Tumulte in Ankara: Wenn der Fremdenhass brodelt
Alles begann am Dienstag Abend (10.8.2021) mit einer Fehde zwischen zwei Gruppen Jugendlicher in Altindag - einem Stadtteil in der türkischen Hauptstadt Ankara. Syrische Migranten gerieten mit einer Gruppe von türkischen Einheimischen in eine gewalttätige Auseinandersetzung, bei der zwei Türken mit einem Messer verletzt wurden. Ein paar Stunden später erlag ein 18-jähriger Türke im Krankenhaus seinen Verletzungen.
Das Ereignis setzte eine Welle des Fremdenhasses in Gang, die Ähnlichkeiten mit einem Pogrom hatte: In der Nacht zum Donnerstag strömten in Altindag Hunderte Menschen auf die Straßen, verwüsteten oder brandschatzten Geschäfte, Wohnungen und Autos von syrischen Einwanderern.
Auf dem Nachrichtendienst Twitter ließen sich die unschönen Szenen mitverfolgen. In zahlreichen Videos sieht man einen aufgebrachten Mob, der Eigentum von Syrern verwüstet und dabei ausländerfeindliche Slogans brüllt. Manche Randalierer formen mit der Hand den sogenannten Wolfsgruß - das Symbol der rechtsextremistischen türkischen "Ülkücü"-Bewegung, auch als "Graue Wölfe" bezeichnet.
Währenddessen verbreiteten sich in den sozialen Netzwerken unter Hashtags wie "Wir wollen keine Syrer", "Wir wollen keine Afghanen" oder "Die Türkei den Türken" etliche ausländerfeindliche Posts.
1. Ankara'nın Altındağ ilçesine bağlı Battalgazi ve Önder Mahallelerinde akşam saatlerinde saldırganlar Suriyelilere ait çok sayıda işyerine ve eve saldırdı
Polisin müdahale etmekte yetersiz kaldığı olaylarda Suriyelilere ait dükkanlar yağmalandı pic.twitter.com/al4Jvr7H2w— DW Türkçe (@dw_turkce) August 11, 2021
Schlechte Wirtschaft: ein Brandbeschleuniger
Während Millionen von Flüchtlingen und Migranten lange Zeit von der türkischen Regierung und der Bevölkerung toleriert wurden, kippte in den vergangenen Jahren die Stimmung. Ein Hauptgrund für die zunehmenden Anfeindungen gegenüber Migranten ist, dass sich die Türkei seit Herbst 2018 in einer anhaltenden Währungs- und Wirtschaftskrise befindet. Die Existenzängste und Verteilungskämpfe haben in der türkischen Gesellschaft durch die schlechte Lage zugenommen.
Für die Soziologin Ulas Sunata kamen die ausländerfeindlichen Tumulte in Ankara alles andere als überraschend und seien nicht nur der schlechten Wirtschaftslage zuzuschreiben. "Die Spannungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen wurden nie eingedämmt. In der Einwanderungspolitik sind viele Fehler passiert. Sie war intransparent und schlecht kommuniziert."
Sunata geht davon aus, dass sich die Anfeindungen weiter hochschaukeln werden. Dem habe auch die Politik Vorschub geleistet, indem sie stets betont habe, dass man die Einwanderer bald wieder zurückschicke, mahnt Sunata. Auch der Präsident des Recherchezentrums für Asyl und Einwanderung (IGAM) Metin Corabatir hält die scharfe Rhetorik der Politik für mitverantwortlich. Immer wieder habe man betont, dass man die Flüchtlinge bald zurückschicken wolle. "Man schielt bereits jetzt auf die Wahlen im Jahr 2023".
Politik verspricht Abschiebungen
Gemeint ist vor allem die größte Oppositionspartei CHP, die ihre Rhetorik gegen Flüchtlinge in der jüngsten Vergangenheit verschärft hat. CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu hatte erklärt, dass er alle Flüchtlinge in ihr Herkunftsland zurückschicken werde, sollte seine Partei an die Macht kommen.
Es befinden sich schätzungsweise 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge und Migranten in der Türkei - hinzu kommen afghanische Flüchtlinge, die in häufigen Fällen vor der radikal-islamischen Miliz Taliban geflohen sind. Hunderttausende leben illegal in der Türkei - schlecht bezahlt und ohne Zugang zum Gesundheitssystem.
Sorgen die Taliban für Masseneinwanderung?
Nachdem die NATO-Truppen sich zuletzt aus Afghanistan zurückgezogen haben, gelang es den Taliban große Teile des Landes von der Zentralregierung zurückzuerobern. Viele in der türkischen Bevölkerung befürchten nun, dass die Türkei zukünftig eine weitere Einwanderungswelle erwartet. Hinzu kommt, dass sich die türkische Regierung gegenüber Washington als Schutzmacht gegenüber der Zivilbevölkerung ins Spiel gebracht hat. Erdogan plant etwa, Kabuls Flughafen "Hamid Karzai" mit türkischen Soldaten abzusichern.
Offensichtlich nimmt Washington dieses Angebot gerne an: Letzte Woche kündigte das US-Außenministerium einen Flüchtlingsaktionsplan für diejenigen Afghanen an, die mit Washington kooperiert haben und daher von den Taliban verfolgt werden könnten. In dem Programm ist die Türkei als vorübergehendes Umsiedlungsland vorgesehen.
Angesichts des massiven Fremdenhasses, der letzten Nacht in Ankara aufflammte, stellt sich jedoch die Frage, wie sicher ein Aufenthalt in der Türkei für die afghanischen Flüchtlinge ist.
© Deutsche Welle 2021
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