Rückkehr ins Ungewisse
"Willkommen in Kafro" steht trotzig ein Hinweis am Wegesrand neben dem offiziellen türkisierten Dorfschild "Elbeğendi". Etwa 15 Kilometer südlich von Midyat leben dort 17 syrisch-orthodoxe Familien. Geschäfte gibt es im Dorf nicht, aber ein Café, in dem es angeblich die einzige vernünftige Pizza in der näheren Umgebung gibt.
"Die Verkehrssprache der Kinder im Dorf ist Deutsch", sagt der Pizzabäcker in akzentfreiem Deutsch, das er sich in der Nähe von Stuttgart angeeignet hat. Alle Familien in Kafro sind nach teilweise jahrzehntelangen Aufenthalten in Deutschland und der Schweiz nach Kafro zurückgekehrt. Darunter ist auch der muhtar, der gewählte Dorfvorsteher Aziz Demir, der mit seiner Familie in Zürich und in der Nähe von St. Gallen gelebt hat.
"Auch wenn unser Leben dort für Christen sehr angenehm war, hat eben doch etwas gefehlt", sagt er auf der Terrasse seines Hauses, in dem er mit seiner Frau, die aus einem Nachbardorf stammt und mit dem jüngsten Sohn Josef lebt, der in Midyat aufs Gymnasium geht. Über den neu angelegten Garten in die Ebene zeigend sagt er im breitesten Akzent: "Des isch halt unsere Heimat!"
Die Demirs und die anderen 16 Familien leben alle in Neubauten, da die Häuser des alten Dorfes, das in Sichtweite daneben liegt, in den Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der PKK größtenteils zerstört wurden. So wie die alte Kirche, die dringend einer Restaurierung bedarf, die nötigen Genehmigungen aber noch fehlen.
Deshalb haben die Einwohner von Kafro eine kleine Kapelle gebaut, mit Hilfe der "Evangelischen Landeskirche in Württemberg", wie neben dem Eingang auf einem Schild zu vernehmen ist. Der Gottesdienst findet dort aber nur einmal im Monat statt, da das Dorf keinen eigenen Priester hat.
Konfessionelle Vielfalt
Vom Dach der alten Kirche herab deutet Demir auf die Dörfer der Umgebung von Ost nach West: "Dieses Dorf ist christlich, jenes arabisch, ein anderes kurdisch, eines ezidisch und dann wieder eines christlich, Enhil (türkisch Yemişli), aus dem Tuma Çelik stammt."
Çelik ging bereits als zehnjähriger 1974 mit seiner Familie nach Istanbul, 1985 siedelte er dann ebenfalls in die Schweiz über. Dort wurde er zum Aktivisten für die Belange der syrisch-orthodoxen Gemeinde. Er schrieb für aramäische Zeitschriften und war einer der Gründer von Suroyo TV, das auf Aramäisch aus Schweden sendet. Seit 2010 lebt er wieder schwerpunktmäßig im Tur Abdin. Im letzten Sommer gründete er die erste türkisch-aramäische Monatszeitschrift Sabro (Hoffnung), die in Midyat von Freiwilligen herausgegeben wird.
Ebenfalls im vergangenen Sommer rief er die Webseite "Wir sind auf dieser Welt zusammen aufgewachsen" ins Leben, die sich vor allem den Gerichtsverfahren des ältesten Klosters der Region, Mor Gabriel, widmet. Mor Gabriel wurde 397 gegründet und 1.611 Jahre später von umliegenden Dörfern verklagt, illegal Boden zu besetzen, der teilweise sogar innerhalb der Klostermauern liegt und für den das Kloster regelmäßig seit 1937 Grunderwerbsteuer bezahlt hat.
In Bedrängnis
Trotzdem entschieden Gerichte seit 2008 gegen das Kloster und überschrieben etwa 28 Hektar dem türkischen Forstministerium, das letzte Urteil wurde im Juli 2012 gefällt. Jetzt bleibt nur noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Erol Dora, der erste syrisch-orthodoxe Abgeordnete im türkischen Parlament, der für die kurdische BDP 2011 in Mardin gewählt wurde und zuvor als Anwalt für Minderheitenstiftungen gearbeitet hat, kommentierte diesen Schritt folgendermaßen: "Wir als BDP uns als assyrisches Volk werden uns auf internationaler Ebene für das Kloster einsetzen, weil wir glauben, dass wir in diesem Prozess das Recht auf unserer Seite haben."
Für Çelik ist Mor Gabriel aber nur ein Problem von vielen: "Das ist so klein wie ein Tropfen im Ozean. Assyrer lebten hauptsächlich in ländlichen Gebieten, wo das Katasterwesen am wenigsten ausgeprägt war. Deshalb sind viele Kirchen, Klöster und Gemeindegebäude überhaupt nicht registriert."
Mittlerweile lebt die große Mehrheit der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Istanbul. Sait Susin, Vorsitzender der Stiftung der syrisch-orthodoxen Minderheit in Istanbul, schätzt, dass etwa 17.000 von insgesamt ca. 20.000 Gläubigen inzwischen in Istanbul leben. Derzeit gibt es für diese aber nur eine einzige Kirche im Stadtteil Beyoglu, die 1844 für damals etwa 40 bis 50 Familien gebaut wurde. Die Gemeinde, die heute mehrheitlich im Viertel Bakirköy lebt, nutzt deshalb auch katholische Kirchen für ihre Gottesdienste.
Darüber hinaus stellt die Stiftung seit Jahren Anträge auf einen Kirchenneubau, wobei sie aber auf eine Grundstückzuweisung seitens der Stadtverwaltung angewiesen ist.
Im vergangenen Jahr machte die Stadtverwaltung dann zwei unakzeptable Angebote, da es sich um konfiszierte Grundstücke katholischer und griechisch-orthodoxer Gemeinden handelte. Deshalb lehnte die syrisch-orthodoxe Gemeinde die zweifelhafte Offerte ab. Sollte das Grundstück aber wieder an die katholische Kirche zurück gegeben werden, wären sie bereit, sich auf einen Neubau neben dem katholischen Friedhof mit den katholischen Priestern zu einigen.
"Sie sind keine Minderheit!"
Das ist aber nicht das einzige Problem der Istanbuler Gemeinde. Außerhalb des Tur Abdin beherrscht nur noch eine Minderheit die aramäische Sprache. Çelik schätzt, dass "in Istanbul 3.000 Syrisch-Orthodoxe die Sprache sprechen, aber nur etwa 200 auch lesen und schreiben können." Deshalb hatte die Stiftung einen Antrag gestellt, einen Kindergarten mit aramäischem Sprachunterricht zu eröffnen.
Die Antwort des Bildungsministeriums bezüglich des Antrages lautete: "Sie sind keine Minderheit, deshalb können Sie Ihren Kindern auch keine Fremdsprache beibringen." Obwohl syrisch-orthodoxe Christen eindeutig keine Muslime sind und damit von den Minderheitenrechten aus dem Lausanner Vertrag von 1923 profitieren müssten, hat der türkische Staat diese Rechte, bei zahlreichen Verletzungen, nur Griechen, Armeniern und Juden gewährt.
Eine überfällige Anpassung türkischer Gesetze an europäische Standards in Hinblick auf die Minderheitenrechte würde nicht nur das Problem des Kindergartens lösen, sondern auch hinsichtlich anderer Probleme einen modernen Referenzrahmen schaffen. Freilich nichts Revolutionäres, sondern einfach nur gleiche Rechte für alle.
Ekrem Eddy Güzeldere
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Redaktion. Arian Fariborz/Qantara.de