Schlagabtausch im Exil
Häufig winken in Deutschland lebende Syrer schnell ab, wenn sie auf die Situation in ihrer Heimat angesprochen werden. Die wenigsten sind bereit, sich frei zu äußern – oftmals aus Angst vor dem syrischen Geheimdienst, der auch in Deutschland ein Netz von Agenten unterhält und die Opposition im Exil ausspäht.
"Bitte ohne Namen und lieber keine Fotos", meint Nadhiya (53), die aus Aleppo stammt, seit 23 Jahren in Deutschland lebt und sich selbst in einem westlichen Land nicht sicher fühlt. Als sie noch in Syrien lebte, war Baschar al-Assads Vater, Hafiz al-Assad, noch an der Macht.
Schon damals konnte man in Syrien nicht das sagen, was man dachte: "In Syrien gab es keine Meinungsfreiheit. Schon unter Hafiz al-Assad hatten wir Angst, überall war der Geheimdienst zugegen. Wenn man sich kritisch äußerte, dann haben sie einen sofort verhaftet." Wer dagegen darauf verzichtete, seine Meinung offen zu sagen, der konnte Karriere machen und aufsteigen. "Aber wir Sunniten wurden systematisch benachteiligt", ergänzt Nadhiya.
Das wiederkehrende Trauma von Hama
Diese Benachteiligung gipfelte in einem Aufstand der Muslimbrüder in Hama im Jahre 1982, der von Hafiz Al-Assad blutig niedergeschlagen wurde. Schätzungsweise bis zu 30.000 Menschen wurden dabei getötet. Danach herrschte im Land eine Art Friedhofsruhe.
Doch seit den Ereignissen in Tunesien begannen auch die Menschen in Syrien neuen Mut zu fassen und auf die Straße zu gehen. Nadhiya hatte sich gefreut, als sie davon erfuhr und intensiv mit ihrer Familie diskutiert: "Endlich hatte ein arabisches Land angefangen, gegen einen diktatorischen Machthaber aufzubegehren. Das wünschten wir uns auch. Nun gibt es wieder Gewalt." Vieles erinnert in diesen Tagen wieder an das Massaker von Hama.
Muhammad (27), der wie Nadhiya aus Aleppo kommt und seit zwei Jahren in Deutschland Kunst studiert, kann sich noch genau an die Anfänge der Proteste erinnern. "Anfangs habe ich gedacht, dass das in Syrien nicht möglicht ist. Alle hatten Angst." Dann kamen die Demonstrationen in Tunesien und Jugendliche in Daraa sprühten Parolen gegen das Regime an die Wände. Jene wurden vom Sicherheitsapparat festgenommen und tagelang festgehalten.
Bei den Berichten, was dann passierte, gehen die Meinungen auseinander. Es gibt hier zwei Versionen. Die eine des Regimes und die der Aktivisten. Von offizieller Seite wurde den Jugendlichen, allen voran dem 13-jährigen Hamza al-Khatib, vorgeworfen, die Frauen von Soldaten vergewaltigen zu wollen. Nadhiya entgegnet hierbei fassungslos: "Das waren doch nur Kinder! Die wollten niemandem etwas Böses antun. Es waren lediglich Parolen für mehr Demokratie und Freiheit." Zum Schutz der Zivilisten sei dann die Freie Syrische Armee durch desertierte Soldaten gegründet worden, auf welche die Armee zu schießen begonnen habe.
Assads Kriegserklärung an das eigene Volk
Muhammads Ansichten passen nicht zu der offiziellen Version der syrischen Behörden: "Bei diesem Vorfall erkennt man die Brutalität des Regimes. Hamza al-Khatib wurde verhaftet. Eine Woche später konnte die Familie den Leichnam abholen. Man hatte ihm den Penis abgeschnitten und in den Kopf geschossen." Dieser Mord an Hamza al-Khatib sei ein Wendepunkt gewesen, bei dem sich die Einstellung vieler Demonstranten verändert habe.
Dabei hätten Muhammad und seine Bekannten noch anfangs auf eine Reaktion von Baschar al-Assad auf die Forderungen nach politischen Reformen gewartet: "Hätte er versichert, den Vorfall zu untersuchen, Neuwahlen angekündigt und die Notstandsgesetzgebung abgeschafft, dann hätten ihn die meisten wohl noch unterstützt. Ich wahrscheinlich auch." Ob Assad die Möglichkeit hatte, die Proteste zu tolerieren, anstatt sie zu unterdrücken? "Definitiv", meint Muhammad, "Es war dumm und arrogant von Assad, die Demonstranten von vornherein als Terroristen zu bezeichnen."
Assad als Reformer, wie vom Westen zunächst angenommen? "Ja. Wir haben das gehofft. Aber so? Mit Blut und Gewalt?" Nach und nach sei der Konflikt eskaliert. Auf den Terror der regimetreuen Shabiha-Milizen habe die neue Freie Syrische Armee mit Angriffen reagiert. "Besonders in der Stadt Idlib war der Terror der Shabiha schlimm", betont Muhammad.
Der aus einem alawitischen Grenzort stammende Student Hassan widerspricht solchen Darstellungen energisch. Er hegt keinerlei Sympathie für die Revolution: "Die Kämpfer der sogenannten Freie Syrischen Armee sind für mich die wahren Terroristen, die Verbindungen zu al-Qaida haben. Diese Salafisten wollen doch keine Demokratie!" Er stehe nach wie vor zu Baschar al-Assad: "Das sind doch alles Lügen, was die westlichen Medien über Gräueltaten verbreiten!", so Hassan.
Die Anhänger des Regimes sehen in der Freien Syrischen Armee keine Freiheitskämpfer. Für sie gibt es keine Revolution gegen Assad. Vielmehr handele es sich hierbei um eine "ausländische Verschwörung", um Syrien zu destabilisieren. "Die wollen keinen Frieden, sondern nur Chaos stiften, um die schiitische Achse Iran-Syrien-Hisbollah zu zerstören", so Hassan. "Es ist doch ein Witz, dass ausgerechnet Saudi-Arabien Demokratie für Syrien fordert. Dort werden die Schiiten unterdrückt und der Westen sagt nichts."
Die salafistische Gefahr
Die 22-jährige Fadwa studiert Islamwissenschaften. Die Ansichten der Assad-Anhänger, die es an jeder Universität auch in Deutschland gibt, sind ihrer Meinung nach unhaltbar: "Der Aufstand wird vom gesamten syrischen Volk getragen. Es gibt auch Alawiten und Christen, die gegen Assad Position beziehen." Sie räumt aber auch ein, dass in Syrien mittlerweile auch die Salafisten aktiv sind.
Als Beispiel benennt Nadhiya eine Kampfeinheit aus ihrer Heimatstadt Aleppo: "Es gibt dort diese 'Einheitsbrigade'. Da sind auch Islamisten dabei, aber sie spielen allgemein keine große Rolle. Vielmehr wirken dort Studentengruppen und andere Aktivisten mit." Fadwa hält es zwar für möglich, dass es Salafisten und al-Qaida-Anhänger unter den Aufständischen gibt, "aber die werden nur akzeptiert, um Assad zu stürzen. Nach dem Sturz wird sie keiner mehr wollen, die Syrer sind nicht dumm."
Obwohl Muhammad die Revolution unterstützt, sieht er das anders: "Gerade in Aleppo sind die Salafisten sehr aktiv. Sie dominieren die Einheitsbrigade in Aleppo. Ich bin zwar für den Sturz des Regimes, aber auch gegen die Salafisten. Und ich glaube, die Mehrheit der Syrer denkt da so wie ich." Er wird noch konkreter: "Die Shabiha und die Profiteure des Regimes haben durch ihr grausames Vorgehen einen konfessionell gefärbten Krieg entfesselt. Oft geht es nur noch um Schiiten oder Alawiten gegen Sunniten."
Muhammad ist sich aber auch sicher, viele Schiiten und Christen unterstützten Assad nur aus Angst: "Ein guter Freund von mir, der Schiit ist, hat zu mir gesagt: 'Die schicken uns in den Iran, wenn Assad fällt!' Auch meine christlichen Bekannten haben Angst vor dem, was kommen könnte."
Hassan fürchtet sich vor einer Zukunft ohne Baschar al-Assad und die Baath-Partei: "Die Terroristen wollen alle Alawiten massakrieren. Klar gibt es eine alawitische Mehrheit innerhalb des Militärs. Aber dort gibt es auch Christen und Sunniten." Er möchte zwar auch, "dass alle wieder wie früher friedlich zusammenleben. Aber unter der Herrschaft Baschar al-Assad, der seine Reformen nur nicht wegen der Terroristen umsetzen konnte."
Der steinige Weg zur Demokratie
Was die Zukunft betrifft, so sind sich die meisten Syrer in Deutschland einig: "Wir wollen Demokratie!" Interessant ist hierbei, dass alle von Freiheit und friedlichem Miteinander sprechen. Assad-Gegner wie -Sympathisanten. Auch Fadwa stimmt dem zu: "Ich wünsche mir eine echte Demokratie mit Meinungsfreiheit, wo man endlich auch Kritik äußern kann ohne weggesperrt zu werden. Aber Hauptsache Baschar ist erst einmal weg!"
Ob es überhaupt möglich sei, Demokratie in einem Land wie Syrien zu etablieren? Für Muhammad ist diese Frage nicht leicht zu beantworten: "Ich will weder einen Einparteienstaat noch die Salafisten. Ich wünsche mir ein Syrien, wo Sunniten, Schiiten, Drusen, Alawiten und Christen gleichberechtigt zusammenleben. Jeder sollte das Recht haben Präsident werden zu können, egal welcher Konfession er angehört. Eine Demokratie nach westlichem Vorbild ist sehr schwierig. Aber wie in Tunesien oder vielleicht in der Türkei, das ist definitiv möglich."
Fabian Schmidmeier
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Redaktion. Arian Fariborz/Qantara.de