Selbst ist die Frau

Der Krieg hat syrischen Frauen schwere Zeiten beschert. Sie sahen sich gezwungen, ihren Lebensunterhalt durch kreative Lösungen zu sichern. Sie mussten ihr Leben finanziell und sozial aufrechterhalten, aber auch versuchen, psychisch zu heilen. Der Hintergrund war oft entweder der Verlust ihrer Ehemänner und damit das Fehlen eines Versorgers oder die bedrückend schlechte wirtschaftliche Situation.
Jede der Frauen hat ihre einzigartige Geschichte, die es verdient, erzählt zu werden. Was sie alle gemeinsam haben, sind die Folgen des Krieges, also Flucht und Vertreibung.

Eine dieser Geschichten handelt von Kholoud Hanidi, einer Aktivistin im Bereich Zivilgesellschaft und Kultur. Sie hat ein altes, arabisches Gebäude in der südsyrischen Stadt Suweida zu ihrer Werkstatt gemacht. 2017 gründete sie dort das Projekt Fajjatul Khurq (فجّة خُرق) als Reaktion auf die vielen Menschen, die aus anderen Teilen Syriens nach Suweida flüchteten.
Gegenüber Qantara erklärt sie: „Ich wollte eine Form der Unterstützung schaffen, die über das traditionelle Konzept der Hilfe für geflüchtete Familien hinausgeht. Gleichzeitig wollte ich eine alte Handwerkstradition aus dem Süden, bekannt als Fajjatul Khurq, wiederbeleben. So entstand ein Projekt, das die Pflege unseres kulturellen Erbes mit der finanziellen Stärkung der Geflüchteten verbindet.“
Fajjatul Khurq ist ein traditionelles Kunsthandwerk, bei dem die Reste von Stoffen aller Art recycelt und zu bunten Teppichen verarbeitet werden. In Kholouds Workshops werden moderne Designs für verschiedene, im Haushalt nützliche, Accessoires entwickelt.

Seit seiner Gründung hat das Projekt geflüchteten und alteingesessenen Frauen eine Beschäftigungsmöglichkeit geboten und gleichzeitig ein fast vergessenes Handwerk wiederbelebt.
Kholoud, die einen Masterabschluss in Psychologie hat, erzählt: „Unsere Kurse dienen dem beruflichen Empowerment. Zusätzlich haben wir Workshops zu Themen wie psychische Gesundheit, politische Rechte, Kindererziehung und Alltagskompetenzen angeboten. Ziel ist es, das Bewusstsein der Frauen für ihre Rechte und ihre Position in der Gesellschaft zu stärken. Frauen, die in der Werkstatt arbeiten, tragen viel Verantwortung. Die meisten von ihnen sind alleinige Ernährerinnen ihrer Familie. Hinzu kommen soziale Herausforderungen, mit denen Frauen in unseren Gesellschaften sowieso konfrontiert sind, besonders wenn sie allein leben.“
Wer die Werkstatt von Fajjatul Khurq besucht, erlebt den Zusammenhalt zwischen den Frauen und ihren Wunsch, sich einander anzuvertrauen. Kholoud sieht, dass „der Erfolg eines Projekts von der Qualität der Beziehungen zwischen den Teilnehmerinnen abhängt“, da sich die Arbeiterinnen dann auch gegenseitig unterstützen.

Ein lokales Projekt wird global
Ola Sheikh Hassan aus Damaskus erzählt Qantara, wie die Idee zu ihrem Projekt Sama Handmade entstand: „Alles begann 2014 mit der Herausforderung, Decken für Geflüchtete zu beschaffen. Damals schlugen meine Kolleginnen und ich einem Hilfszentrum in Damaskus vor, statt vorgefertigter Decken lieber Wolle zu kaufen und die Decken selbst herzustellen.“
Damit war der Grundstein für das Projekt gelegt. Im nächsten Schritt gründeten Ola und ihre Kolleginnen Frauengruppen, die sich auf Häkeln und Stickerei spezialisierten. Als erstes entstanden Taschen und Kissen, die von der Mosaikkunst aus Deir ez-Zor, Idlib und Damaskus inspiriert waren. Auch hier wurde ein altes Handwerk aus Südsyrien wiederbelebt: das Nadelhäkeln.

Hundert Jahre arabischer Feminismus
Von Tunesien bis Saudi-Arabien: Seit Jahrzehnten streiten arabische Frauen für ihre Rechte, wehren sich gegen Gewalt und fordern Selbstbestimmung über ihre Leben und Körper. In diesem Buch kommen sie selbst zu Wort.
Über die letzten zehn Jahre hinweg haben etwa 185 Frauen am Projekt teilgenommen, die meisten von ihnen versorgen ihre Familien allein. Einige von ihnen wanderten später aus und gründeten im Ausland ihre eigenen kleinen Unternehmen. Indessen wurde das Projekt profitabel und gewann über die sozialen Medien große Popularität.
Trotz der schwachen Kaufkraft in Syrien fanden Ola und ihre Partnerinnen einen Weg, ihre Produkte ins Ausland zu verkaufen. So gibt es heute beispielsweise ein Lager und eine Verkaufsstelle in Deutschland. „Die Teilnahme am Projekt fördert die finanzielle und psychologische Unabhängigkeit. Einige Frauen haben nach langer Unterbrechung sogar ihre Ausbildung wieder aufgenommen“, fügt Ola hinzu.
Psychologische und materielle Unterstützung
Als Sanaa Natfaji 2018 ihr Zuhause in Ost-Ghouta verlassen musste und nach Idlib vertrieben wurde, hatte sie das Gefühl, alles verloren zu haben: „Nach fünf Jahren Belagerung und Bombenangriffen rutschten wir in einen Zustand extremer Traurigkeit und Angst. Das Schwierigste war, die Vertreibung aus unseren Häusern zu ertragen, während die Welt dabei zugeschaut hat und nichts anderes tat, als uns Terrorismus vorzuwerfen. In Idlib aber wurden wir liebevoll empfangen, das gab uns Hoffnung. Das Zentrum für die Stärkung der Frauen war unsere erste Zuflucht.“
In diesem Zentrum erhielt Sanaa finanzielle und soziale Unterstützung und konnte aus verschiedenen Arten der Weiterbildung wählen. Später gab sie dort selbst Kurse und startete mit ihren Partnerinnen das Projekt Sabaja al-Funun (Kunstfrauen). Für Sanaa spiegelt der Name die Identität und den Geist des Teams wider.

„Ich habe Frauen Handwerkstechniken wie Recycling, Stickerei, Wollarbeiten, Wachsarbeiten sowie Basteltechniken und Schmuck beigebracht. Während dieser sieben Jahre praktischen Trainings wurden wir so gut, dass wir beschlossen, ein Team zu gründen, um die Produkte herzustellen und zu verkaufen“, erzählt sie.
Das Team besteht aus sieben Frauen zwischen 25 und 65 Jahren, manche von ihnen sind aus Idlib, andere kamen als Vertriebene in die Stadt. Manche von ihnen sind Mütter von Ermordeten und Gefangenen, die in den Gefängnissen des ehemaligen Regimes saßen, oder während des Kriegs verschwunden sind. „Eine der Teilnehmerinnen hat bei einem Luftangriff 13 Familienmitglieder verloren. Das Projekt war ein Weg, sie psychologisch und finanziell zu unterstützen“, erinnert sich Sanaa.
Nach dem Sturz des Regimes konnte sie selbst nach Damaskus zurückkehren. Sie blickt optimistisch in die Zukunft des Projekts. Aus ihrer Sicht steckt es zwar noch in den Kinderschuhen, doch „wir hoffen, weiter wachsen zu können und vielleicht in Zukunft einen Laden in Damaskus aufzumachen.“
Kleine Schritte
„Mama Samira“, wie sie in den sozialen Medien genannt wird, verlor während des Krieges ihr Zuhause im Geflüchtetenlager Jarmuk in Damaskus. Samira ist Palästinenserin mit syrischer Staatsangehörigkeit. Sie lebte mit ihrer Familie in Jarmuk. Später fand sie in Bab Scharqi, einem Stadtteil von Damaskus, ein neues zu Hause und beschloss, ein Restaurant mit hausgemachten Gerichten zu eröffnen.
„Mein Projekt steckt noch in den Anfängen. Ich habe es 2022 begonnen, nachdem ich vertrieben wurde und damit sowohl mein Haus als auch meinen Job im Handel verlor. Ich musste dringend eine neue Arbeit finden, auch wenn das bedeutete, von null anzufangen. Also begann ich, zu kochen und das Essen von zuhause aus zu verkaufen“, erzählt Samira.
Samiras Projekt scheint in den sozialen Medien größer, als es tatsächlich ist. Sie erklärt: „Ich koche allein – wenn gerade viel los ist, mit der Hilfe von ein paar Freund:innen. Außerdem arbeite ich mit jemandem zusammen, der die Mahlzeiten liefert.“ Sie fügt hinzu: „Mein Ziel ist es, dass aus diesem kleinen Projekt ein großes Restaurant in Damaskus wird“.
Obwohl sie sich in ihrem jetzigen Wohnort ein neues Zuhause aufgebaut hat, erinnert sich Samira an ihr Haus in Jarmuk und kann nachempfinden, wie es ist, das Dach über dem Kopf zu verlieren. Aus diesem Grund verteilt sie regelmäßig Mahlzeiten an Bedürftige. Insbesondere an diejenigen, die ihr Zuhause verloren haben.
Was Samira und viele andere Frauen gemeinsam haben, sind ihre Geschichten des Weitermachens, des nicht Aufgebens angesichts der anhaltenden Auswirkungen des Krieges. „Die meisten Frauen erleben ähnliche Dinge. Ich habe ihnen zugehört; da wurden Geschichten über das Fehlen von Partnern und Söhnen, von Flucht und Vertreibung erzählt“, sagt Ola.
Die Projekte sind Räume der Hoffnung und der gegenseitigen Unterstützung geworden. Alle hoffen auf eine stabilere Zukunft. Und darauf, dass Flucht und Vertreibung nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in ein besseres Leben sind.
Dieser Text ist eine bearbeitete Übersetzung aus dem arabischen Original. Übersetzung von Serra Al-Deen.
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