Eine Akademie der Weltreligionen

In Hamburg findet schon seit längerem ein "Religionsunterricht für alle" statt. Ein interdisziplinäres Zentrum zur Ausbildung islamischer oder jüdischer Geistlicher als Religionslehrer ist geplant.

Von Albrecht Metzger

Kürzlich passierte in der Hansestadt Hamburg Erstaunliches: Bürgermeister Ole von Beust machte sich für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an den Schulen stark. Doch anstatt Lob steckte er dafür nur Kritik ein. Selbst Vertreter muslimischer Verbände sprachen sich gegen seinen Vorschlag aus.

Paradox? Nicht unbedingt, denn an Hamburgs Schulen wird seit Jahren der so genannte "Religionsunterricht für alle" praktiziert, an dem Kinder jeglicher Konfessionen teilnehmen und in dem sie gemeinsam über Christentum, Judentum und Islam aufgeklärt werden.

"Wenn selbst Muslime gegen die Trennung des Religionsunterrichts sind, dann heißt das, dass sie Integration wollen", so das Fazit von Ursula Neumann, Erziehungswissenschaftlerin und ehemalige Ausländerbeauftragte der Hansestadt.

Der "Religionsunterricht für alle" ist der Stolz Hamburger Erziehungswissenschaftler, die sich mit den Fragen multireligiöser Gesellschaften beschäftigen. Jetzt soll dieser Religionsunterricht ergänzt werden durch ein interdisziplinäres Zentrum "Weltreligionen im Dialog", das kürzlich an der Universität Hamburg gegründet wurde.

Ein illustrer Kreis

Langfristig ist geplant, aus dem Zentrum eine Akademie der Weltreligionen zu machen, an der islamische, jüdische und buddhistische Geistliche sowie Religionslehrer ausgebildet werden. Doch bis es so weit ist, können noch einige Jahre vergehen. In Zeiten knapper Kassen muss sich das Projekt aus Drittmitteln finanzieren, das heißt über Spenden oder aus Forschungstöpfen etwa der Europäischen Union.

Zunächst sollen im Rahmen des interdisziplinären Zentrums Ringvorlesungen zu religionspolitischen Themen stattfinden, den Anfang macht im Herbst der international bekannte Soziologe Peter Berger von der Boston University.

Leiter des Projekts ist Wolfram Weiße, Professor für Religionspädagogik. Weiße hat es seit 1999 geschafft, einen illustren Kreis von Wissenschaftlern, Geistlichen, Politikern sowie Vertretern der muslimischen und jüdischen Gemeinde um sich zu scharen, die seine Ambitionen unterstützen.

Dazu gehören etwa die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen, Peter Berger, Udo Steinbach vom Deutschen Orient-Institut sowie die Vorsitzende der Grünenfraktion im Hamburger Senat Christa Goetsch.

Islamwissenschaftler kaum beteiligt

Was soll eine Akademie der Weltreligionen bewirken? Ohne es wirklich auszusprechen, geht es den Planern wohl in erster Linie um den Islam. Denn die häufig gestellte Forderung, die Muslime müssten einen "europäischen Islam" entwickeln, der mit den Werten der europäischen Aufklärung vereinbar sei, zielt auch darauf ab, den Koran historisch-kritisch erforschen zu können, ähnlich wie es christliche Theologen seit dem 19. Jahrhundert in Europa mit der Bibel tun.

Das bedeutet, den Koran aus dem Kontext seiner Zeit heraus zu verstehen, ihn zu historisieren und damit in gewisser Weise auch zu entmythologisieren. Eine Akademie der Weltreligion, in der die verschiedenen Religionen im Dialog zueinander stehen, könnte diesen Schritt möglicherweise erleichtern.

Umso erstaunlicher ist, dass in dem Projekt nur am Rande Islamwissenschaftler beteiligt sind. Udo Steinbach vom Deutschen Orient-Institut vertritt diesen Forschungszweig, und auch die Assistentin von Wolfram Weiße, Ursula Günther, hat in Hamburg Islamwissenschaft studiert.

Dennoch erscheint es nur logisch, bei einem solchen Projekt die Abteilung für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients, wie die Islamwissenschaften in Hamburg heißen, einzubinden. Doch deren Vertreter blieben von Anfang an auf Distanz. Das mag an der eher religions-skeptischen Attitüde liegen, die der 1999 verstorbene Albrecht Noth an den Tag legte. Er prägte die Hamburger Islamwissenschaft maßgeblich.

Zukunftsträchtiges Modell?

Auch der 2005 emeritierte Gernot Rotter verstand sein Fach streng wissenschaftlich und bezeichnete sich offen als Atheist. Theologie sei keine Wissenschaft und habe an der Universität nichts zu suchen, sagte er stets, und so lag es ihm fern, die Ausbildung von Imamen an der Hamburger Universität zu fördern. Lieber hätte er gesehen, dass die christliche Theologie von der Universität verbannt worden wäre.

Ob diese Haltung produktiv ist, sei dahingestellt. Die Angst der Islamwissenschaften, durch eine Akademie der Weltreligionen selbst ins Hintertreffen zu geraten, erscheint allerdings berechtigt.

Sollte die Akademie dereinst Realität werden, so die Befürchtung, könnten Kapazitäten von der Abteilung für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients abgezogen werden. So hört man in den Fluren des Instituts gelegentlich den Vorwurf, die Religionspädagogen würden auf ihrem Gebiet "wildern".

Ungeachtet dessen soll das Projekt in den kommenden Monaten konkrete Züge annehmen. Parallel zum interdisziplinären Zentrum "Weltreligionen im Dialog" startete ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt mit dem bombastischen Titel "Religion in Education. A contribution to Dialogue or a factor of Conflict in transforming societies of European countries", kurz: "REDCo".

Koordiniert wird das Projekt von Hamburg aus. Forscher aus acht europäischen Ländern gehen dabei der Frage nach, welche Rolle Religion in der Schulausbildung spielen kann: führt sie eher zu Abgrenzung zwischen den Schülern, oder hilft sie bei der Integration? Hamburg mit seinem "Religionsunterricht für alle", so das Fazit von Wolfram Weiße, könne für Europa ein zukunftsträchtiges Modell werden.

Albrecht Metzger

© Qantara.de 2006

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