Abkehr von Assad als Chance für den Frieden
Egal wie man Russlands Rolle in Syrien bewertet – ob als gnadenlos effektive Bombardierung von Zivilisten zur Rettung eines skrupellosen Massenmörders, als militärischen Haudrauf-Aktionismus zur Durchsetzung regionaler Interessen oder als kluges Taktieren zur Positionierung als unverzichtbare Weltmacht – eines hat Wladimir Putin erreicht: Der Weg zum Frieden in Syrien führt über Moskau. Denn Russland ist unter den Assad-Unterstützern der einzige Akteur, der auf Assad verzichten kann (im Gegensatz zum Iran), und hat sowohl die politische als auch die militärische Macht, diesen zum Rückzug zu zwingen. Wer den Konflikt lösen will, muss folglich den russischen Präsidenten davon überzeugen, dass ein Machtwechsel in Damaskus den eigenen Interessen am besten dient.
Hier die wichtigsten vier Argumente dafür. Das erste betrifft Syriens Staatlichkeit, die alle – Russen wie Amerikaner, Iraner, Türken und Saudis – erhalten wollen, die aber schon jetzt zerfällt. Tatsächlich lässt sich Syrien als Staat nur ohne Assad retten, der Präsident ist kein Garant, sondern eine Gefahr für Syriens Staatlichkeit. Damit einher geht zweitens der Zustand der syrischen Armee, deren Ineffektivität und mangelnde Moral russische Militärs verzweifeln lassen. Drittens nimmt die Terrorgefahr für Russland nicht ab, sondern zu, wenn sich in Syrien alle nur auf den "sunnitischen Terrorismus" konzentrieren.
Solange ausländische schiitische Milizen für Assad morden können wie sie wollen, wird sich Syriens sunnitische Bevölkerungsmehrheit weiter radikalisieren. Schließlich hat Putin viertens im Grundsatz erreicht, was er wollte – es ist deshalb Zeit für eine Nachkriegsordnung ohne Assad, aus der sich Moskau getrost zurückziehen kann, weil russische Interessen auch ohne Assad gewahrt bleiben.
Zunächst zum syrischen Staat: Wenn internationale und regionale Akteure vom Erhalt staatlicher Strukturen sprechen, wird daraus meist ein Pro-Assad-Argument. Denn angeblich kann nur das Regime dies zum jetzigen Zeitpunkt gewährleisten. "Wenn Assad stürzt, bricht Anarchie aus, Dschihadisten füllen das Machtvakuum und das Land versinkt im Chaos", so das Schreckensszenario. Syrien, ein weiterer "failed state".
Es lohnt sich also, den Zustand des syrischen Staates genauer zu untersuchen um zu verstehen, wie er gerettet werden kann. Zwei Erkenntnisse drängen sich dabei auf.
Befreiung des syrischen Staates von Assads Einfluss
Erstens dienen staatliche Institutionen in Syrien vor allem dem Machterhalt Assads. Militär, Sicherheitsdienste, Justiz, Partei und Verwaltung sind über Jahrzehnte zu Stützen der Herrschaft Assads aufgebaut worden und fungieren im aktuellen Konflikt als persönliche Machterhaltungsinstrumente des Präsidenten.
Weder das Militär (wie in Ägypten) noch die Polizei (wie in Tunesien) spielt in Syrien eine unabhängige Rolle, beide sind zu 100 Prozent von Assad vereinnahmt – eine Erklärung dafür, warum dieser sich bis heute an der Macht hält. Der syrische Staat müsste deshalb zunächst von Assads Einfluss befreit werden um die notwendigen Strukturen entwickeln zu können, die dem syrischen Volk dienen und nicht seinem Unterdrücker.
Zweitens hat Assad inzwischen vielerorts die Kontrolle an lokale Kriegsherren verloren, die finanziell und personell unabhängig von Damaskus agieren. Wie der Nahost-Militärexperte Tobias Schneider detailreich belegt, sind die "Regierungsgebiete" in Wirklichkeit ähnlich zersplittert und von wechselnden Allianzen gekennzeichnet wie die Regionen der Opposition. Das kommunale Leben werde nicht mehr überall vom Zentralstaat in Damaskus bestimmt, sondern von Dutzenden Assad-loyaler Gruppen, die am Krieg verdienen und vor allem eigene lokale Interessen verfolgen.
Die rivalisierenden Tiger Forces in den Provinzen Aleppo und Hama und die Desert Hawks in Lattakia gelten als besonders mächtig. Sie werden von Schmugglern, Kriminellen und Milizionären angeführt, finanzieren sich über Geldwäsche, Waffen-, Öl- und Menschenhandel und haben sich vor Ort eigene Unterstützernetzwerke aufgebaut statt auf zusammenbrechende staatliche Institutionen zu setzen.
Assad selbst beförderte die Entstehung dieser Kräfte, indem er im August 2013 privaten Geschäftsleuten per Dekret erlaubte, zum Schutz ihrer Kapitalgüter eigene Milizen aufzubauen. "Mit einem Federstrich bewaffnete das Regime dadurch seine eigenen Kleptokraten", so Schneider.
Außer Kontrolle
Manche konnten ihre Macht regional so weit ausbauen, dass selbst Assads gefürchteter Militärgeheimdienst sie nicht mehr im Griff hat – etwa die Tiger Forces. Das Regime braucht diese Milizen jedoch zur Abwehr von Angriffen der Opposition. Geht es darum, Gebiete zurückzuerobern, schließen sie zum Teil kuriose Allianzen mit lokalen Kriegsherren, ausländischen Kämpfern und Resten von Regimeverbänden. Hat eine solche Offensive Erfolg, fällt die Region nicht automatisch an die Machthaber in Damaskus zurück, sondern wird von den jeweils einflussreichsten Milizen dominiert. Die Rückeroberungen des vergangenen Jahres erscheinen deshalb nur vordergründig als Stärkung Assads, in Wirklichkeit verdeutlichen sie dessen Machtverlust im eigenen Lager.
Hinzu kommt die Abhängigkeit des Regimes vom Ausland. Ohne die militärische Unterstützung aus Russland und dem Iran wäre Assad längst am Ende. Und ohne die personelle Verstärkung durch schiitische Milizionäre aus dem Libanon (Hisbollah), aus dem Iran, Irak und Afghanistan gäbe es keine Geländegewinne am Boden.
Glaubt man den Berichten russischer Militärs besteht die syrische Armee überwiegend aus unmotivierten Soldaten, die lieber an Checkpoints ihre Landsleute abzocken statt für das Vaterland zu kämpfen. So schreibt der russische Militärstratege Mikhail Khodarenok, Syriens Generalstab habe keinen Plan, die Luftwaffe sei veraltet und benutze selbstgebastelte Bomben, Rekruten seien schlecht versorgt und ausgerüstet und entsprechend demoralisiert. Mit Partnern wie der Hisbollah und dem Iran, die ihre eigenen Interessen verfolgten und einem Verbündeten wie Assads Armee lasse sich kein Krieg gewinnen, schlussfolgert Khodarenok und fordert ein Ende der russischen Intervention bis Ende des Jahres.
Syriens islamistische Rebellen gemeinsam gegen den IS
Zur Terrorbekämpfung wäre es aus russischer Sicht in jedem Fall sinnvoller, sich in Syrien auf den sogenannten "Islamischen Staat" (IS) zu konzentrieren statt sich an den Kriegsverbrechen Assads gegen überwiegend sunnitische Zivilisten zu beteiligen und dabei ausgerechnet mit schiitischen Milizen zusammenzuarbeiten. Der Versuch Moskaus, möglichst viele Assad-Gegner als radikale Islamisten zu bezeichnen und diese auf eine Stufe mit dem IS zu stellen, ist genauso kontraproduktiv wie die Angewohnheit der Türkei, die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten der PKK-Schwesterpartei PYD in einem Atemzug mit dem IS zu nennen.
Wer den Gegner pauschal zum Terroristen abstempelt ohne zu verstehen, welche Rolle er für die Menschen vor Ort spielt, bringt diese nur gegen sich auf und bedient die Propaganda der Extremisten. "Syriens Sunniten gegen den Rest der Welt" heißt deren Drehbuch – Russland und die USA wären deshalb gut beraten, Syriens islamistische Rebellen zu Verbündeten im Kampf gegen den IS zu machen und deren Hauptfeind Assad so unter Druck zu setzen, dass dieser den Weg für eine Verhandlungslösung freimacht.
Und dann? Ein Kalifat wird Syrien sicher nicht, da sich die Syrer weder das Rauchen noch das Musikhören verbieten lassen und der IS von allen gemeinsam bekämpft würde. Sämtliche ausländischen Kämpfer müssten das Land verlassen, nicht nur tschetschenische Dschihadisten, sondern auch libanesische Hisbollah-Mitglieder und iranische Söldner. Dann könnten Syriens Rebellen ihr Verhältnis zu Al-Qaida klären und feststellen, dass sie die Jabhat Fatah al-Sham (ehemalige Nusra-Front) zwar im Kampf überzeugend finden, nicht aber ideologisch. Alles andere ist Verhandlungssache – mühsam, kompliziert und voller fauler Kompromisse. Aber allemal besser als Syrien weiter dem Untergang preiszugeben.
Assad richtet Syrien zugrunde
Assads Abgang ist der notwendige erste Schritt. Denn ein Ende der Kämpfe herbeizuführen wird mit jedem Tag schwieriger, den Assad an der Macht ist. Und was danach kommt, kann vor allem deshalb nicht geplant werden, weil Damaskus es nicht zulässt. Jeder potenzielle Regime-Kandidat, der einen Übergang mitgestalten könnte, weil er keine Verantwortung für das Morden trägt und für viele Syrer akzeptabel wäre, riskiert mit einem solchen Planspiel zum jetzigen Zeitpunkt sein Leben. Deswegen hilft das Totschlagargument "es gibt keine Alternative zu Assad" nicht weiter, sondern beschleunigt nur den staatlichen Zerfall und die Gewaltspirale in Syrien.
Sicher, die Opposition muss sich in vielen Punkten zusammenraufen, aber egal wer auf der anderen Seite steht – Assad selbst richtet Syrien zugrunde. Je länger andere seinen Überlebenskampf führen desto mehr Warlords sitzen nachher am Tisch und stellen Bedingungen für den Frieden.
Wäre Russland bereit, in Genf einen Neuanfang ohne Assad in Aussicht zu stellen, könnte es den Übergangsprozess entscheidend beeinflussen und die eigene Präsenz in Form von russischen Militärbasen sichern. Schon jetzt hat Putin erreicht, was er wollte – er wird im Nahen Osten als entscheidender Player und international als Weltmacht wahrgenommen.
Mit einem diplomatisch herbeigeführten Ende des Assad-Regimes könnte er Syrien eine Chance auf Frieden geben und beweisen, dass russische Einmischung nicht nur destruktiv, sondern am Ende auch konstruktiv wirken kann.
Kristin Helberg
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