Der weite Weg zur ''jemenitischen Lösung''
Das Regime von Baschar al-Assad hat nichts dazu getan, Kofi Annans Friedensplan umzusetzen. Die schweren Waffen wurden nicht abgezogen, der Beschuss von Wohngebieten wurde nicht eingestellt, die Gefangenen wurden nicht freigelassen, und von Versammlungsfreiheit kann schon gar keine Rede sein.
Die UN-Beobachter können nur tun, was ihr Mandat ihnen aufgibt: Sie beobachten, aber sie können weder eingreifen noch schützen. Das Massaker in Hula wird nicht die letzte Gewalttat sein, mit der das Regime den Aufstand zu ersticken versucht, tatsächlich aber das Land nur tiefer in den Bürgerkrieg treibt.
Derzeit nehmen vor allem die Aktivitäten bewaffneter Aufständischer zu, die teils unter dem Banner, teils auch unter dem Kommando der "Freien Syrischen Armee" stehen.
Weder die Vereinten Nationen, noch die arabischen Staaten, die NATO oder die EU haben heute einen "Plan B". Aber jedes neue brutale Verbrechen an der syrischen Zivilbevölkerung wird die Rufe nach einem militärischen Eingreifen lauter werden lassen.
Welche Form der Intervention?
Empörung allerdings ist noch kein strategischer Wegweiser. Gerade wer, richtigerweise, betont, dass keine Option ausgeschlossen ist, muss genau abwägen, welche Form der Intervention in welcher Situation die richtige ist. Vieles spricht dafür, dass relativ begrenzte militärische Aktionen – eine Serie von Luftschlägen etwa – allenfalls Parität in den Bürgerkrieg bringen, diesen aber nicht beenden würden.
Wer über massivere Operationen, eine mehrmonatige Luftkampagne à la Libyen oder eine von der NATO gestützte Invasion nachdenkt, um das Regime zu Fall zu bringen, muss wissen, dass er damit auch Verantwortung für das Land übernimmt. Einfach zu hoffen, dass die Vereinten Nationen sich hinterher schon irgendwie um inneren Frieden, Versöhnung und politischen Wiederaufbau kümmern würden, wäre unverantwortlich.
Schon aus diesen Gründen haben weder die USA noch die Nachbarstaaten ein Interesse daran, sich auf eine militärische Auseinandersetzung in Syrien einzulassen. Mindestens so wichtig ist, dass für ein solches Vorgehen auch die notwendige regionale und internationale Legitimität fehlt, die durch einen klaren Beschluss der Arabischen Liga und ein Mandat des Sicherheitsrats ausgedrückt werden müsste. Beides wird es nicht geben, wenn nicht alle diplomatischen Möglichkeiten erschöpft sind.
In nicht wenigen Ländern wird deshalb jetzt über eine "jemenitische Lösung" nachgedacht: über eine verhandelte, temporäre Übertragung der Macht an einen Stellvertreter Assads und die Exilierung des Präsidenten und seiner Entourage, um dann einen echten, von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga vermittelten nationalen Dialog über die politische Zukunft des Landes auf den Weg zu bringen.
Ein Lösungsweg mit Schönheitsfehlern
Ein solcher Lösungsweg hat Schönheitsfehler, denn er würde Assad straffrei ausgehen lassen. Er könnte aber den Bürgerkrieg beenden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Regimespitze die Aussichtslosigkeit der Lage erkennt, selbst sieht, dass Syrien sich, wie Kofi Annan dies genannt hat, an einem Kipppunkt befindet, wo entweder das Töten aufhört und ein politischer Prozess beginnt, oder eben nur noch Isolation, Chaos und schließlich doch ein militärisches Eingreifen von außen zu erwarten sind.
Eine militärische Drohkulisse aufzubauen, ist deshalb nicht falsch. Sie kann dazu beitragen, dass Assad und seine Getreuen realisieren, dass ihre Zeit vorbei ist. Ein striktes, allgemeines Wirtschaftsembargo und die politische Isolation des Regimes wären noch wichtiger.
Das heißt jedoch nicht, jeden Gesprächsfaden abreißen zu lassen: Die konkrete Lösung im Jemen wurde – wie gelegentlich vergessen wird – mit den Spitzen des dortigen Regimes verhandelt. Kofi Annan, russische Vertreter oder Repräsentanten anderer Staaten, die in Damaskus noch Gehör finden, werden also weiter mit Assad und seinen Getreuen sprechen müssen.
Russland hat insofern eine entscheidende Position, nicht nur wegen seines Vetos im Sicherheitsrat. Solange Assad nicht auch aus Moskau hört, dass das Spiel aus ist und nur noch ein verhandelter Abgang ihm und seinen Anhänger Sicherheit gewährt, wird er sich kaum wirklich isoliert fühlen, vielleicht sogar weiter glauben, dass er gewinnen kann.
Ein Regime auf Zeit
Auch in Moskau rechnet man heute mit dem Ende des Assad-Regimes, fürchtet gleichzeitig aber einen strategischen Verlust. Es wäre keine schlechte Aufgabe für deutsche Diplomatie, die russische Führung davon zu überzeugen, dass deren Interessen sich langfristig eher wahren lassen, wenn sie am Übergang in Syrien mitarbeitet, als wenn sie an Assad festhält.
Aber natürlich geht es nicht nur um die Interessen internationaler Unterstützer Assads. Wir dürfen nicht vergessen, dass vielleicht zwanzig Prozent der syrischen Bevölkerung echte Anhänger des Regimes sind, und ein noch größerer Teil enorme Angst vor den Alternativen und vor dem Chaos nach einem Sturz Assads hat.
Nur wenn klar ist, dass Minderheiten und andere Gruppen, auf die Assad sich gestützt hat, auch im Post-Assad-Syrien eine Zukunft haben, wird sich verhindern lassen, dass ein Bürgerkrieg nach dem Regimewechsel länger und blutiger wird als der davor.
Volker Perthes
© Qantara.de 2012
Volker Perthes ist Nahostexperte und Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de