkoholiker Cahit. Weil Sibel ihrem streng muslimischen Elternhaus entfliehen will, überredet sie Cahit zu einer Scheinehe. Mit der Hochzeit gibt Sibels Familie sie endlich frei, und die türkische Frau will jetzt ihre Jugend nachholen, ganz wie eine Deutsche: Sie will Partys, Drogen und viel Sex. Das wilde Leben bringt aber nicht nur Spaß, sondern fordert auch Opfer.

Akin spart dabei nicht mit deftigen Bildern und freizügigen Dialogen. Anfeindungen seitens türkischer Sittenwächter sind ihm seitdem sicher. "Es gibt eine Diskussion im Internet, wo zu einem Boykott aufgerufen wird gegen den Film", bestätigt Akin. "Gegen die Wand" nutze die Problematik der türkischen Frau in Deutschland aus, lautet der Vorwurf. Für den Regisseur ist dies nicht nachzuvollziehen. Wer dies behaupte, habe den Film noch gar nicht gesehen. "Die, die den Film gesehen haben, ob das jetzt nun arme Leute waren oder reiche Leute, ob das jetzt nun Konservative waren oder nicht, ob das Linke waren oder Rechte waren, Frauen oder Männer - alle waren bisher doch sehr überzeugt", sagt Akin. "Schaun wir mal, was passiert, wenn der Film in den Kinos läuft."

Kampf um Identität

Regisseur Fatih Akin wurde als Sohn türkischer Einwanderer vor 31 Jahren in Hamburg geboren. Er lebt im Stadtteil Altona, wo sehr viele Gastarbeiterfamilien wohnen. Auch in seinen bisherigen Filmen wie "Kurz und schmerzlos", "Im Juli" oder "Solino" geht es immer um das Leben von Immigranten in Deutschland, um den Kampf sich anzupassen und das Bedürfnis, dabei die eigene Identität und das eigene Erbe zu wahren - ein vom deutschen Film bisher vernachlässigtes Thema. "Es gibt nicht viele Immigranten-Filmer, aber es gibt sie. Ich denke, dass ich nicht der Vorreiter einer Generation bin von Filmschaffenden, sondern ein Teil davon bin", sagt Akin. "Wir haben in Deutschland im Augenblick das vielschichtigste deutsche Kino, das es jemals gab- und das ist wirklich ein Gewinn." Das deutsche Kino sei eben anders als das französische, "wo man gleich erkennt: Oh wir gucken einen französischen Film. Der deutsche Film lebt auffälligerweise von seiner Vielfalt."

Freiheit, wenn die Kasse stimmt

Nachteile wegen seiner Herkunft hat Akin als Filmemacher in Deutschland bisher nicht erlebt. Was hier zählt, sei Erfolg und weniger die Herkunft oder die Religion, sagt er: "Verleiher, Geldgeber und Kinobesitzer interessiert das alles nicht. Wenn die Kasse machen, wenn die Leute ins Kino gehen, dann geben sie einem die Möglichkeit weiterzumachen. Und Gott sei Dank hatte ich bisher Erfolg."

Mit dem absehbaren Erfolg von "Gegen die Wand" an den Kinokassen im Rücken, plant Fatih Akin nun seine nächsten Filme. "Gegen die Wand" ist für ihn der erste Teil einer Trilogie, in der es um die philosophischen Ideen von Liebe, Tod und Teufel geht. Der nächste Teil soll ihn dann aber ein ganzes Stück wegführen von der Immigranten-Problematik führen: Er soll in Persien spielen - im 11. Jahrhundert. Anhand der ersten Selbstmordattentäter der Geschichte will Fatih Akin vor allem den dämonischen Kräften im Menschen nachspüren.

Aber erst einmal ist Fatih Akin vollauf damit beschäftigt, Interviews zu geben und sich feiern zu lassen. Schon geht das Gerücht um, der preisgekrönte Jungregisseur könnte auswandern: "Hollywood hat schon vor dem Goldenen Bären angerufen. Und ich habe auch andere Angebote aus dem Ausland - speziell aus der Türkei und aus Amerika", sagt Akin. "Aber da war bisher nicht das richtige Projekt dabei."

Heimat Altona

Aber auch, wenn das richtige Projekt denn irgendwann kommen möge: Akin wird Deutschland wohl erhalten bleiben. "Wegziehen will ich nicht aus Hamburg. Ich fühl mich ganz wohl hier und hab nicht das Bedürfnis, woanders zu leben, weil ich mein Privatleben, was mir sehr, sehr wichtig ist, hier habe."

Udo Taubitz

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004