Bis an die Zähne bewaffnet
Der Arabische Frühling ist in verschiedenen Ländern der MENA-Region verschieden weit erblüht – eine relative Stabilität herrscht in Tunesien, Libyen und Ägypten, zwar mit Unruhen, aber mit gewählten Regierungen.
In Syrien tobt Bürgerkrieg, und in anderen Ländern wie Bahrain wird Protest unterdrückt. Derweil liefert der Westen massenhaft Waffen und Spionagetechnologie in die Region. Der Journalist Jerry Sommer urteilt, vor allem die USA rüsteten die Region auf, um den Iran als Regionalmacht in Schach zu halten.
Die geopolitischen Kräfteverhältnisse haben sich aus seiner Sicht durch den Arabischen Frühling leicht zu Ungunsten der USA verschoben. Die autoritär regierten Golfstaaten seien mit dem Westen verbündet, unterstützten aber in den Revolutionsländern antiwestliche, religiös-fundamentalistische Kreise.
Die Lieferungen deutscher Rüstungsgüter in die Golfstaaten waren laut Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2012 doppelt so hoch wie im Vorjahr. Allein nach Saudi-Arabien wurde Militärmaterial im Wert von 1,2 Milliarden Euro exportiert. Auch Ausfuhren nach Algerien sind deutlich gestiegen.
Unveränderte Rüstungsdynamik
Marc von Boemcken, Rüstungsexperte am International Center for Conversion (BICC), stellt fest, dass die Rüstungsdynamik in den arabischen Ländern vor und nach den Revolutionen praktisch gleich geblieben sei. Deutschland trage aber mehr denn je zur Aufrüstung in der Region bei. Beispielsweise plane Rheinmetall, 2.000 Panzer in Algerien bauen zu lassen.
Von Boemcken wies Ende Februar bei einer Podiumsdiskussion im BICC auch darauf hin, dass Spionage- und andere Sicherheitstechnik – anders als Militärgüter – keinerlei Exportauflagen unterlägen.
Deutsche Firmen wie etwa Siemens/Trovicor könnten deshalb unkontrolliert elektronisches Equipment in autoritär regierte Länder verkaufen. Damit können repressive Regimes zum Beispiel die Handys ihrer eigenen Bürger überwachen. Syrien beispielsweise hat viel seiner Überwachungstechnologie von Unternehmen aus Frankreich, Italien und Deutschland bekommen.
In Syrien ist die Lage besonders kompliziert, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Salam Said von der Universität Bremen erläutert, weil dort viele ethnische und religiöse Gruppen um Macht und Einfluss kämpfen. Aus ihrer Sicht ist wichtig, dass bisher das Militär – wie in vielen anderen Ländern der Region – auch eine Wirtschaftsmacht war, da es zum Beispiel Bauunternehmen besaß.
Das wiederum bedeutet, dass beim Kauf von Waffen und Spionagetechnologie das Militär finanziell unabhängig von Ministerien agieren konnte. Syrien gab zuletzt 5,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstungsgüter aus und lag damit noch über dem Durchschnitt der MENA-Länder.
In Ägypten ist das Militär ebenfalls eine Wirtschaftsmacht und seit langem pro-westlich. Im Gegensatz dazu ist die Muslimbruderschaft eher anti-westlich eingestellt; in Wirtschaftsfragen jedoch folgt die neue islamistische Regierung wirtschaftsliberalen Linien.
Wie der Politologe und Fotojournalist Ahmed Khalifa vom BICC berichtet, fürchten sich diese beiden großen politischen Akteure aber heute vor ihrer eigenen Bevölkerung. Sie versuchten deshalb, die Konflikte zu entschärfen. Vielleicht ist diese Gemengelage auch eine Chance für friedliche Lösungen, soweit das in einer waffenstarrenden Region überhaupt möglich ist.
Sheila Mysorekar
© Zeitschrift Entwicklung und Zusammenarbeit 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de