Wenn Menschenrechte geopfert werden
England unter der Führung von Theresa May ist tief gesunken. Das Land der Magna Carta und der Europäischen Konvention der Menschenrechte degradiert sich unter ihrer Führung zu einem prinzipienlosen Staat, der auf die Herrschaft des Rechts pfeift. Die Ankündigung von Frau May, die Gesetze, die die Menschenrechte schützen, zu ändern, um so dem islamistischen Terror beizukommen, ist ein Schuss ins eigene Knie.
Unter dem Vorwand, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu bringen, hat sich das Vereinigte Königreich vor 15 Jahren an dem von den USA geführten, illegitimen Krieg im Irak beteiligt. Die Destabilisierung der Region, in der heute mit dem IS die größte Ansammlung an selbst ernannten Gotteskriegern ihr Unwesen treibt, beginnt mit diesem Krieg. Nun möchte man in England von den Werten und Überzeugungen, die man damals den Irakern bringen wollte, selbst nichts mehr wissen?
Die Sprache, die Frau May wenige Tage vor der Wahl in England gewählt hat, ist verstörend: die Menschenrechte werden nicht per Gesetz festgestellt. Sie sind, so ist die Vorstellung der abendländischen Aufklärung, dem Menschen schon immer zu eigen. Die staatliche Gewalt, so formuliert es das deutsche Grundgesetz, verpflichtet sich mit all ihrem Tun, der menschlichen Würde, aus der diese Rechte fließen, zu schützen. Der Staat gewährt oder entzieht nicht die Menschenwürde. Wenn ein Staat den Menschenrechten nicht mehr die Geltung zukommen lassen will, die sie aufgrund der Würde jedes Menschen haben, ist das nichts anderes als ein Rückfall in vor-aufklärerische Barbarei.
Den Terroristen in die Hände spielen
Getroffen werden sollen so die islamistischen Terroristen. In Wahrheit wird ein solches Unterfangen sehr, sehr schnell randunscharf. Das Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten mehrheitlich muslimischen Ländern, wie es Donald Trump durchsetzen will, belegt dies. Der Schuss ins Knie ist die Kollektivverurteilung einer ganzen Religionsgemeinschaft beziehungsweise der Menschen, die ihr anhangen.
Damit wird zum einen das Vertrauen der Bürger in die freiheitliche Grundordnung unterminiert, zum anderen wird den Terroristen Wasser auf die Mühlen geleitet. Sie können nun die Behauptung, dass der Westen den Islam und die Muslime allesamt hasse, mit Aussagen der britischen Premierministerin unterfüttern. Die Sippenhaft ist eine archaische, grausame Form der Vergeltung. Das Alte Testament lehnt sie bereits in dem bekannten und sprichwörtlich gewordenen Diktum "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ab.
Im Kontext der islamistischen Terrorattacken in Europa kommt hinzu, dass die Sippenhaft ganzer Bevölkerungsgruppen und ihre Bespitzelung mit immer neuen und raffinierteren Überwachungsmaßnahmen nie nötig und zielführend war: die meisten der Terroristen waren den Behörden als Gefährder bekannt. Ermittlungsfehler, Pannen, nicht ausgeschöpfte, bereits existierende rechtliche Möglichkeiten. Die Liste der Versäumnisse ist lang.
Der französische Religionsphilosoph René Girard beschreibt in seiner Sündenbock-Theorie diesen Mechanismus: um vom eigenen Versäumen abzulenken werden Minderheiten als Verantwortliche für die gegenwärtigen Probleme herausgepickt. So werden Juden, Homosexuelle, Muslime in der gegenwärtigen Zeit zum Sündenbock gemacht.
Glaubwürdigkeit westlicher Werte steht auf dem Spiel
Die echten Probleme werden so natürlich nicht angegangen, ganz im Gegenteil. Es kann nämlich nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass Muslime selbst die zahlenmäßig größte Opfergruppe islamistischen Terrors ist.
Der Rechtsstaat soll und muss sie daher genauso schützen wie jeden anderen Bürger auch. Macht er sich die Mühe nicht, zwischen Terroristen und Bürgern zu unterscheiden, wird er selbst Komplize der Steinzeit-Religiösen, die ja ihrerseits die Welt mit einer simplen "die gegen uns" plagen. Immer wieder nähren Politiker wie Theresa May mit ihrer Rhetorik den Verdacht, dass Muslime selbst verantwortlich seien für das, was ihnen widerfährt, da sie sich selbst nicht ausreichend und genug vom Terror im Namen ihrer Religion distanzierten.
Dabei ist der islamistische Terror des IS schon im Jahr 2014 in Bausch und Bogen von über 120 islamischen Gelehrten aus der Diaspora und islamisch geprägten Ländern gleichermaßen verurteilt und als un-islamisch zurück gewiesen worden. So wie von Muslimen Distanzierung von Terror im Namen des Islam gefordert werden kann und darf, haben umgekehrt Muslime das Recht zu fordern, sich von solchen Äußerungen wie der von Theresa May zu distanzieren, wenn der Eindruck entsteht, die freiheitlichen Mehrheitsgesellschaften des Westens würden es ihren erklärten Überzeugungen bewusst zu wider handeln.
Nun steht in der Tat die Glaubwürdigkeit unserer Werte auf dem Spiel. Die Wählerinnen und Wähler in Großbritannien haben Frau May am 8. Juni erst einmal ausgebremst. Forderungen wie die von Frau May wird die Öffentlichkeit aber nicht zum letzten Mal gehört haben.
Alexander Görlach
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