"Wir wollten es nicht bei Mahnwachen bewenden lassen"
Was hat Sie veranlasst, diese Graphic Novel-Serie herauszubringen?
Mustafa Hasnain: Wir arbeiten seit etwa zweieinhalb Jahren an diesem Projekt. Mir kam die Idee, als ich der Armenschule meiner Mutter einige meiner Comics schenkte. Die Kinder an der Schule haben sich mächtig darüber gefreut. Da wurde mir klar, dass Comic-Bücher ungeachtet der sozialen Unterschiede alle Kinder und Jugendlichen ansprechen.
Also haben wir uns intensiver mit dieser Idee auseinandergesetzt und überlegt, worüber wir schreiben sollten. Wir entwarfen eine Figur, die zwar kein Superheld ist, aber mit der wir uns alle irgendwie identifizieren könnten. Wir nannten ihn Saad. Er sollte derjenige werden, der zum Staatsoberhaupt von Pakistan aufsteigt. Ihm gelingt das, indem er auf dem rechten Weg bleibt. Zwar gerät auch er in Versuchung, aber er trifft letztlich die richtigen Entscheidungen und wird so zum Lenker seines Landes.
Unterdessen entwickelten wir unsere Ideen weiter und das Projekt nahm allmählich Gestalt an. In diese Zeit fiel der Terroranschlag auf die Schule in Peschawar – eine Katastrophe, die uns alle im Innersten erschütterte. Eines war uns klar: Wir wollten es nicht bei Mahnwachen bewenden lassen. Die Bücher zeigen, was der Terrorismus mit unterschiedlichen Archetypen macht und wie der Terrorismus die Gesellschaft als Ganzes betrifft.
Wie entstand die Handlungsidee?
Gauhar Aftab: Die Idee entstand aus persönlichen Erfahrungen und Recherchen. Denn man hat auch mich versucht, anzuwerben. Das war 1996. Seither sind viele Jahre vergangen. In der Zwischenzeit habe ich eine Menge über die Anwerbungsmechanismen gelernt. Als junger Mann war ich ähnlichen Zerrbildern ausgesetzt, die wie eine Gehirnwäsche funktionieren: Das gilt für verschiedene ländliche Gegenden ebenso wie für Orte, die sich – zumindest geben sie es vor – der religiösen Erziehung widmen. Dort wird ein verzerrtes Weltbild vermittelt. Und genau dagegen wollen wir mit dem Comic vorgehen.
Wie läuft eine solche Anwerbung ab?
Gauhar Aftab: Man könnte sie als vierstufigen Prozess beschreiben. Im ersten Schritt wird die Glaubwürdigkeit der religiösen Autoritäten in der Gesellschaft zerstört: also deine Eltern oder die jeweilige Religionsgemeinschaft, der du angehörst. Die Anwerber untergraben die Legitimation dieser religiösen Autoritäten und dämonisieren sie als Menschen, die vom rechten Weg abgekommen sind. So werden die bisherigen Autoritäten vollständig ausgeschaltet. Das dadurch entstandene Vakuum wird dann vollständig mit einer neuen Legende und einer neuen Weltsicht gefüllt.
Den Platz der bisherigen und jetzt ihrer Legitimation beraubten Autoritäten nimmt im zweiten Schritt eine globale Legende oder Weltsicht ein, wonach die muslimische Umma einen unvermeidlichen Kampf gegen die westliche Kultur führt. Dies wird mit Hinweisen auf Palästina, Bosnien oder den Kosovo exemplarisch geschickt belegt. Auch der Kaschmirkonflikt dient den Anwerbern als Paradebeispiel.
Hat man seiner Gefolgschaft erst einmal diese Weltsicht implantiert, ist es ein Leichtes, auf die Ausgrenzung oder Dämonisierung des vermeintlichen Feindes hinzuarbeiten. Und wer ein Feind ist, bestimmen religiöse Radikale oder Militante oder – wie es heute heißt – Terroristen. Anschließend wird der Bekehrte zum Handeln gedrängt. Dieses Handeln ist fast immer gewalttätig bis hin zum Märtyrertod. Denn der Märtyrertod ist auch ein Werkzeug zur Glorifizierung des heiligen Kriegs oder zur Glorifizierung der Hingabe des eigenen Lebens für eine höhere Sache.
Der nächste Schritt ist eine weitere ideologische Anpassung: Das eigene Leben erhält eine neue Bestimmung, die man dann gewaltsam umsetzt. Das Handeln wird zur Pflicht. Doch wer ist der Feind, den es zu bekämpfen gilt? Die Definition von Feind wandelt sich je nach Bedarf. Manchmal ist es Indien, manchmal Israel, manchmal der Westen, die Schia, die Ahmadis oder die Ismailiten. Praktisch kann jeder zum Feind werden. Genau dort stehen wir heute: Im Laufe der Jahre habe ich durch persönliche Erfahrung erkannt, dass wir über die verschiedensten gesellschaftlichen Schichten hinweg mit einer überzeugenden Erzählung dagegen halten müssen. Genau das tun wir mit unserer Buchreihe "Paasban".
Was ist die Kernbotschaft von "Paasban"?
Mustafa Hasnain: Wir bieten vor allem gute Unterhaltung und erzählen eine interessante Geschichte. Darin verpacken wir allerdings Botschaften: Wie man sich vor Anwerbern schützt und wie man sich bewusst gegen den Weg der Gewalt entscheidet. Letzteres ist uns ganz wichtig. Denn die Opfer der radikalisierten jungen Menschen sind letztlich Kinder und andere Unschuldige.
Ich bin mir sicher, dass diese jungen Menschen das zunächst gar nicht wollten. Viele wollten wahrscheinlich etwas Gutes mit ihrem Leben anfangen und endeten dennoch auf diesem blutigen Weg. Ein Weg, der sie zur menschlichen Bombe machte. Wenn wir auch nur einen jungen Menschen von seiner Entscheidung abbringen können, diesen fatalen Weg zu gehen, hat "Paasban" schon seinen Zweck erreicht.
Gauhar Aftab: Die Buchreihe erzählt keine säkulare Geschichte. Das ist ein wichtiger Punkt. Ganz unabhängig von unseren eigenen Überzeugungen glauben wir nicht, dass wir für die gefährdete Zielgruppe eine überzeugende Kommunikationsstrategie auf Basis einer säkularen Geschichte entwickeln könnten. Wir möchten "Paasbans" oder Beschützer in der Gesellschaft aufbauen, die die religiöse Autorität der Extremisten und Radikalen aktiv delegitimieren und mit unserer eigenen Autorität als Muslime dagegenhalten. Das ist meiner Überzeugung nach die zentrale Botschaft, die uns allen am Herzen liegt.
Wer gehört zu Ihrer Zielgruppe?
Mustafa Hasnain: Wir wollten diese Geschichte nicht nur auf Englisch herausbringen, sondern haben die Erzählung auch auf Urdu umgesetzt. Die gedruckte Fassung verteilten wir an Schulen in Pakistan, insbesondere in Punjab. Wir haben uns gezielt für die wohl am stärksten gefährdete Gegend unseres Landes entschieden. In Punjab, dort, wo die Jugendlichen besonders leicht für extremistische Ideologien empfänglich sind, herrscht leider ein niedriger Bildungsstand.
Roma Rajpal Weiß
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers