Erdogans Schatten über Deutschland

Viele internationale Staatschefs waren bei der Amtseinführung des türkischen Präsidenten Erdogan zu Gast. Auch Vertreter der Auslandstürken waren anwesend. Diese sind für Erdogan besonders wichtig - auch in Deutschland. Von Elmas Topcu

Von Elmas Topcu

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir war absolut nicht in Feierlaune. Nach dem Wahlsieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zeigte er sich enttäuscht und forderte von der Bundesregierung eine Zeitenwende in der Türkei-Politik. "Wir haben im Umgang mit Putin gesehen, wozu das führt, wenn man sich eine Situation schönredet", erklärte der Grünen-Politiker mit türkischen Wurzeln. Er warnte vor einer Zunahme des türkischen Nationalismus und des Fundamentalismus in Deutschland.

Kritik übte der Minister außerdem an den Deutschtürken, die Erdogans Sieg auf deutschen Straßen laut und ausgiebig feierten. "Die hupen, weil jemand eine Wahl gewonnen hat, der das Land in eine Art offenes Gefängnis verwandelt, während sie hier gleichzeitig die Vorzüge einer liberalen Demokratie genießen", kritisierte Özdemir.

Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) hingegen warnte vor einem generellen Bashing türkeistämmiger Wähler in Deutschland. Im Interview mit der Deutschen Welle (DW) sagte er, dass in Deutschland insgesamt rund drei Millionen Türken leben. Von diesen hätten rund 500.000 Erdogan gewählt. Gemessen an der Gesamtzahl der Deutschtürken seien das ja nur rund 17 Prozent.

Wahllokal auf dem Gelände des türkischen Generalkonsulats in Köln; Foto: Tuncay Yildirim/DW
Wahllokal im türkischen Generalkonsulat in Köln: Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums teilte auf Anfrage der Deutschen Welle mit: "Die türkische Regierung setzt auf eine langfristig geplante Diasporapolitik, um Einfluss auf die türkische Diaspora und türkeistämmige Deutsche in Deutschland auszuüben.“ Diese Bemühungen würden sowohl von türkischen Auslandsvertretungen in Deutschland als auch von regierungsnahen Organisationen und Personenzusammenschlüssen mit unterschiedlich starker struktureller Anbindung an Ankara ausgehen.



Widerspruch kommt von Kemal Bozay, Professor am Zentrum für Radikalisierungsforschung und Prävention an der Internationalen Hochschule Köln. Fakt bleibe, dass mehr als 65 Prozent der Wahlberechtigten, die an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen teilgenommen haben, Erdogan und seine Volksallianz gewählt hätten. 

Bozay fügt hinzu, ein Teil der Wähler habe bei den Parlamentswahlen auch für die ultranationalistische Partei MHP gestimmt. Die MHP ist ein wichtiger Verbündeter Erdogans. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist sie die Urorganisation der rechtsnationalistischen Grauen Wölfe.

Für Bozay darf auch nicht ausgeblendet werden, dass der konservativ-nationalistische und extremreligiöse Einfluss unter den Türkeistämmigen zunimmt. Seiner Meinung nach tragen Organisationen wie die Union Internationaler Demokraten (UID), eine Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), die Islamische Gemeinschaft Millî Görüs (IGMG) und die Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine (ADÜTDF),  die als "Graue-Wölfe-Gruppe" angesehen wird, dazu bei, dass dieser Einfluss sich weiter verstärkt.

Desintegrationspolitik im Auftrag der AKP

Die UID wurde 2004 als Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP in Köln gegründet. Mittlerweile ist sie der größte regierungsnahe Interessenverband, der intensiv für die gegenwärtige türkische Politik wirbt und Einfluss auf Meinungsbildung der türkischen Community zu nehmen versucht. Ihr Hauptsitz befindet sich in Köln, bundesweit hat sie laut Bundesverfassungsschutz 15 Regionalverbände, denen jeweils mehrere Ortsvereine angehören.



Dass solche Dachverbände und Organisationen als Basis für den AKP-Wahlkampf fungieren, sei eigentlich kein Problem, meint der Experte Bozay. Problematisch findet er, wenn in diesem Wahlkampf extrem rechte, ultranationalistische und extremreligiöse Positionen verbreitet und demokratiefeindliche Einstellungen propagiert werden.

Gläubige in der Ditib-Zentralmoschee in Köln; Foto: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/picture alliance
Moscheeverband DITIB: Werbung für Erdogan? Der größte muslimische Verband weist die Anschuldigungen zurück. Die Organisation dulde keine Wahlkampfveranstaltungen und Werbung für Parteien in ihren Gemeinden. Wenn diese allerdings den Eingang von DITIB-Einrichtungen als Treffpunkt für Shuttleservices angeben, um die Wähler zu den Wahlurnen zu bringen, habe die DITIB keinen Einfluss darauf. Zur Regierungspropaganda mancher Imame hingegen nahm die DITIB keine Stellung.



Mit rund einer Million Menschen lebt die größte türkische Community in Nordrhein-Westfalen. Diese stellt laut Landesamt für Verfassungsschutz ein erhebliches Mobilisierungs- und Wählerpotenzial dar. Dem werde durch eine oftmals desintegrative türkische Diasporapolitik Rechnung getragen.

Ein wesentlicher Teil dieser Politik bestehe laut Behörde darin, fortwährend und über viele unterschiedliche Kanäle auf vermeintliche oder tatsächliche Fälle von Rassismus, Islamophobie und Türkei-Feindlichkeit der deutschen Gesellschaft und des deutschen Staates hinzuweisen. Demgegenüber würden die Wertschätzung und hohe Bedeutung der in Deutschland lebenden Community für die türkische Regierung herausgestellt. Um Türkeistämmige zu erreichen und eng an die Türkei zu binden, verbreiteten diese Organisationen die Narrative der türkischen Regierung.  

Ein Blick in die Social Media-Kanäle der UID führt vor Augen, was damit gemeint ist. In einem Video, aufgenommen vor dem Präsidentenpalast Erdogans in Ankara, hielt der UID-Vorsitzende Köksal Kus eine Rede vor einer großen Gruppe offenbar aus dem Ausland angereister Menschen. In Europa sei es nicht einfach, AKP- und Erdogan-Anhänger zu sein, sagte Kus. "Dennoch habt ihr gezeigt, dass ihr Erdogans stolze Soldaten seid".



Beifall und Gott-ist-groß-Rufe begleiten die Euphorie. Er fuhr fort: "Bei beiden Wahlgängen habt ihr eine hervorragende Leistung vollbracht. Dieses Heldenepos haben wir gemeinsam geschrieben." Dann marschiert die Gruppe Richtung Palasteingang. Einer gibt den Takt vor: "Auf wessen Seite stehen die Auslandstürken? " rief einer laut, "Auf der Seite des Anführers!", hallt die Antwort zurück.

Nach eigenen Angaben hat die UID den Wahlkampf mit dem AKP-Koordinationszentrum für Auslandswahlen zusammen geführt. Seit einem Jahr hätten sie gemeinsam weltweit in 180 Regionen 750 Vertretungen gebildet, 15.000 Wahlhelfer und mehr als 30.000 Freiwillige für den Wahlkampf mobilisiert.  

Fotos belegen, dass diese Hausbesuche durchgeführt, Broschüren und Geschenke verteilt und die Wähler zu Wahllokalen gefahren haben. Die UID-Vertreter besuchten auch die Wahllokale. Am Wahlabend schauten sie bei der Auszählung in Ankara den Helfern über die Schulter. 

Eine Wahlhelferin der Opposition aus Deutschland erzählt, dass sie diese Visiten zahlreicher UID-Vertreter als äußerst unangenehm und als Versuche zur Einschüchterung empfunden habe.

Die Rolle der Moscheen    

Seit der Einführung des Stimmrechts von Auslandstürken geraten auch häufig Moscheevereine in die Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, Wahlkampf für die türkische Regierung zu machen. Auch dieses Mal stehen vor allem die DITIB und die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) im Kreuzfeuer. 


 

Der größte muslimische Dachverband DITIB wies die Anschuldigungen zurück. Die Organisation dulde keine Wahlkampfveranstaltungen und Werbung für Parteien in ihren Gemeinden. Wenn diese allerdings den Eingang von DITIB-Einrichtungen als Treffpunkt für Shuttleservices angeben, um die Wähler zu den Wahlurnen zu bringen, habe die DITIB keinen Einfluss darauf.

Zur Regierungspropaganda mancher Imame hingegen nahm die DITIB keine Stellung. Vor den Wahlen verbreiteten einige Imame, dass ausländische Mächte die Türkei aufteilen wollten. Es sei höchste Zeit, für die Religion, die Religionsbehörde und die türkische Fahne zu kämpfen.

Fast alle Imame, die in türkischen Moscheen eingesetzt werden, sind aus Ankara entsandt. Sie sind türkische Staatsbeamte, die von der Religionsbehörde Diyanet bezahlt werden. Diyanet untersteht direkt dem türkischen Präsidenten Erdogan. Der deutsche Minister Cem Özdemir befürchtet, dass die nächste Generation von Imamen, die nach Deutschland geschickt wird, noch nationalistischer und fundamentalistischer sein könnte. Grund dafür ist, dass Erdogan seine Allianz mit weiteren nationalistischen, islamistischen und antisemitischen Verbündeten ausgeweitet hat.

Extremismusforscher Bozay teilt diese Sorge. "Gerade hier brauchen wir eine aktive Partizipationspolitik, die junge Türkeistämmige abholt und in die gesellschaftlichen Strukturen einbezieht", sagt er. Wichtig sei dabei, dass extrem rechte, islamistische und antisemitische türkische Organisationen hierzulande aus demokratischen Prozessen gedrängt werden. Das sei aber auch nur möglich, wenn die Bundesregierung eine aktive Anerkennungspolitik gestalte und junge Menschen frühzeitig abhole, so Bozay weiter.

Elmas Topcu

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