Strategie der Konflikteskalation

Seit vergangenem Juli stellt die DTP zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei eine pro-kurdische Fraktion im Parlament. Wegen ihrer politischen Nähe zur PKK droht der Partei nun das Aus.

Von Antje Bauer

​​Es wirkt wie eine Rückfall in frühere schlechte Zeiten: Der türkische Generalstaatsanwalt hat ein Verbot der Kurdenpartei DTP ("Partei für eine demokratische Gesellschaft") beantragt, weil sie der legale Arm der bewaffneten PKK sei. Zudem soll Klage gegen zahlreiche ihrer Mitglieder erhoben werden.

Abstruse Begründung im Verbotsantrag

Die Begründungen für das Parteiverbot wirken zum Teil abstrus: Der Generalstaatsanwalt führt unter anderem an, dass eines der DTP-Führungsmitglieder angeblich einen Brief in kurdischer Sprache an Premierminister Erdogan geschickt habe.

Gegen den Parteivorsitzenden Nurettin Demirtas wurde wegen Verunglimpfung der Streitkräfte Anklage erhoben, weil er eine Erklärung verlesen hatte, wonach der Weg zum Frieden durch die derzeitigen militärischen Operationen im Kurdengebiet zerstört werde.

Gleichzeitig rühren die Militärs die Kriegstrommeln – mit Unterstützung der Medien sowie der großen Oppositionsparteien, die erneut die nationale Einheit der Türkei in Gefahr sehen. Die Militärs werden nicht müde zu betonen, dass sie für den Einmarsch in den Irak gut gerüstet seien, um die dortigen PKK-Lager zu vernichten.

Dabei ist in den ohnehin schon unwegsamen Kurdengebieten inzwischen Schnee gefallen, und bisherige Einmärsche im Irak haben bislang der PKK auch nicht ernsthaft schaden können.

Verschärfung des Konfliktes durch die PKK

Die PKK wiederum beteiligt sich an der Verschärfung des Konflikts, obgleich sie einige Jahre stillgehalten hatte, indem sie in den letzten Monaten verstärkt türkische Rekruten tötete.

Und die Kurdenpartei, gefangen zwischen der Sympathie mit der PKK einerseits und dem Wunsch nach ziviler Politik andererseits, schürt das Feuer, indem sie sich kürzlich eine neue Führung gab, die für ihre Nähe zur PKK bekannt ist.

Bleibt also alles beim Alten? Nicht ganz. Denn anders als ihre Vorgängerregierung ist die AKP ("Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung") von Premierminister Recep Tayyip Erdogan nicht gerade begeistert von der Idee, in den Irak einzumarschieren.

Bereits vor Wochen hat sie für die grenzüberschreitende Operation das Plazet seitens des Parlaments erhalten, und trotzdem hat Erdogan bislang den Marschbefehl nicht erteilt.

Auch lässt er keinen Zweifel daran aufkommen, dass er das Vorhaben des Generalstaatsanwalts, die DTP zu verbieten, durchaus nicht gutheißt. "Wenn wir sie aus dem Parlament jagen, treiben wir sie (zur PKK) in die Berge", erklärte er kürzlich.

Verhaltene Liberalisierung und Demokratisierung

Die Abneigung der AKP-Regierung, dem Kurdenproblem durch Repression zu begegnen, liegt nicht darin begründet, dass die Regierung etwa einen überzeugenden Alternativplan zur Lösung des Problems hätte – den hat sie offenbar nicht.

Die Regierung weiß jedoch genau, dass der jetzt wieder aufflammende Kurdenkonflikt über ihr politisches Überleben oder doch zumindest ihre Handlungsfähigkeit entscheiden wird.

Im Rahmen der Anpassung an die EU-Gesetze hat die AKP-Regierung in den letzten Jahren eine Liberalisierungs- und vorsichtige Demokratisierungspolitik vollzogen, die von den traditionellen Parteien und den Militärs als Bedrohung angesehen wird und den politischen Einfluss des Militärs einschränkt.

Im letzten Frühjahr hatten die Militärs deshalb mit ihren Putschdrohungen eine Konfliktstrategie eingeläutet, um die Wähler einzuschüchtern, damit sie der AKP bei den Parlamentswahlen eine Abfuhr erteilten. Doch dieser Schuss ging nach hinten los: Die AKP trug einen haushohen Sieg davon.

In gewisser Weise ist die jetzige Panikmache um die nationale Einheit eine gezielte Fortsetzung dieser Strategie vom Frühjahr. Mit Hilfe des Kurdenkonflikts können die traditionellen Parteien ihre Vaterlandsliebe und die Militärs ihre Retterrolle unter Beweis stellen.

Konflikteskalation

Und auch der PKK passt es offenbar ins Kalkül, den bewaffneten Konflikt fortzusetzen und sich dadurch auch weiterhin als heldenhafte Verteidigerin des kurdischen Volkes darstellen zu können – auch wenn die Mehrheit dieses kurdischen Volkes bei den letzten Wahlen für die AKP gestimmt hat.

Immerhin gibt es ein paar Dissidentenstimmen aus den scheinbar geschlossenen Reihen der Kurden. In Südostanatolien haben 252 Organisationen einen Aufruf an die PKK gerichtet, in dem die Organisation aufgefordert wird, die Waffen zu niederzulegen.

Auf der anderen Seite des Grabens haben mehrere ehemalige hohe Militärs in letzter Zeit Fehler im Umgang mit den Kurden eingeräumt. Premierminister Erdogan kann Schützenhilfe dringend brauchen.

Antje Bauer

© Qantara.de 2007

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