Trumps möglicher Abgang hält arabische Autokraten in Atem

Der Sieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden bei den anstehenden US-Wahlen würde auch für die arabische Welt eine Wende bedeuten. Von einer neuen amerikanischen Nahostpolitik wären allen voran die Herrscher von Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emirate betroffen. Ein Kommentar des ägyptischen Politikwissenschaftlers Taqadum Al-Khatib

Von Taqadum al-Khatib

Noch nie haben die USA erlebt, wie ein Präsident auf politischer, moralischer und professioneller Ebene derart versagt hat wie Donald Trump.

Der Mann zockt in der Politik wie ein Makler an der Börse: Ohne politische Logik wütet er auf dem internationalen Spielfeld. Er handelt ohne Verständnis für die bedeutende Rolle seines Landes in der Weltgemeinschaft und die Prinzipien von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten.

Mit seiner Anti-Establishment-Haltung stand Trump stets etwas abseits der alteingesessenen Parteien von Demokraten und Republikanern. Sein Hintergrund als politischer Quereinsteiger und die Art, wie er ins Präsidentenamt kam, lassen sich als Symptom der inneren Führungskrise in den USA deuten.

Seit seinem Machtantritt in 2016 hat sich die Welt verändert. Die extreme Rechte ist stärker geworden und schöpft Kraft aus Trumps rassistisch eingefärbten Reden. Auch die Lage im Nahen Osten hat sich seither zugespitzt.

Trump verstieß an unzähligen Stellen gegen Konventionen, die seit Jahrzehnten fest zum allgemeinen politischen und diplomatischen Repertoire gehörten.

Mit seiner Unterstützung des Embargos gegen Qatar hat er die Spannungen am Golf noch verstärkt.

Donald Trump und Mohammed Bin Salman beim G20 Gipfel in Japan (Foto: Reuters/Courtesy of Saudi Royal Court/B. Algaloud)
Trumps Freibrief an die Autokraten der arabischen Welt: „Mit seiner Unterstützung des Embargos gegen Qatar trug er zur Verkomplizierung der Lage am Golf bei. Er legte den autoritären Regimen der Region und Brandstiftern für Kriege und Zerstörung, keinerlei Zügel an, ließ sie gewähren bei der Tötung und Inhaftierung von zahlreichen Oppositionellen. Er bot ihnen die politische Rückendeckung, die sie brauchten, um vor den Augen der Welt all diese Verbrechen zu begehen ohne Konsequenzen fürchten zu müssen“, meint Taqadum Al-Khatib.

Er gab autoritären Regimen in der Region grünes Licht für Krieg und Zerstörung und ließ sie bei der Tötung und Inhaftierung von Oppositionellen gewähren. Er bot ihnen die politische Rückendeckung, die sie brauchten, um vor den Augen der Welt all diese Verbrechen zu begehen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul oder der Krieg im Jemen illustrieren die fatalen Folgen einer makabren Allianz zwischen Trump und den repressiven Staaten in der arabischen Welt.

Trumps Haltung öffnete Repression, Mord und massiven Menschenrechtsverletzungen in der Region Tür und Tor, da die Verantwortlichen mit keinerlei Konsequenzen seitens der USA oder ihrer Verbündeten zu rechnen hatten.

Diese Situation haben sich die repressiven Regime zu Nutzen gemacht und ihre Macht ausgebaut: Sie ließen ihre Sicherheitsapparate hart und gnadenlos durchgreifen, zerschlugen alle Ansätze rechtsstaatlicher Ordnung in ihren Ländern und änderten die Verfassungen, um länger an der Macht bleiben zu können. Auf diesem Weg hat sich der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Option gesichert, bis 2030 an der Macht zu bleiben.Demokratie und Menschenrechte neu auf der Tagesordnung?

Nun, da die US-Wahl vor der Tür steht, sind die autoritären Machthaber in Sorge. Laut Umfragen liegt der Kandidat der Demokraten, Joe Biden, deutlich vor Trump. Die Möglichkeit, dass Biden den aktuellen Präsidenten ablöst, rückt somit in greifbare Nähe. Wenn dieser Fall eintritt, werden sich die politischen Spielregeln im Nahen Osten grundlegend ändern.

Denn mit dem Sieg Joe Bidens würden die Menschenrechte wieder auf die Tagesordnung kommen und das könnte zu einer realen Gefahr für die autoritären Regime im Nahen Osten werden.

 

As President, I will see to it that America once again stands for human rights. That doesn't mean rights only for some, but rights for all — each and every American, and every person, everywhere. No exceptions. https://t.co/fxULEFsp3O

— Joe Biden (@JoeBiden) July 18, 2020

 

Etwa für den ägyptischen Präsidenten al-Sisi, der die Menschenrechte seit seinem Amtsantritt 2014 mit Füßen tritt und repressive Herrschaftsstrukturen seither kontinuierlich ausgebaut hat. Zehntausende wurden unter seiner Präsidentschaft hinter Gittern gebracht.

Al-Sisi hat jede Form der öffentlichen Debatte erstickt und den Medien noch den letzten Spielraum genommen. Durch Änderungen an der Verfassung hat er Exekutive und Legislative zunehmend unter staatliche Kontrolle gebracht.

Hinter diesen repressiven Maßnahmen steht al-Sisis persönliche Überzeugung, dass der Freiraum für oppositionelle Kräfte und Menschenrechtsorganisationen in Ägypten vor 2011 zu den Protesten und letztlich zum Sturz des damaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak im Februar 2011 geführt hat.

Eine Wiederholung dieses Szenarios mit allen Mitteln zu verhindern, ist das Hauptmotiv für das politische Handeln von al-Sisi. Gestützt wird er dabei von Donald Trump. Im Gegenzug musste al-Sisi wichtige Zugeständnisse machen und sich auf Trumps Zugang zum Nahen Osten einlassen, vor allem auf den sogenannten „Deal des Jahrhunderts“ zur vermeintlichen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Der Einzug Joe Bidens ins Weiße Haus würde sich zweifellos auf die Politik des ägyptischen Präsidenten auswirken. Er würde international unter Druck geraten, allen voran seitens der USA und ihrer Verbündeten.

Bestimmte Kreise im ägyptischen Staat, die die Situation unter al-Sisi genau beobachten, könnten intervenieren und den Machthaber stürzen. Diese Kräfte müssten aus dem Militärapparat kommen, der derzeit einzigen Institution in Ägypten, die faktisch eine politische Veränderung im Land bewirken könnte.

Angesichts all dessen erscheint das aktuell kursierende Gerücht, dass al-Sisi Trumps Kampagne mit Spenden unterstützt hat, sogar plausibel. Im Gegenzug für diese Unterstützung erhofft sich der ägyptische Präsident Hilfe für seine eigene Wahlkampagne, damit er sich an der Macht halten kann.

Der Preis dafür wären weitere Zugeständnisse an die USA auf Kosten der nationalen Sicherheit Ägyptens und seines Einflusses in der Region, der während al-Sisis Amtszeit ohnehin stark zurückgegangen ist.Saudi-Arabien wappnet sich für die Zeit nach Trump

Ähnlich verhält es sich mit dem Königreich Saudi-Arabien und seinem jetzigen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der den Thron nur besteigen konnte, weil er von Trump protegiert wurde.

Mit Trump im Rücken gelang es Bin Salman, den ehemaligen Kronprinzen Mohammed bin Naif zu verdrängen. Dann installierte er sich selbst gegen den Willen der „Nachfolgekomission“, die mit der Ernennung des Kronprinzen beauftragt ist, auf dem Thron.

Im Anschluss daran ließ Bin Salman seinen Vorgänger und Cousin Mohammed bin Naif verhaften und unter Hausarrest stellen. Dasselbe widerfuhr Prinz Ahmed bin Abdulaziz, einem Onkel Bin Salmans und gleichzeitig sein schärfster Konkurrent im Wettlauf um das Königsamt.

Der ägyptische Publizist und Politikwissenschaftler Taqadum Al-Khatib. Foto: privat
Der ägyptische Publizist und Politikwissenschaftler Taqadum Al-Khatib promovierte an der Princeton University und der Freien Universität Berlin. Er war zuständig für politische Kommunikation in der oppositionellen ägyptischen "Nationalen Vereinigung für Veränderung". Al-Khatib schreibt für arabischsprachige und internationale Zeitungen.

Doch Bin Salmans Maßnahmen zur Konsolidierung seiner Macht endeten nicht mit der Verfolgung seiner Konkurrenten in der Königsfamilie: Er gab auch den Auftrag zur Ermordung des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul. Ein grausames Verbrechen, das die ganze Welt erschütterte.

Dass Bin Salman hier ohne Rücksicht auf internationale Reaktionen handeln und mit dem Mord ungestraft davonkommen konnte, ist unter anderem der politischen Rückendeckung durch Trump zu verdanken, bei dem der Kronprinz weitgehend Narrenfreiheit genießt.

Abu Dhabis Herrscher auf der Anklagebank?

Mit Trumps Niederlage wäre auch die einflussreiche Lobbyarbeit der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und des Kronprinzen von Abu Dhabi, Scheich Mohammed bin Zayed al-Nahyan, in Washington gefährdet. Der einflussreiche Botschafter der Emirate, Yousef al-Otaiba, hat ein Netz von guten Beziehungen in der US-Hauptstadt aufgebaut.

Wegen der angeblichen Einmischung der VAE in die letzte US-Wahl könnte es bei einem Präsidentenwechsel zur Einleitung von Ermittlungen in dieser Causa kommen - mit Bin Zayed auf der Anklagebank.

Nicht nur in Washington, auch in der arabischen Welt würde Kronprinz Bin Zayed an Einfluss einbüßen. Er gilt als der starke Mann seines Landes, hält in den Emiraten die Fäden in der Hand und möchte das kränkelnde Ägypten von seiner Vormachtstellung in der Region ablösen.

Die potenzielle Niederlage Trumps würde einen schmerzhaften Schlag für die Vertreter des autoritären Status quo in der Region bedeuten, die die Proteste des Arabischen Frühlings niedergeschlagen haben. Ebenso würde sie dem jahrelangen Krieg im Jemen ein Ende bereiten.

Seit dem Beginn der Protestbewegungen im Nahen Osten in 2011 haben sich die Machtverhältnisse in der Region verschoben. Die USA haben sich zurückgezogen, dafür hat Russland an Einfluss gewonnen, Syrien sei Dank.

Das hatte den Aufstieg der Regionalmächte Iran und Türkei und die ungebremste Brutalität der autoritären Regime zur Folge.

Mit dem Sieg Joe Bidens würde ein neues Kapitel im Nahen Osten aufgeschlagen. Ein neuer Kurs der US-Außenpolitik im Nahen Osten würde in erster Linie den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi treffen, der angesichts der schwierigen innen- und außenpolitischen Lage Ägyptens nichts Geringeres als die Stabilität seines Regimes zu befürchten hätte.

Taqadum Al-Khatib

© Qantara.de 2020

Aus dem Arabischen von Rowena Richter