Iranische Agenten als Killer
Es geht um Mord. Das ahnt man in der ersten Szene. Ein hagerer Mann mit Vollbart und Blut an den Fingern rennt zu einem Auto, in dem ein Mann mit Bauchansatz und Lederjacke wartet. Die Szenerie verheißt nichts Gutes: staubige Einsamkeit, im Hintergrund zeichnet sich ein baufälliges Gemäuer ab. Die beiden Männer rasen davon.
Am Anfang ist alles rätselhaft. Aus welchem Motiv und in wessen Auftrag die beiden Täter handeln und wer ihre Opfer sind, das begreift man erst allmählich im neuen Film des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof, der bei den Kinofestspielen in Cannes diesen Freitag (24.5.) Weltpremiere hat.
Man hätte die beiden Männer für Mafiosi halten können, die vom Baron eines Verbrechersyndikats losgeschickt wurden. Aber sie sind Agenten des staatlichen Geheimdienstes. Sie verfolgen einen inneren Feind: Schriftsteller und Intellektuelle, denen Verrat am Staat und Verbindung zum äußeren Feind zur Last gelegt werden.
Beiläufig erfährt der Zuschauer, dass es ein "Scharia-Urteil" gibt, das dem Handeln der beiden Männer zu Grunde liegt. Aus ihrer eigenen Perspektive morden sie nicht, sondern führen legale Hinrichtungsbefehle aus.
Spiegel der Vergangenheit
Der Film "Manuscripts don't burn" ("Dastneveshteha ne-misuzand") greift eine zeitgeschichtliche Ereigniskette auf, die den Iran Ende der Neunziger Jahre erschütterte, aber heute in Vergessenheit geraten ist. In der Auseinandersetzung mit dem Schriftstellerverband, der als letzte Institution im autoritären Staat auf seiner politischen Unabhängigkeit beharrte und die uneingeschränkte Meinungsfreiheit einforderte, griff der Geheimdienst zu immer brutaleren Mitteln.
Einige Literaten wie Hushang Golshiri sperrte er ein, andere legte er um, wie den Dichter Mohammad Mokhtari und den Schriftsteller Mohammad Jafar Puyandeh. Das Politikerehepaar Parwaneh und Dariush Forouhar, das Kontakte in diese Szene hatte und sich geistig auf den früheren demokratischen Ministerpräsidenten Mosaddegh berief, wurde im Zuge der Mordserie im November 1998 in der eigenen Wohnung mit Dutzenden Messerstichen hingerichtet.
Keine dieser historischen Figuren wird in Rasoulofs Film exakt nachgezeichnet. Aber es wimmelt von Anspielungen auf das tatsächlich Geschehene. Im Zentrum der Geschichte steht die Erinnerung an das Attentat auf einen Bus, in dem 21 iranische Schriftsteller zu einem Kongress in Armenien unterwegs waren.
Während der Fahrt durch die Berge versucht der Fahrer, den Bus in den Abgrund zu stürzen. Er reißt das Steuer herum und springt hinaus. Aber das Attentat scheitert. Der Bus wird von einem Felsbrocken vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt. Der Fahrer war ein Mitarbeiter des Geheimdienstes.
Diese Szene taucht nicht im Bild, sondern nur in den Erinnerungen der Charaktere auf. Sie ist der Resonanzraum, in den der ganze Film hineinruft. Der Schriftsteller Kasra hat das Attentat miterlebt und einen Augenzeugenbericht geschrieben. Weil er weiß, dass der Geheimdienst das Manuskript bei ihm finden und vernichten könnte, hat er Kopien bei Freunden versteckt.
Im Visier der Agenten
Der Geheimdienstagent Khosro war damals der Busfahrer. Jetzt hat er den Befehl, zusammen mit seinem Vorgesetzten sämtliche Besitzer des Manuskripts aufzuspüren und unschädlich zu machen. So soll die Veröffentlichung verhindert und die Erinnerung an das gescheiterte Bus-Attentat ausgelöscht werden.
"Noch nie hat es ein Regisseur gewagt, die Morde des Geheimdienstes zum Thema eines Spielfilms zu machen. Das erste Mal in der iranischen Kinogeschichte stellt ein Film den Geheimdienst bloß", meint der Literaturkritiker Faraj Sarkohi. Er hat als einer der ersten die Endfassung des Films gesehen. "Aus der Sicht des Regimes ist das schwerwiegender, als wenn jemand schlecht über den Revolutionsführer redet."
Tatsächlich saß Sarkohi damals in dem Bus, der beinahe in die Schlucht gestürzt wäre, und hatte einen Bericht darüber aufgeschrieben. Sarkohi überlebte nicht nur das Attentat auf den Bus, sondern auch Haft und extreme Folter in den Kerkern des Geheimdienstes. Er kam dank der Intervention von Menschenrechtsorganisationen und europäischen Regierungen frei und lebt heute in Frankfurt. Ihm und den Mordopfern setzt Rasoulofs Film ein Denkmal.
Dabei ist der Film keine Doku-Fiction. Er zerlegt die Realität und schafft sie neu, so wie es jede gute Kunst tun muss. Die Zeitebenen verschwimmen. Einerseits fühlt sich der Zuschauer in das Geschehen vor 15 Jahren zurückversetzt. Andererseits glaubt er sich in der Gegenwart, weil die Protagonisten im Film das Bus-Attentat vor 15 Jahren nicht erleben, sondern sich lediglich daran "erinnern".
Auch die Diskussionen unter den Intellektuellen über den Sinn von Widerstand und substantieller Regimekritik im Zeitalter von Twitter und "Network-Generation" wecken Assoziationen zum Hier und Jetzt.
Analyse der Täter-Opfer-Beziehung
Die Stärke des Films liegt darin, dass er die Psychologie der Beziehung zwischen Tätern und Opfern präzise analysiert. Dabei hat dem Regisseur offensichtlich der Umstand geholfen, dass er in den vergangenen Jahren selbst den Repressalien des Regimes ausgesetzt war.
Rasoulof erlebte, wie Geheimdienstleute bei einem früheren Filmprojekt 2009 den Drehort stürmten und wie sie sein Büro in Teheran durchsuchten. Anfang 2010 landete er für einige Wochen im Trakt für politische Häftlinge des Evin-Gefängnisses. "Diese Erfahrungen haben mich sehr geprägt", meint der Regisseur.
Der Film porträtiert den Agenten Khosro als einen Mann aus einfachen Verhältnissen, der kaum das Geld hat, die Therapie für sein krankes Kind zu bezahlen. Mit den Aufträgen vom Geheimdienst verdient er Geld. Leise Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns werden vom Vorgesetzten Morteza wieder zerstreut.
Die beiden Täter bleiben trotz des Leids, das sie ihren Opfern zufügen, überzeugt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Einen Sinneswandel wie in dem deutschen Film "Das Leben der Anderen", in dem der Stasi-Agent sein Tun in Frage stellt, Empathie für die von ihm bespitzelten Künstler empfindet und schließlich die Befehle seiner Vorgesetzten sabotiert, gibt es in "Manuscripts don't burn" nicht.
Rasoulofs Film zeigt die Unerbittlichkeit und die Perfidie des Geheimdienstes in der Diktatur: wie er das Selbstvertrauen der kritischen Intellektuellen und das Vertrauen der Regimekritiker untereinander aufzehrt. Am Ende hält der Schriftsteller seinen langjährigen Freund für einen Spitzel des Geheimdienstes.
"Die Charaktere der beiden Geheimdienstkiller sind sehr gut getroffen", bestätigt Faraj Sarkohi. "Als ich die Filmszenen mit den beiden Tätern gesehen habe, kamen all meine Erinnerungen wieder hoch und ich habe die Typen vor mir gesehen, die mich damals gequält haben."
Das Kino der Anderen
Dem Regisseur ist ein echter Coup gelungen. Anders als die Künstler in seinem Film hat er sein Werk vor den Häschern im Iran verbergen und es sogar außer Landes schaffen können. Bei den Filmfestspielen in Cannes trifft er auf das Weltpublikum, und auch der iranische Geheimdienst wird die Premiere zur Kenntnis nehmen.
Rasoulof steht in Cannes allerdings im Schatten seines bekannteren Landsmanns und Oscar-Preisträgers Asghar Farhadi, der mit seinem neuen Film "Le Passé" ("Gozashteh") als einer der Favoriten für die "Goldene Palme" gehandelt wird. Mit seinen Familiendramen hat Farhadi sowohl im Westen Erfolg als auch bei den Machthabern in seiner Heimat Iran. Das Kulturministerium in Teheran hat für "Gozashteh" bereits eine Aufführgenehmigung erteilt.
Für Rasoulof ist dies das Kino der Anderen. "Mein Film wird im Iran sicher nicht aufgeführt", meint er lapidar. Das ist der Preis eines politischeren Kinos.
Stefan Buchen
© Qantara.de 2013
Stefan Buchen arbeitet als Fernsehjournalist für das Politikmagazin Panorama. Er ist Autor der ARD-Dokumentation "Die Lügen vom Dienst – der BND und der Irakkrieg".
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de