Die Kaaba als Sicherheitszone

Eine neue Generation junger saudischer Künstler zeigt, dass selbst in einem konservativen Land Bewegung möglich ist. Ihre Kunst dürfen sie nicht in ihrer Heimat ausstellen, dafür aber in Berlin.

Von Werner Bloch

Saudi-Arabien gilt nicht gerade als Hort der Menschenrechte. Zwischen dem Persischen Golf und dem Roten Meer kann eine Kritik an König Abdullah schnell zu Folter, Gefängnishaft oder auch schon einmal zu einem Todesurteil führen. Frauen dürfen hier nicht einmal den Führerschein machen.

Auch Kunst und Kultur haben es in Saudi-Arabien schwer. Und jetzt ist ausgerechnet hier ein kleines Kunstwunder erblüht – derzeit zu besichtigen in der Galerie Soho Haus in Berlin Mitte. Die Arbeiten sind gekennzeichnet durch eine originelle Sprache, kritische Aussagen und eine künstlerische Fantasie, die sich mit jedem anderen Land messen lassen kann.

Auf Entdeckungstour per Bus

Vor sechs Jahren rumpelte der britische Künstler Steven Stapleton in einem alten Bus über die arabische Halbinsel und machte eine erstaunliche Entdeckung: Auch in Saudi-Arabien gibt es Künstler - Menschen, die zwar größtenteils noch nie im Ausland waren, die aber in Dörfern und Städten ihre ganz eigene Art von Kunst entwickelt haben.

Daraus entstand die Initiative "Edge of Arabia" – eine Künstlergruppe, zu der inzwischen sogar eine Prinzessin des saudischen Königshauses gehört.

Die Gruppe habe eine politische Botschaft, daran lässt der in Dubai lebende Kurator Rami Farook keinen Zweifel: "Wir wollen die Identitätskrise zeigen, die die islamische Welt erfasst hat. Ich habe Angst, dass der extreme Islamismus die Vorherrschaft gewinnt, aber ich spreche für den gemäßigten Teil des saudischen Volkes – und für die Kunst, die genau diesen gemäßigten Islam will."

Ein Arzt als Künstler

Fast über Nacht haben saudische Künstler eine starke Formensprache gefunden. Zum Beispiel Ahmed Matter. Er arbeit mit ungewöhnlichen Materialien: mit Röntgenstrahlen und Magnetismus.

Matter ist kein Full-Time-Künstler, er verdient sein Geld als Arzt in einem Krankenhaus. Aber er macht fantastische Kunst. Und er produziert gegen den Wahnsinn des Öls und der Ölförderung, der die ganze Region bedroht.

Matters Kunstwerke ziehen den Zuschauer schon beim ersten Blickkontakt schlagartig in den Bann. Zum Beispiel die Zapfsäule. Sie wandelt sich in einer Folge von Bildern Schritt für Schritt in den Körper eines Menschen - in blau eingefärbte Röntgenbilder von Kopf und Oberkörper. Der Zapfhahn wird zur Pistole, die sich die geisterhafte menschliche Figur an den Kopf hält – ein Menetekel und wohl auch eine Kritik an der saudischen Regierung, die rücksichtslos auf Ölexporte setzt.

Soldat und Künstler zugleich

Der Bekannteste unter den saudischen Künstlern ist Abdulnasser Gharem, dessen Werke bereits in Sharjah und in Berlin zu sehen waren. Auch er ist kein Berufskünstler im westlichen Sinn, sondern im normalen Leben – ein Soldat. Er exerziert jeden Tag mit seiner Truppe; er hat im letzten Winter an der Front im Nordjemen gekämpft. Künstler ist er in seiner Freizeit – aber darüber beklagt er sich nicht.

"Es gibt in Saudi-Arabien praktisch keine Galerien, keine Museen, keine Kunstbücher. Ich habe mir gesagt: Na ja, die brauche ich auch nicht. Ich zeige meine Kunst da, wo ich Menschen finde, auf der Straße. Ich bin der erste, der Performances in Saudi-Arabien macht. Performances sind mächtig – das, was Mahatma Ghandi gemacht hat, war ja auch eine Performance, egal ob er es so gemeint hat oder nicht. Als Künstler kann ich ein Funke sein."

Gharems Kunst ist sozial engagiert. So hat er für den Erhalt eines Dorfes gekämpft, das die Regierung abreißen wollte, indem er T-Shirts mit der Aufschrift "abrissbereit" verteilte - um zu zeigen, dass hier nicht nur Häuser beseitigt, sondern auch Menschen verdrängt werden sollen.

Der Künstler hat auch einen Torbogen aus Mekka nachgebaut, durch den bei der Hadj, der Pilgerfahrt, alle Muslime gehen müssen. In diesen grandios geschmückten Bogen hinein hat der Künstler einen Metalldetektor gebaut, der jeden Muslim wie in einem Flughafen nach Waffen abtastet: Die Kaaba, der heiligste Ort, wird damit zu einer Art Sicherheitszone, die Muslime erscheinen als Menschenmasse unter Verdacht.

Könnte diese kritische Ausstellung auch in Saudi-Arabien gezeigt werden? Nein, das könnte sie nicht, sagt Kurator Sami Farook und fügt hinzu: noch nicht. Es sei an der Zeit, dass sich das Denken in Saudi-Arabien öffnet. Im Ausland aber wolle "Edge of Arabia" schon einmal ein positives Zeichen setzen.

Werner Bloch

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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Website von Edge of Arabia (Englisch)