Sichtbar werden für die Gesellschaft

Seit nunmehr drei Jahren gibt es das erste Netzwerk aktiver junger Muslime in Deutschland. Über ethnische Grenzen und innerislamische Differenzen hinweg bringt Zahnräder Muslime aus unterschiedlichsten Fachbereichen zusammen. Von Claudia Mende

Von Claudia Mende

Sie nennen sich "Changemaker" und "Social Entrepreneur" und wollen gestalten und verändern. Ihre Projekte sollen vorrangig einen Beitrag für das Gemeinwohl leisten. Die Netzwerker arbeiten im Marketing, als Ingenieure oder bei internationalen IT-Unternehmen. Sie stehen mitten in der Gesellschaft und engagieren sich ehrenamtlich für ein besseres Miteinander und für mehr Bildungschancen.

"Zahnräder" versteht sich als eine Plattform für soziale Innovation und als ein Ort der gegenseitigen Ermutigung und Unterstützung. Seit 2012 ist "Zahnräder" ein Netzwerkpartner von "Ashoka", dem weltweit größten Netz von Sozialunternehmern, was einer Art offizieller Anerkennung gleichkommt. Unterstützt wird "Zahnräder" unter anderem vom "British Council", von der Hilfsorganisation "Islamic Relief" und dem AKE-Bildungswerk in Nordrhein-Westfalen.

Plattform für soziale Innovation

Für junge Muslime wie Ali Aslan Gümüsay sind die "Zahnräder" auch eine Antwort auf die vielen Debatten über Integration in einer Gesellschaft, die eher auf die Defizite als auf die Qualifikationen von Migranten schaue.

"Der Bedarf an Vernetzung ist groß", sagt Ali Aslan Gümüsay vom "Zahnräder"-Vorstand. "Muslime möchten an der deutschen Gesellschaft teilhaben, sie können es zu einem gewissen Grad aber einfach nicht und wissen nicht, wie sie am besten vorgehen."

Gümüsay, der derzeit an der Said Business School der Universität Oxford promoviert, ist einer der Gründungsväter der Plattform. Inzwischen haben die "Zahnräder" rund 90 aktiv Mitwirkende und einen größeren Kreis an Teilnehmern an der bundesweiten jährlichen "Zahnräder"-Konferenz und Online-Foren.

Eine Mitgliedschaft im klassischen Sinne gibt es nicht, aber wer an einer der nationalen Konferenzen teilnehmen will, muss eine Bewerbung einreichen. "Wir lehnen auch Bewerber ab", sagt Gümüsay, "denn wir wollen Menschen, die tatsächlich an einem Projekt arbeiten. Dabei kommt es weniger auf das konkrete Ergebnis an, es darf sich auch um eine Idee handeln."

Interessante Projekte von Muslimen in der Öffentlichkeit sichtbar und damit auch für die Gesellschaft nutzbar zu machen, ist das Hauptanliegen der "Zahnräder". Viele Initiativen würde es zwar auch ohne Zahnräder geben, aber das Netzwerk kann noch einen "extra Kick" für manches Projekt bedeuten, so Gümüsay. So wie bei dem 2010 gegründeten Verein "Deaf Islam" von Ege Karar aus Aachen.

Der Verein, der sich für die Belange gehörloser Muslime einsetzt, wurde auf der Zahnräder Konferenz 2013 unter 50 eingereichten Projekten ausgezeichnet, weil er die Bedürfnisse einer bisher vernachlässigten Gruppe von Migranten in überzeugender Weise zur Sprache bringt. Für die schätzungsweise zweitausend bis dreitausend gehörlosen Muslime in Deutschland gibt es noch kaum Gebärdendolmetscher für türkisch und arabisch.

Langer Weg zur Barrierefreiheit

Denn wie die Lautsprachen unterscheiden sich auch die Gebärdensprachen von Land zu Land. Eine Zusatzausbildung für Gebärdendolmetscher, die in Moscheen eingesetzt werden können, ist jetzt in Hamburg im Gespräch. Doch bis zur echten Barrierefreiheit ist es noch ein weiter Weg. Durch ihre Behinderung können die Gehörlosen weder dem Freitagsgebet in der Moschee folgen noch am Leben der Vereine teilnehmen.

Dazu kommen manchmal auch Vorurteile, wie dass Gehörlose nicht am Fasten im Ramadan teilnehmen bräuchten. Dabei sei das "völliger Quatsch", betont der in der Türkei geborene Karar, der am Kompetenzzentrum Gebärdensprache und Gestik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen arbeitet. "Den meisten Muslimen in Deutschland waren die Bedürfnisse gehörloser Muslime bisher nicht bekannt."

In Großbritannien und den USA sind die islamischen Vereine schon länger für das Problem sensibilisiert. Nach der Verleihung des "Zahnräder"-Preises hat "Deaf Islam" zahlreiche Anfragen aus den Vereinen erhalten, sagt Karar. "Wir werden deutlich besser in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Viele junge Muslime wollen jetzt die Gebärdensprache lernen."

Initiative "Deaf Islam": Der Verein, der sich für die Belange gehörloser Muslime einsetzt, wurde auf der Zahnräder-Konferenz 2013 unter 50 eingereichten Projekten ausgezeichnet, weil er die Bedürfnisse einer bisher vernachlässigten Gruppe von Migranten in überzeugender Weise zur Sprache bringt.

Neben Ege Karar mit "Deaf Islam" wurden in diesem Jahr auch "Nour Energy" und das Brettspiel "The Top 5 for Life" der irakischen Ärztin Jinan Rashid ausgezeichnet, das auf spielerische Weise in den Islam einführen will. "Nour Energy" ist ein Darmstädter Verein hauptsächlich von Wirtschaftsingenieuren, die sich für die Nutzung von Photovoltaik in gemeinnützigen Einrichtungen und Moscheen stark machen.

Solarenergie für deutsche Moscheen

Der Verein hat erreicht, dass bereits zwei Ditib-Moscheen in Darmstadt, die Emir-Sultan-Moschee und die Mevlana-Moschee, in 2012 mit Photovoltaik-Anlagen ausgerüstet wurden. Auf diese Weise will "Nour Energy" einen Beitrag zum Klimaschutz durch CO2-Einsparung leisten. Doch die Wirtschaftsingenieure wollen dabei nicht stehen bleiben, ihre ehrenamtliche Beratungsleistung soll auch nicht-muslimische Einrichtungen ermutigen, in erneuerbaren Energien einzusteigen.

Auch wenn es bei den Projekten "Deaf Islam" und "Nour Energy" gegenwärtig noch um ein Engagement innerhalb der muslimischen Community geht, weist Vorstandsmitglied Ali Aslan Gümüsay darauf hin, "die meisten Projekte wenden sich nicht ausschließlich an Muslime. Im Gegenteil, sie sind von Muslimen für die Gesellschaft". So richtet sich die Online-Studienberatung "Study Coach 2.0", die die "Zahnräder"-Konferenz im letzten Jahr initiiert hat, allgemein an Studierende mit Migrationshintergrund und will sie bei ihrer Studienwahl beraten.

Für junge Muslime wie Ali Aslan Gümüsay sind die "Zahnräder" auch eine Antwort auf die vielen Debatten über Integration in einer Gesellschaft, die eher auf die Defizite als auf die Qualifikationen von Migranten schaue. "Viele qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund stellen sich die Frage, ob sie in diesem Land bleiben wollen", sagt er.

Nach dem Studium locken Jobs in den Boomländern Türkei und Dubai, aber auch Großbritannien und die USA sind Alternativen. Zahnräder hat die Antwort auf diese Frage schon gegeben. Hier will sich eine junge Generation in Deutschland einbringen und meldet ihren Anspruch an, das Land mitzugestalten.

Claudia Mende

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de