Abbas im Abseits?
Heute will der palästinensische Präsident Mahmud Abbas vor die Generalversammlung der Vereinten Nationen treten und eine Aufwertung des Status von Palästina erbitten. Eine breite Mehrheit ist sicher. Palästina würde zwar nicht als UN-Mitglied aufgenommen, weil dazu ein einstimmiges Votum des Sicherheitsrates nötig wäre.
Aber die Aufwertung würde immerhin den Status eines "beobachtenden Nichtmitgliedstaats" mit sich bringen, ähnlich dem des Vatikans oder früher der Schweiz. Die Palästinenser hoffen, dadurch auch die Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof und anderen internationalen Institutionen beantragen zu können.
Die Abstimmung kommt nun zu einem schwierigen Zeitpunkt, nämlich gut eine Woche nach dem Ende des Gazakrieges. Israel und die USA hatten Abbas schon seit geraumer Zeit davon zu überzeugen versucht, den Antrag vor den UN ein weiteres Mal zu verschieben. Noch in letzter Minute bemühten sie sich, zumindest die Möglichkeit einer zukünftigen Anklage Israels vor dem Internationalen Strafgerichtshof auszuschließen.
Geschwächte Autonomiebehörde
Israel hatte für den Fall eines Antrags harte Gegenmaßnahmen angekündigt, darunter die Einbehaltung von Steuereinnahmen, die der palästinensischen Regierung zustehen, und den Entzug von Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser in Israel. Die USA drohen nicht nur sämtliche Finanzhilfen an die Palästinenser einzustellen, sondern auch Beiträge an die Vereinten Nationen einzubehalten.
Ob dies wirklich geschieht, ist unklar. Mittlerweile ist offensichtlich, wie schwach die Palästinensische Autonomiebehörde und Abbas wirklich sind. Ein endgültiger Zusammenbruch der Verwaltung im Westjordanland scheint nicht ausgeschlossen, wenn die Unterstützung eingestellt würde.
Die USA begründen ihre Drohungen mit dem Verweis auf das "unilaterale" Handeln der Palästinenser. Aber über Monate gab es keine Verhandlungen, Abbas wartete vergeblich auf ein Entgegenkommen Israels in der Frage des Siedlungsstopps. Stattdessen bekam er Schmähungen zu hören wie jene von Außenminister Avigdor Lieberman, der ihn – wie einst Ariel Scharon Arafat – das "Haupthindernis zum Frieden" nannte.
Palästinenserpräsident unter Druck
Dabei ist Abbas innerpalästinensisch gerade aufgrund seiner konzilianten Haltung gegenüber Israel unter Druck. Er kann seinen Landsleuten nur wenige Erfolge vorweisen, obwohl er stets seine Verhandlungsbereitschaft deutlich machte.
In einem Fernsehinterview mit einem israelischen Sender verzichtete er jüngst sogar auf das vielen Palästinensern heilige "Rückkehrrecht". Die meisten Palästinenser haben die Hoffnung auf die Errichtung eines eigenen Staates in den nächsten Jahren laut Umfragen längst verloren.
Durch den jüngsten Krieg, in dem die Hamas ihren bewaffneten "Widerstand" gegen Israel feierte, ist Abbas zusätzlich marginalisiert. Trotz zahlreicher Aufforderungen, etwa seitens des in Israel inhaftierten Fatah-Führers Marwan Barghuti, verweigerte er einen Solidaritätsbesuch in Gaza.
Während der ägyptische Präsident Mohammed Mursi im Zentrum der Verhandlungen mit der Hamas, Israel und den Außenministern der gesamten arabischen Welt stand, wirkten die Besuche von Hillary Clinton und UN-Chef Ban Ki Moon bei Abbas wie Gnadenakte für einen einsamen Palästinenserpräsidenten.
Die UN-Initiative, letztes Jahr von den Palästinensern noch in Massenkundgebungen gefeiert, droht nun fast unterzugehen. Aber für Abbas gibt es kein Zurück. Zu oft hat er bereits US-Druck nachgegeben, zu klar hatte er sich auf die Initiative festgelegt. Dies nicht zu tun, käme nun politischem Selbstmord gleich.
Bereitschaft zu Friedensgesprächen
Fraglich bleibt, warum in erster Linie die USA und auch Israel den UN-Antrag so bitterlich bekämpften, als schlüge er die Abschaffung des Staates Israel vor. Dabei handelt es sich bei der Resolution um einen konstruktiven, überaus moderaten Text.
Abbas und andere führende palästinensische Politiker haben deutlich gemacht, dass sie am Tag nach der Abstimmung zu Friedensgesprächen bereit sind – obwohl Premier Benjamin Netanjahu sogar den Ausbau neuer Wohneinheiten in den israelischen Siedlungen angekündigt hat.
Statt die UN-Initiative zu verteufeln, wäre es sinnvoll, sie als positiven Schritt der palästinensischen Regierung zu würdigen. Denn schließlich ist es der Versuch, trotz der verfahrenen Lage politisch und friedlich zu agieren.
Nun droht die Gefahr, dass Abbas mit einer diplomatischen Initiative vor den Vereinten Nationen weniger erreicht als die Hamas mit ihrem Raketenbeschuss auf Zivilisten. Die Hamas konnte die Bedingungen des Waffenstillstands diktieren, sie präsentiert sich als Sieger im Konflikt mit Israel.
Niemand kann von den Palästinenserinnen und Palästinensern erwarten, dass sie bis in alle Ewigkeit auf einen eigenen Staat hoffen, während Israels Rechtsregierung Fakten durch den Siedlungsausbau schafft. Die von Netanjahu dieses Jahr eingesetzte Levy-Kommission kam gar zu dem Ergebnis, man könne weder Israels Präsenz im Westjordanland als Besatzung bezeichnen, noch seien die dort errichteten Siedlungen völkerrechtswidrig.
"Ja" zu Palästina
Deutschland und die gesamte EU sollten geschlossen und entschieden "Ja" zu der palästinensischen Initiative sagen. Die EU kritisiert den israelischen Siedlungsbau und fördert den Staatsaufbau Palästinas mit Milliardenbeträgen. Internationale Institutionen wie die Weltbank haben in der Vergangenheit längst bestätigt, dass Palästina die wesentlichen Voraussetzungen für Staatlichkeit erfüllt.
Abbas stärken zu wollen ist eigentlich Konsens. Frankreich hat daher noch vor der Abstimmung erklärt, den palästinensischen Antrag zu unterstützen. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle haben hingegen versucht, Abbas noch in letzter Minute von einer Verschiebung des Antrags zu überzeugen.
Das wäre ein katastrophales Signal gewesen. Die deutsche Enthaltung bei der Zustimmung in der Generalversammlung ist kontraproduktiv – für die politische Zukunft von Abbas, die Staatlichkeit Palästinas und für den Frieden im Nahen Osten.
René Wildangel
© Qantara.de 2012
Dr. René Wildangel ist Nahosthistoriker und leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de