Kaum Hoffnung für Syrien
Einmal angenommen, der UNO-Sicherheitsrat hätte am letzten Samstag (4.2.) mit Unterstützung oder zumindest bei Enthaltung seiner beiden vetoberechtigten Mitglieder Russland und China eine Resolution zur Verurteilung der Gewalttaten des Assad-Regimes verabschiedet. Hätte diese Resolution Assad beeindruckt? Gäbe es in Homs und anderen syrischen Städten inzwischen gar einen Waffenstillstand statt einer eskalierenden Bürgerkriegssituation?
Niemand kann das sicher wissen. Bereits seit Monaten deutet vieles darauf hin, dass sich das Regime in Damaskus wenig schert um internationale Kritik an seinem Vorgehen und entschlossen ist, die gewaltsame Niederschlagung der Opposition fortzusetzen – ohne Rücksicht auf Verluste und notfalls sogar bis zum eigenen Untergang.
Sicher ist aber, dass Assad durch die russisch-chinesische Blockade der UNO-Resolution in seiner kompromisslos-brutalen Haltung gegen die Opposition (noch zusätzlich) bestärkt wurde. Deshalb ist die scharfe Kritik an Moskau und Peking zumindest aus menschenrechtlicher Sicht völlig berechtigt und notwendig.
Waffen für Despoten
Das gilt unbeschadet der Tatsache, dass diese menschenrechtliche Kritik wenig glaubwürdig ist aus dem Mund westlicher Regierungen, die in den letzten Jahren selber unter schwerer Verletzung von Völker- und Menschenrechtsnormen Krieg gegen Irak geführt haben, und die wegen ihrer eigenen Öl- und geostrategischen Interessen weiterhin bestimmte Diktaturen im Nahen Osten wie Saudi-Arabien oder die Golfemirate politisch und mit Waffen unterstützen.
Bei aller notwendigen Kritik am russisch-chinesischen Veto sollten jedoch auch die Gründe für das Verhalten der Regierungen in Moskau und Peking interessieren – gerade weil sie eine teilweise politische Mitverantwortung des Westens offenbaren.
Wichtigstes Motiv für das Veto war nach Aussagen von Diplomaten beider Länder die Erfahrung mit und seit der Libyen-Resolution des Sicherheitsrates vom März letzten Jahres. Damals ermöglichten Moskau und Peking trotz schwerer Bedenken mit ihrer Enthaltung die Verabschiedung der Resolution. Doch "unter Missbrauch dieser Resolution" habe die NATO dann einen Krieg gegen Libyen bis zum Sturz der Regierung geführt und der UNO-Sicherheitsrat habe keinen Einfluss mehr auf das weitere Geschehen gehabt, monierten die Diplomaten. Das solle im Fall Syrien "nicht noch einmal geschehen".
Über diese Bedenken hinaus kommen bei Russland nationale Eigeninteressen am letzten Verbündeten im Nahen Osten als Motiv für das Veto hinzu: Russland ist Syriens wichtigster Waffenlieferant und möchte seine Marinebasis an der syrischen Westküste ausbauen.
Schließlich hat sich bei den Militärs und sicherheitspolitischen Eliten in Moskau wie in Peking die Wahrnehmung verstärkt, der Westen wolle mit einem Sturz des Assad-Regimes das Bündnis Damaskus-Teheran schwächen – im Vorfeld eines eventuellen Militärschlages gegen den Iran.
Allianz gegen die "schiitische Achse des Bösen"
Zu dieser Wahrnehmung beigetragen haben die intensiven Lobbybemühungen, mit denen Saudi-Arabien, Kuwait und die Emirate am Persischen Golf unter Führung Qatars sowohl bei den Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrat wie zuvor bereits innerhalb der Arabischen Liga für die Verabschiedung einer Syrien-Resolution geworben haben.
Diplomaten dieser mehrheitlich sunnitischen oder von sunnitischen Minderheitsregimes regierten Staaten machen wenig Hehl daraus, dass es ihnen nicht um die Demokratie und Menschenrechte in Syrien geht, sondern um die Schwächung ihres schiitischen Hauptfeindes Iran. Ziel ist die Zerstörung der von Teheran angeführten "schiitischen Achse des Bösen" mit Syrien sowie der Hisbollah und der Hamas.
Der Sturz Assads und seines schiitisch-alewitischen Minderheitsregimes – so das Kalkül – wäre das Ende dieser Achse. Dann hätte auch die schiitische Minderheitsregierung Maliki im Irak keine Überlebenschance mehr.
Die weiteren Perspektiven für Syrien sind allesamt düster. Chancen für hilfreiche Einwirkungen von außen sind nach der destruktiven Konfrontation im UNO-Sicherheitsrat sowie angesichts der innersyrischen Gewalteskalation zumindest derzeit nicht erkennbar.
Moskaus "diplomatische Initiative" zur Beendigung des innersyrischen Gewaltkonflikts war bereits vor dem Besuch von Außenminister Sergej Lawrow in Damaskus gescheitert. Denn Russland ist für die syrische Opposition kein akzeptabler Gesprächspartner und Vermittler – spätestens seit dem Veto im Sicherheitsrat.
Mit der Ankündigung des sofortigen und vollständigen Stopps aller russischen Waffenlieferungen an Syrien hätte Lawrow vielleicht wenigstens Teile der Opposition noch beeindrucken können. Stattdessen sendete der russische Außenminister zumindest bei all seinen öffentlichen Auftritten in Damaskus nur Signale der Unterstützung für Assad aus.
Was die von Peking angekündigten diplomatischen Bemühungen "für eine politische Lösung des Konflikts" bringen sollen, können selbst chinesische Diplomaten auf Nachfrage nicht beantworten. Unklar ist auch, welchen Beitrag zur Deeskalation des Konflikts die geplante "Syrien-Kontaktgruppe" aus westlichen und arabischen Ländern sowie der Türkei leisten könnte.
Gegen Sanktionen gewappnet
Die von der EU erwogene erneute Verschärfung der Sanktionen gegen Syrien dürfte Assad wenig beeindrucken. Sein Regime und das seines Vaters waren über Jahrzehnte vom Westen sowie zeitweise auch von einigen arabischen Staaten politisch und wirtschaftlich isoliert. Es ist auf solche Verhältnisse eingestellt.
Die Chancen für eine Implosion des Regimes stehen schlecht. Seine Hauptstütze sind neben der Baath-Partei und den diversen Geheimdiensten die Streitkräfte mit über 420.000 Soldaten. Die Zahl der Soldaten, die bislang desertiert sind und zum Teil in der "Freien Syrischen Armee" gegen das Regime kämpfen, beträgt bislang nur einige Tausend. Assad kann sich auf seine Generäle verlassen: Sie stammen aus seinem Clan oder sind handverlesen.
Die Generäle oder ihre Angehörigen sind geschäftlich mit dem Regime sehr eng verbunden. Ihrer aller Zukunft hängt vom Überleben des Regimes ab, das sie verteidigen. Daher deuten derzeit alle Zeichen auf einen weiter eskalierenden Bürgerkrieg in Syrien. Ein Bürgerkrieg, der weit länger dauern und weit mehr Opfer fordern wird als letztes Jahr in Libyen. Und dessen Ausgang ungewiss ist.
Andreas Zumach
© Qantara.de 2012
Andreas Zumach, Jahrgang 1954, ist UNO-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf. Er ist gelernter Volkswirt, Journalist und Sozialarbeiter. Jüngste Veröffentlichung: "Die kommenden Kriege", Verlag Kiepenheuer & Witsch.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de