Blick über die Grenze

Die arabische Welt ist bisher auf dem Kunstmarkt kaum in Erscheinung getreten. Nun aber heizen internationale Auktionshäuser und lokale Galeristen Syriens bildender Kunstszene ordentlich ein. Die Konsequenzen: steigende Preise auf dem Markt, aber auch eine neue Bilderlust in der Gesellschaft. Von Mona Sarkis

Ayyam Gallery in Damaskus; Foto: Ayyam Gallery
Ayyam Gallerie in Damaskus: Die syrische Kunstszene entwickelt sich und immer mehr Galerien werden gegründet; die Käufer sitzen in Los Angeles, Basel oder Hongkong - nur nicht in Syrien.

​​ Da sitzen sie – mitten in einer Debatte über den gesellschaftlichen Wert von Malerei, und es fehlen nur noch flackernde Kerzen und der Duft nach rinnendem Wachs, um sich wie bei Puccini zu fühlen. Nur: Diese Bohème philosophiert im Hier und Jetzt – im Souk Sarouja von Damaskus. Ihr Fazit: Malerei ist relevant, aber nicht in Syrien. "Wer vergleicht hier schon seine Liebste mit einem Gemälde?", fragen die Mittzwanziger und setzen eifersüchtig nach: "Nur Gedichte werden ständig für Liebeserklärungen herbeizitiert."

Khaled Sammaoui hat da andere Sorgen. Der Mittvierziger sitzt im teuersten Viertel von Damaskus. Es gilt, die neueste Vernissage in seiner drei Jahre alten Galerie zu organisieren. Das Kunstinteresse unter den Syrern? Unterentwickelt!

Doch dem rosigen Sammaoui, der wie die fleischgewordene Globalisierung anmutet, darf dies egal sein. Schließlich sitzen seine Käufer überall, von Los Angeles über Basel bis Hongkong. Außer in Syrien.

Neuer Markt im Mittleren Osten

Alles scheint sich "außer in Syrien" abzuspielen. Aber die syrischen Kunstszene ist zurzeit in aller Munde. Aus der beschaulichen Isolation rückt sie plötzlich in ein internationales Licht, das mit dem Interesse von Christie's an moderner Malerei im Mittleren Osten aufkam: 2005 richtete der Auktionsriese ein Büro in Dubai ein, es folgten Bonhams und Sotheby's, das dieses Jahr in Doha eröffnete.

Mittlerweile erzielt nun der vor kurzem noch unbekannte iranische Künstler Farhad Moshiri mit seinen Arbeiten bis zu 600 000 US-Dollar, der Ägypter Ahmed Moustafa über 650 000, und Syriens Stars "verkauften früher eineinhalb Meter Leinwand für 3000 und heute für 15 000 Dollar", sagt Sammaoui lachend.

​​ Längst wittert der Kunsthändler, der früher Bankier in der Schweiz war, einen Boom für arabische Kunst binnen der nächsten fünf Jahre. Grundlos ist diese Zuversicht nicht, immerhin erzielte Christie's 2008 rund 300 000 Dollar für ein Gemälde von Fateh Al-Moudarres.

Al-Moudarres (1922–1999), der Altmeister des syrischen Surrealismus, zählt indes, ebenso wie der beklemmende Realist Louay Kayali (1934–1978) und der Abstraktionspionier Mahmud Hammad (1923–1988), zu den mittlerweile verstorbenen Lichtgestalten der syrischen Kunstszene. Für noch lebende Künstler, selbst die gefragtesten unter ihnen, liegt das Preisniveau derzeit lediglich zwischen 10 000 und 40 000 Dollar.

Fusion von Stilelementen

Was aber ist "syrische Kunst"? Meyssa Shehab, zu deren nagelneuer Galerie Tajallyat man in silbergrauer Limousine mit dunklen Scheiben chauffiert wird, drückt bei dieser Frage einen Knopf, statt selbst zu antworten. Doch die Auskunft des von ihr konsultierten Kunstkritikers sagt wenig aus. Ähnlich ist es bei Sammaoui.

Um selbst eine Antwort zu finden, müsste man im Jahr 1960 bei der Eröffnung der Damaszener Kunstakademie einsetzen.

​​ Damals kam ein figurativer Surrealismus-Expressionismus zur Blüte, der das eigene visuelle Erbe transzendieren wollte. Alles findet hier hinein: das arabische Schattentheater und die flächige islamische Kunst, die weder Licht noch Schatten kennt. Die kanaanitischen Dämonen, die palmyrenischen Flügelwesen – und der das einstige wie jetzige Syrien prägende Sufismus.

Im Unterschied zu anderen muslimischen Ländern verbannte der laizistische Staat diesen mystischen Islam nie in den Untergrund.

Figurativ trotz Bildverbot

Es sind diese in heftigen Farben ausgeführten Figurationen der heute rund 70-Jährigen (Elias Ziad, Nazir Nabaa) und die ab den 1980er Jahren folgenden, weniger melodramatischen Werke von Eduard Shahda, Asaad Arabi oder Fadi Yazji, die bis dato den Nachwuchs prägen.

Eine fein abstrahierende Kunst, wie sie etwa Abdallah Murad pflegt, fand dagegen wenig Nachfolger. Das überrascht insbesondere in einem muslimischen Land, wo das von der religiösen Tradition auferlegte Bildverbot die Kunst über Jahrhunderte weitgehend auf Kalligrafie und Ornament beschränkte.

​​ Dennoch ist heute nichts angesagter als Figuratives. Grund dafür ist wohl nicht zuletzt, dass der strenge Islam sich in Syrien nie überall durchsetzen konnte.

Der diktatorische Überwachungsstaat dagegen ist omnipräsent: So wundert es kaum, dass die bildende Kunst im allgemeinen recht unverfänglich wirkt.

Etwa bei den Arbeiten des talentierten 26-jährigen Abdelkarim Majdal al-Beik, der das Thema Zeit anhand von mitgenommenen alten Hausmauern bildlich umsetzt, könnte sich die Frage aufdrängen, warum ausgeblendet bleibt, was da und dort hinter diesen Mauern passiert.

Doch abgesehen davon, dass das Verlangen nach einer politisch und sozialkritisch engagierten Kunst vielleicht primär ein westliches Phänomen ist, muss man sich noch in anderer Hinsicht vergegenwärtigen, in welchem Maße die Omnipräsenz des Geheimdiensts den Alltag der Syrer prägt.

Um eine Ahnung davon zu erhalten, genügt es, im Sammeltaxi von Damaskus nach Sidnaya zu fahren und zu erleben, wie die zusammengewürfelten Passagiere angesichts des langen Gefängnisbaus von Sidnaya kollektiv verstummen.

Dennoch ist Syriens moderne Malerei weit mehr als eine – nun lukrative – schöne Welle. Denn was sie mit sich brachte, ist ein neues künstlerisches Selbstverständnis unter jungen Menschen.

​​ Das zeigt etwa Hibba Al-Aqad: Fern aller hippen Szeneorte sitzt die 27-Jährige allein auf einem großen Haufen Stoffe, die sie miteinander verklebt. Geradezu besessen will sie der flächig-toten Materie Plastizität verleihen und sagt, dies sei ihre Auseinandersetzung mit ihrem Erbe als Frau: So weit sie zurückdenken könne, hätten nähende Frauen sie umgeben.

Auseinandersetzung scheint generell das Lebensprinzip dieser jungen Künstlerin mit den Frida-Kahlo-Augenbrauen zu sein: Auf ihre streng konservative Familie, die Bilder für tabu und den Schleier zum Muss erklärte, redete sie so lange ein, bis ihr der Besuch der Kunstakademie erlaubt wurde.

Von deren Professoren ließ sie sich in ihre Stoffcollagen ebenso wenig hineinreden wie von ihrem Angetrauten in ihr Leben. Nach siebenmonatiger Ehe legte sie den Gemahl mitsamt ihrem Kopftuch ab.

Ein neuer Katalysator für die Jugend

Über den kulturellen Stellenwert der jungen syrischen Kunst besagt dies zunächst noch nichts. Scheint es. Doch dort, wo Kunst etwas mit Zweifeln und echter Selbstbefragung zu tun hat, frischt sie auf.

Das beweisen gerade jene, die im Souk Sarouja wütend fragen, weshalb die bildende Kunst im Lande partout kein Echo finde – denn die Gegenfrage setzt sie doch etwas schachmatt: "Warum seid ihr dann hier?"

Ein erfrischender Haufen von Kunstbegeisterten, die zum Teil vom Land stammen und im Alltag ihr Brot unter anderem als Apotheker verdienen. Ja, es regt sich etwas in Syrien – auch wenn der Geruch nach zerrinnendem Wachs noch lange nicht ausgelüftet ist.

Mona Sarkis

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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