Ein Mosaikstein des kollektiven Gedächtnisses
Der Kunsthistoriker Stefan Rasche hat die Arbeitsweise des Künstlers Salah Saouli mit der eines Archäologen verglichen, der "wie besessen Fotografien, Texte und andere Dokumente" sammelt, um sie dann "in seinen multimedialen Objekten und Installationen oft dicht an der Grenze zur Lesbarkeit – als fragmentierte Materialien einzuverleiben".
Das neueste Projekt von Saouli, "The Days of the Blue Bat", gezeigt in der Beiruter Agial Gallery, stellt eine Untersuchung der Ereignisse des Krisen-Jahres 1958 in Beirut dar und wie diese in das kollektive Gedächtnis eingegangen sind.
In einer großformatigen Installation und einer Reihe von Montagen werden Fotos, Zeitungsausschnitte, Videos und Tonaufnahmen zusammengestellt. Einzelheiten erschließen sich dem Betrachter erst nach genauem Hinsehen, aber nimmt der Betrachter die Einladung an, entsteht ein vielschichtiges Bild dieser Zeit.
Spiegel der Realität
1958 wurde der Libanon in eine sechsmonatige Krise gestürzt, in der die Spannungen in der Gesellschaft sichtbar wurden, die 1975 zum Ausbruch des Bürgerkrieges führen sollten. Die unterschiedlichen politischen Gruppierungen griffen zu den Waffen und es folgten monatelange politische Unruhen.
Die Krise hatte regionale und internationale Bedeutung und erreichte mit der US-amerikanischen Intervention, bei der 14.000 Marines an der Küste von Beirut landeten, ihren Höhepunkt.
Das Interesse des Künstlers für diese Zeit wurde erweckt, als er beim Aufräumen seines zum Abriss vorgesehenen Elternhauses auf das persönliche Archiv seines Vaters stieß. Darin befanden sich zahlreiche Zeitungen aus dem Jahr 1958.
"Was mich bei diesen Artikeln erschütterte, war die Ähnlichkeit mit den heutigen Verhältnissen. Entfernt man die Daten, lesen sich die Ausschnitte wie tagesaktuelle Nachrichten", kommentiert Saouli.
Wie viele seiner Generation, die den Bürgerkrieg als Kinder und Jugendliche erlebt haben, hatte der Künstler nur eine vage Vorstellung von jener konfliktreichen Vergangenheit. Und somit begann er, nach weiteren Zeugnissen und Zeugen zu suchen. So entstand ein Netz von visuellen und mündlichen Zeugenaussagen, das immer größer wurde.
Den Titel für das Projekt hat Salah Saouli von der genannten US-Intervention, "Operation Blue Bat", hergeleitet. Er hätte von einem Film stammen können und eine solche Anspielung ist durchaus gewollt. Die Bilder aus der Zeit des Konfliktes zeigen zum großen Teil ganz junge Männer, die sich mit ihren Waffen präsentieren. Ihre Posen scheinen denen von Kino-Action-Helden nachempfunden, dabei wirken sie meist unbeholfen beim Hantieren der Waffen.
Ikonografie der Selbst-Repräsentation
Das Ergebnis ist eine ganz eigenartige Ikonografie der Selbst-Repräsentation, die von der Bedeutung der visuellen Repräsentation in Zeiten von bewaffneten Konflikten zeugt. Der bewaffnete Kampf ist ein Spiel, und die Helden sind jung und stark, das sollen die Bilder deutlich machen.
Aber der Wille, Männlichkeit und Kraft auszudrücken, schlägt hier durch die mangelnde Überzeugungskraft der Protagonisten beinahe ins Gegenteil um und wirkt geradezu aufgesetzt und befremdlich, gar lächerlich.
Obwohl sich die Arbeit auf konkrete, historische Ereignisse bezieht, soll sie nicht als Dokumentation oder Aufzeichnung jener Zeit verstanden werden. "Es geht mir nicht darum, eine bestimme Lesart der Geschichte zu präsentieren oder zu dokumentieren, vielmehr ist mir wichtig, Zeugen und Protagonisten der damaligen Ereignisse ihre eigene Erinnerungen erzählen zu lassen. Es geht um das kollektive Gedächtnis und um die mündliche Übermittlung der Geschichte", sagt Saouli über sein Projekt.
Zu diesem Zweck hat der Künstler neben dem Bildmaterial eine Reihe von ehemaligen Aktivisten, aktiven Kämpfern, politischen Meinungsmachern und indirekt beteiligten Zeugen interviewt und gefilmt. Die Interviews hat der Künstler in die Installation integriert, wo sie auf kleinen, digitalen Monitoren zwischen gerahmten, kleinformatigen Bild-Montagen gezeigt werden.
Die Installation präsentiert sich wie eine private Erinnerungsgalerie. Die Bilder sind in unterschiedlichen Rahmen montiert, viel davon kitschig vergoldet, und ohne ersichtliche Struktur gehängt, ein weiterer Hinweis auf den populär-geschichtlichen Charakter dieses Projektes. Die Hängung der Bilder der Installation erinnert an die Art, wie diese Bilder an ihren ursprünglichen Orten hingen, in den privaten Wohnräumen der Stadt.
Schaut der Betrachter jedoch genauer hin, wird deutlich, dass die Arbeit weiter geht, trotz des oberflächlich vertrauten Erscheinungsbildes der Installation. Die einzelnen Objekte sind manipuliert, mal sind die Gesichter bedeckt, mal sind Details verfremdet.
Ausschnitt des gemeinsamen Gedächtnisses
Es geht Saouli eben nicht um eine Dokumentation wie die Ereignisse von 1958 im privaten Kontext präsentiert werden, und es geht ihm auch nicht darum, die beteiligten Gruppierungen aufzulisten. Vielmehr strebt der Künstler danach, einen Ausschnitt des gemeinsamen Gedächtnisses zusammenzustellen, der es jedem Betrachter ermöglicht, sich ein eigenes Bild von jenem Krisenjahr zu machen.
Die Bilder erinnern mit ihren Überlagerungen von Straßenaufnahmen, Porträts, Zeitungsausschnitten und Farbfeldern mitunter an die Dada-Montagen von Raoul Hausmann oder Erwin Blumenfeld. Und genau wie sie ergeben sie kein einheitliches Bild einer wie auch immer definierten Realität, sondern lassen lediglich Bruchstücke erkennen – Bruchstücke einer Wirklichkeit, die beunruhigen kann, die aber auch in ihrer eigenen Absurdität gefangen sind.
Die bedeckten Gesichter könnten jedem Beteiligten gehören, ihre individuelle Identität ist nicht von Bedeutung. Von Bedeutung ist aber die Gefahr, die von jeder Art von gewalttätiger und militärischer Euphorie ausgeht. Es gibt bei Salah Saouli keine Schuldzuweisungen, aber sehr wohl eine Warnung, aus Gewalt und deren Verherrlichung Ikonen zu schaffen. Und diese Warnung ist heute so aktuell wie 1958 oder 1975.
Charlotte Bank
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de