Liebesbriefe an Bagdad

"Underexposure" – Unterbelichtung heißt der erste Film, der nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak entstanden ist. Über einen Film, der den Ausnahmezustand und die Angst darzustellen versucht.

Von Silke Kettelhake

​​"Wir hassten Saddam", sagt Regisseur Oday Rasheed, Jahrgang 1973, "aber wir sind noch immer nicht fähig, uns zu freuen, dass er fort ist."

Als ersten irakischen Film, der nach Ende des letzten Golfkriegs zwischen November 2003 und April 2004 entstanden ist – so verkauft der Verleih Oday Rasheeds Film "Underexposure" in Deutschland. Angeblich, so heißt es im Presseheft, hat er auf dem Schwarzmarkt dreißig Jahre altes Kodak-35mm-Material aus den Archiven Saddams ergattert, aus dem Giftschrank des Bösen schlechthin also.

Tom Tykwer und Maria Köpf von X-Filme Creative Pool unterstützten das Projekt, und schon legte Rasheed den Film in die Kamera - ohne vorher zu überprüfen, so die Vertriebssaga, ob das Material aus den Pfründen des Ministeriums für Kultur überhaupt noch brauchbar ist.

1983 stellte Kodak die Produktion von Filmmaterial ein, gab Rasheed aber den Tipp, den Film in der Kamera unterzubelichten, daher der Titel "Underexposure". Wagnis, Wahnsinn oder nur ein geschickter Verkaufstrick aus der Simsalabim-Zauberkiste?

Oday Rasheed erklärt: "Ich habe mich vor allem mit den Reaktionen der Menschen auseinander gesetzt. Denn an ihnen allein kann man erkennen, was Krieg auslöst. Und natürlich hat die Sprache der Medien und Nachrichten in diesem Film nichts zu suchen. Ich habe gefühlvolle, poetische Bilder für meinen Film gewählt, weil ich so denke und so lebe."

Ein Tagebuch als Film

Filmemacher Hassan, unschwer zu erkennendes Alter Ego des Regisseurs, beschließt nach den amerikanischen Angriffen auf Bagdad, das Leben seiner Freunde und Nachbarn filmisch zu dokumentieren. "Zweifel am Überleben" notiert er in sein Tagebuch, und sicherlich mögen dort seine intimen Geständnisse gut aufgehoben sein. Ein Tagebuch klappt man zu und versteckt es in der Schublade.

Doch Rasheed dreht einen Film. Und übernimmt mit dem Verkaufsargument des ersten filmischen Statements aus dem Irak eine Verantwortung, der er sich in selbstverliebter Nabelschau entzieht: Zwischen recht zweifelhaften Zeugenaussagen, die belegen sollen, wie die EinwohnerInnen den Krieg ertrugen, führt er sein Privatleben vor – Szenen einer Ehe, die sicherlich schon einmal von besseren Schauspielern getragen wurden – oder filmt mit seinem Team brennende Autos.

Große Jungs spielen Dreharbeiten. Regisseur Hassan agiert wie erstarrt – der Krieg verfolgt ihn wie ein Gespenst, und doch kann er ihn nicht darstellen: "Ich weiß nicht mehr, was ich filmen soll", sagt er in der Mitte des Films. Er findet keine Worte, keine Bilder, es gibt sie nicht mehr, nur noch die innere Leere, die Leere um ihn herum.

Doch der Ausnahmezustand, die Angst, sie sind präsent in den Gesichtern der Laiendarsteller, es ist, als würden sie sich nicht trauen, laut durchzuatmen – doch im Film sagen sie ihren Text auf, ohne eigentlich zu Wort zu kommen.

Vergisst man den Film im Film, die aufdringlich penetrante Selbstreflektion des Regisseurs ohne Ideen, dann bleiben belebte Straßenkreuzungen in der Innenstadt, das träge Strömen des Flusses, Kinder in zerstörten Nebenstraßen, brennende Autowracks, Ruinen, Müll und dazwischen der verrückte Plastiktütensammler, der kranke Musiker, der alte Mann, der sein Ohr fest ans Radio drückt, die verängstigte Frau, die heimlich einen verwundeten Soldaten pflegt, dann bleibt eine Ahnung davon, wie sich das Leben wohl anfühlen mag.

Bagdad braucht mehr Licht!

Rasheed taucht das Geschehen durchgehend in ein diffuses Sonnenuntergangslicht. Weg mit dem Filter vor der Kameralinse, her mit einem heftigen Gewitter, das mit einem Knall Licht und Klarheit in die weiche Milchigkeit bringt! Bagdad braucht mehr Licht!

Die stärksten Momente zeigt "Underexposure" in Bildern, die an die stummen, ungeschnittenen Übertragungssequenzen von "Euronews" erinnern; die Bilder hinter den überall gleichen Nachrichtenschnipseln: Wenn endlich die holprigen Monologe schweigen, bei einer Fahrt durch das zerstörte Bagdad, in dessen Straßenschluchten immer noch das Versprechen der Metropole wohnt: Hier wird wieder das Leben vibrieren, auch wenn die Stadt zurzeit ein Synonym für Selbstmordattentate ist.

"Ich bin ein Araber, ein Muslim und ich lebte unter Saddam. Das sind genügend Gründe, um das Denken wie in einem festen Gefängnis einzumauern. Es ist, als wenn das Land über dreißig Jahre eingeschlossen gewesen wäre, wir blinzeln immer noch ungläubig ins Sonnenlicht."

Rasheed gehört zu einer Künstlergruppe namens "Al-Najeen", die "Überlebenden", einer Lost Generation, die, mehr als ein Jahrzehnt von den Entwicklungen der Moderne abgeschnitten dank Saddam und der UN-Sanktionen, jetzt ihre ersten vorsichtigen Schritte wagt.

Unter dem Baath-Regime wurde er aus der staatlichen Filmschule gefeuert, seine Karriere machte er im Underground, sprich seine Filme kursierten nur unter Freunden.

Rasheed: "Nach dem Krieg schrieen alle, die neuen Politiker und die Medien: Baut den Irak wieder auf. Was meint ihr denn, sprecht ihr über die zerstörten Häuser und Bäume? Ihr müsst den Geist, die Seele und das Bewusstsein des Irak wieder aufbauen!"

Silke Kettelhake

© Qantara.de 2005

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